Bundesweite Durchsuchungen - Im Rechtsrock-Netzwerk von Mallorca bis Marzahn
Polizei und Staatsanwaltschaft sind mit einer Razzia in sechs Bundesländern gegen ein international agierendes rechtsextremes Musiknetzwerk vorgegangen. Berliner Neonazis kommt nach rbb-Informationen eine tragende Rolle in der kriminellen Vereinigung zu. Von Olaf Sundermeyer, rbb24 Recherche
Auf der längsten Straße von Marzahn fallen Einsatzwagen der Polizei an den meisten Tagen nicht weiter auf. So war es auch an diesem Morgen auf der Märkischen Allee vor einem der hier aufgereihten Plattenbauten, in dem Neonazi David H. (47) wohnt. Gemeinsam mit Berliner Polizisten waren Ermittler der Zentralen Kriminalinspektion (ZKI) aus Oldenburg (Niedersachsen) am Donnerstag dort unbemerkt angerückt, um gegen Musikverlage und Studios rechtsextremer, volksverhetzender Musik vorzugehen.
Die Razzia fand unter Führung der Generalstaatsanwaltschaft Celle wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung statt.
Bis zu diesem Tag liefen auch die Ermittlungen in Oldenburg geräuschlos und unauffällig - seit einem Jahr bis zur bundesweiten Razzia in dieser Woche. Ausgangspunkt war ein unspektakuläres Verfahren wegen Volksverhetzung gegen einen Mann aus dem niedersächsischen Cloppenburg. Neben Berlin fanden zur gleichen Zeit Durchsuchungen in fünf weiteren Bundesländern (Thüringen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hamburg, mit Schwerpunkt Niedersachsen) sowie auf Mallorca statt. Auf der spanischen Insel bei einem gebürtigen Berliner, der bundesweit bekannten Szenegröße Jens Ulrich H. (48), dessen Karriere als Unterstützer, Musiker und Produzent von Rechtsrock über drei Jahrzehnte lang öffentlich dokumentiert ist. Er gilt als einer der wichtigsten Produzenten rechtsextremer Musik in Deutschland. Zu seinem Umfeld sollen auch wesentliche Akteure der Rechtsrock-Szene in Berlin und Brandenburg gehören.
Schlag gegen das "Blood & Honour"-Netzwerk
Im Südwesten der spanischen Ferieninsel soll er einen Internetversandhandel für Rechtsrock betreiben, ursprünglich ansässig war er über lange Zeit im Emsland. Nach rbb-Informationen wird beiden, Jens Ulrich H. und David H., eine wesentliche Rolle in der kriminellen Vereinigung zugeschrieben. Der polizei- und justizbekannte Berliner David H. aus Marzahn wird in Sicherheitskreise seit Langem dem in Deutschland verbotenen "Blood & Honour"-Netzwerk zugerechnet. 2014 wurde er von der Berliner Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angeklagt. H. soll damals unter Pseudonym einschlägige Musik im "Thiazi-Forum" angeboten haben, der zeitweilig größten neonazistischen Plattform im deutschsprachigen Raum.
Langjährige Szenebeobachter wollen in der Razzia einen relevanten Schlag gegen "Blood & Honour" erkennen. Über diese in Deutschland verbotene Verbindung werden international Rechtsrock-Konzerte organisiert, laufen Kontakte zwischen Bands, Produzenten, Vertrieb und Auftrittsorten. Nach Einschätzungen von Fachermittlern sind durch das niedersächsische Verfahren rund ein Drittel der auf dem deutschen Markt beteiligten Akteure zumindest mittelbar betroffen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle wirft Jens Ulrich H., David H. und zehn weiteren Personen vor, als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung den Vertrieb rechtsextremer Musik organisiert zu haben. Der Nachweis einer kriminellen Vereinigung gilt in der Strafjustiz als besonders schwierig, weil die gesetzlichen Hürden dafür hoch sind. Denn in solchen Fällen wird bereits die Gründung und Mitgliedschaft in einer Vereinigung bestraft. Die rechtsextreme Musikbranche, Plattenverkäufe und Konzerte gelten als wesentliche Einnahmequelle für die organisierte Neonaziszene in Deutschland. Als Reaktion auf die Razzia wies Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) am Donnerstag darauf hin, dass die rechte Szene "mit diesen menschenverachtenden Inhalten viel Geld umsetzt".
Torsten Heise kein Beschuldigter
Die Ermittler beschlagnahmten 199.000 Euro aus illegalen Plattenverkäufen auf den Konten der Beschuldigten, Zehntausende CDs und Schallplatten sowie Mobiltelefone und Computer. Nach rbb-Informationen nahmen die Ermittler bei einer Durchsuchung in Niedersachsen 38.000 Euro Bargeld mit. Auf Widerstand seien sie bei den Durchsuchungen nicht gestoßen. Nach rbb-Informationen wurden auch keine verbotenen Waffen in den durchsuchten Objekten gefunden - auch nicht bei dem bundesweit bekannten Neonazi Torsten Heise im thüringischen Fretterode. Das prominente langjährige Vorstandsmitglied der rechtsextremen NPD und ihrer Nachfolgepartei "Die Heimat" stand am Tag der Razzia wegen der Durchsuchung seines ländlichen Anwesens im Fokus der Öffentlichkeit. Anders als stellenweise berichtet [Der Spiegel], gehört Heise nicht zu dem Personenkreis der kriminellen Vereinigung.
In Fretterode stand vielmehr Heises Verbindung mit dem Rädelsführer der kriminellen Vereinigung im Mittelpunkt: Als diesen haben die Ermittler den 34-jährigen Lasse K. ausgemacht, Geschäftsführer einer "Schallplatten GmbH" in Hamburg, in der ebenfalls Durchsuchungen stattfanden. Offiziell wird dort Rockabilly-Musik verkauft, inoffiziell sei dort allerdings mit verbotenem Rechtsrock gehandelt worden - vor allem Tonträger aus Vinyl. Lasse K. wurde als einziger Beschuldigter der kriminellen Vereinigung festgenommen, an seinem Wohnort Bardowick im Landkreis Lüneburg. Seither sitzt er in Untersuchungshaft.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.2023, 15:29 Uhr