Interview | Kriminologe zu Angriffen auf Politiker - "Die politische Kultur verroht und man denkt schnell in Feindbildern"

So 26.05.24 | 09:13 Uhr
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"Kein Platz für Hass" steht auf einem Schild während einer Demonstration in Berlin (Quelle: imago images/IPON)
Bild: imago images/IPON

Einen Schlag in den Nacken, gesprengte Briefkästen, verletzte Wahlhelfer: In den vergangenen Wochen mehren sich Angriffe auf Politiker und politische Ehrenämtler in der Region. Woher das kommt, erklärt der Kriminologe Dirk Baier im Interview.

Sechs Attacken auf Wahlhelferinnen und Wahlhelfer in Berlin und Brandenburg hat es bislang im Europa-Wahlkampf gegeben, darunter auch Körperverletzungen. Das deckt sich auch mit Zahlen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zuletzt vorgestellt hat. Demnach gab es im vergangenen Jahr bundesweit 3.691 Straftaten gegen politisch aktive Menschen, im Jahr zuvor waren es 1.994.

Das Brandenburger Justizministerium hat nun ein Onlineportal für Amts- und Mandatsträger eingerichtet, damit Hasskriminalität schneller angezeigt werden kann.

rbb24: Herr Baier, was sind die Gründe für die vermehrten Angriffe und Pöbeleien gegenüber Politikern?

Dirk Baier: In dem Feld gibt es noch wenig systematische, wissenschaftliche Forschung. Die Zahlen des Deutschen Bundestags haben beispielsweise gezeigt, dass es im verbalen Bereich eine Verdopplung von Angriffen gegeben hat. Aber auch im physischen Bereich gibt es Anstiege. Wenn ich versuchen soll, das zu deuten, fallen mir drei Gründe ein: Der erste ist, dass die Gesellschaft in den letzten Jahren eine dichte Anzahl an Krisen erlebt hat – Ukrainekrieg, Energiekrise, Inflation. Krisen gehen immer damit einher, dass Menschen verunsichert sind. Und Unsicherheit ist auch ein Faktor dafür, dass man Dinge tut, die man sonst normalerweise nicht tun würde.

Der zweite Grund ist – und der hat auch etwas mit dem großen Flüchtlingsstrom 2014/2015 und dem Aufkommen der AfD zu tun –, dass die politische Kultur ein Stück weit verroht, dass Politiker und Politikerinnen immer mal wieder verbal danebengreifen und dass man schnell in Feindbildern denkt. Die AfD vorneweg, aber auch Markus Söder ist da ein gutes Beispiel. "Feind ist der Grüne. Feind ist die AfD…". Diese Bilder werden in der Gesellschaft spürbar und wenn man zum Beispiel das Feindbild "Grüne" internalisiert hat, dann kann man auch mal jemanden bepöbeln.

Zur Person

Dirk Baier (Quelle: D. Baier)
D. Baier

Prof. Dr. Dirk Baier leitet das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind Jugendkriminalität, Kriminalitätsentwicklung und -wahrnehmung, politischer Extremismus, Gewaltkriminalität.

Und der dritte ist, dass die sozialen Medien wie eine Art Durchlauferhitzer für Hass und Aggressionen geworden sind und das färbt auch auf Menschen ab.

Aus welchem Spektrum kommen die Täter?

Wenn man sich die Angriffe auf AfD-Politiker anschaut, dann ist die Täterschaft eher aus dem linken-politischen Spektrum. Die AfD hat immer noch die höchsten Zahlen, wenn es um physische Gewalt geht.

Am zweithäufigsten betroffen sind Grünen-Politiker. Da ist es nicht so eindeutig. Das sind nicht nur Rechte oder Rechtsextreme, die die Grünen angreifen, sondern das kommt ein Stück weit auch aus der Mitte der Gesellschaft. Da sieht man, dass solche Feindbildkonstruktionen auch Personen betreffen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen.

Was wissen Sie über die Opfer?

Was wir wissen, ist, dass Politiker auf Kommunalebene mehr aushalten müssen als Landes- oder Bundespolitiker - insbesondere was physische Gewalt und Sachbeschädigung angeht. Auch Frauen, Politikerinnen haben ein höheres Risiko angegriffen zu werden. Da kommen mindestens zwei Sachen zusammen: einerseits der Politikfrust und andererseits sind es bestimmte Geschlechtervorurteile, die die Angreifenden haben und Politikerinnen deswegen herabsetzen.

Wenn Politiker angegriffen werden, sinkt dann auch der Respekt gegenüber anderen Personengruppen – vor allem denen in Uniform wie Rettungskräften, Feuerwehrleuten oder Polizisten?

Es gibt wenig Forschung rund um Nachahmungseffekte. Gewalt gegen Polizei, gegen Politiker, auch gegen Wissenschaftler, Journalisten sind Symptome dieser krisenhaften Entwicklungen, die wir in der Gesellschaft haben. Es ist nicht so, dass, weil jetzt Herr Ecke angegriffen worden ist [SPD-Europapolitiker Matthias Ecke wurde in Dresden schwer verletzt, Anm. d. Red.], jemand anderes in einer anderen Stadt glaubt, jetzt kann er Polizisten angreifen.

Apropos Wissenschaftler, erleben Sie auch Anfeindungen?

Bei mir betrifft das immer das Thema "Kriminalität von Ausländern". In der Regel sage ich nicht "Ausländer sind schuld an Kriminalität", sondern ordne sachlich ein. Danach gibt es immer wieder Zuschriften, dass ich ein feiger Wissenschaftler wäre, dass – da ich ja jetzt in der Schweiz bin, aber erkennbar Deutscher - ich mich doch nach Deutschland zurückbegeben sollte.

Und was tun Sie dagegen?

Man sollte so etwas immer zur Anzeige bringen, das rate ich immer allen. Ich selber habe das noch nicht gemacht, weil ich den Vorteil habe, dass ich eine Psychologin in meinem Team habe, die Bedrohungseinschätzungen vornehmen kann. Es war bislang noch nie so, dass eine erhöhte Gefährlichkeit attestiert werden konnte. Deswegen habe ich bisher verzichtet, Anzeige zu erstatten.

Was kann auf institutioneller Seite dagegen getan werden?

Einerseits eine bessere Strafverfolgung, also dass man diese Dinge wirklich ernst nimmt - auch von polizeilicher Seite-, dass die Strafverfolgung stattfindet und dass es auch schnell geht. Häufig und auch im rbb Community-Talk „Politik & wir“ angesprochen wurde das Thema „Politische Bildung“, das man vielleicht noch erweitert um “Historische und politische Bildung“. Ich bin froh, dass verschiedene Medien dieses Thema aufgreifen, dass es Diskussionsrunden dazu gibt. Es muss in die Köpfe der Menschen, dass Politiker kein Freiwild sind und vielleicht kommt es noch bei einzelnen Politikern an, dass man sich bei Reden ein bisschen zurückhält. Außerdem muss der Gesetzgeber die Motivation schaffen, dass Plattformbetreiber wie Telegram oder TikTok die Verantwortung übernehmen, bestimmte Inhalte zu löschen. De facto sind die in der Verantwortung und wenn sie diese nicht übernehmen, dann müssen sie dazu verpflichtet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Melanie Manthey für die zweistündige rbb-Debattensendung "Politik & wir" mit dem Thema "Angriffe gegen Politik & Einsatzkräfte: Was tun?", in der Herr Baier auch Gesprächsgast war. Die komplette Diskussion gibt’s hier:

54 Kommentare

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  1. 54.

    Nicht ganz.
    Ist von Evelyn Beatrice Hall.

    Was aber auch ganz gut passt:

    "Wenn uns die Redefreiheit genommen wird, dann können wir stumm und still wie Schafe zum Schlachten geführt werden."
    (George Washington)

    und

    "Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen."
    (George Orwell)

  2. 53.

    „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie äußern dürfen.“

    Ist von François-Marie Arouet (Voltaire) wie übrigens viele schlaue Aussagen.

  3. 52.

    Im Grunde genommen ist die wesentliche Möglichkeit, Verrohung und Hass zu begegnen, in jenen Worten enthalten, die fälschlicherweise Voltaire zugeschrieben wurden und werden, aber offensichtlich von einem unbekannt gebliebenen anderen stammen:

    In etwa so: "Ich werde Ihre Auffassung bis an mein Ende bekämpfen und doch werde ich mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie sagen dürfen."

    Von dieser positiven Radikalität scheint diese vorfindbare Gesellschaft meilenweit entfernt zu sein, sie kommt dem im offiziellen Sinne HINTERHER nahe, wenn bereits etwas passiert ist.

  4. 51.

    Gestern im Talk von Caren Miosga mit Frau Nancy Faeser wurde von dem bereits 24 Vorfall dieser Art gesprochen.
    Man hört, liest nichts über ,Verurteilungen/Strafen'.
    Dauert es nur ewig oder passiert einfach nichts?
    Brauchen sich diese Leute keine ,Gedanken' machen, da eh außer Du-Du nicht passiert?

  5. 50.

    Die Verrohung liegt auch daran, dass alle Nachrichten schnell verbreitet werden und vieles ohne nachdenken gepostet wird. Die Replik der SPD auf Sylt wurde zwar schnell gelöscht, aber dennoch war es im Netz.

  6. 49.

    Mein Alltag hat damit null Übereinstimmung. „Dank“ der Pandemie wurde das Homeoffice bei uns eingeführt. Finde ich toll, denn so habe ich mehr Freizeit. Die Börsen haben sich positiv entwickelt und somit habe ich mehr Geld. Usw. Nur mal positive Beispiele.

    Aber wie immer, für den einen ist das Glas halb voll, für den anderen halb leer. Danke für die Antwort. Sie tun mit Leid und ich kann Ihren Frust verstehen. Konzentrieren Sie sich auf Positives, hilft oftmals.

  7. 48.

    Solche Angriffe auf öffentliche Personen ist nicht in Ordnung, allerdings passiert das täglich ganz normalen Menschen auch. Das wird erst gar nicht erwähnt.

  8. 47.

    Unterlassen Sie diesen Filterblasen-Unfug und lesen Sie den Kommentar Nr.45. Nix mit Filterblase, die meisten Angriffe richteten sich gegen Mitglieder der AfD. Und fragen Sie gar nicht erst nach einer Quelle, die wurden auch hier oft genug genannt.

  9. 46.

    >"Der Terror wütet vor allem gegen Rechts und Konservative dank jahrelangem Aufbauen von links grünen Feindbildern."
    Und da ist sie wieder die Filterblase mit nur den eigen suggerierten Meinungsbildern. Es wurde schon ausreichend berichtet, dass sich diese Extremmeinungen und -Taten durch alle politische Lager ziehen. Auch Grüne und Linke wurden angegriffen, ebenso AfD Mitgleider, SPD, CDU und andere Parteien.

  10. 45.

    So ist es.
    Als derlei Angriffe hauptsächlich AfD-Mitglieder betrafen, war das für alle anderen Politiker und die Medien eher uninteressant.
    Übrigens bin ich der Meinung, dass das Einengen des Meinungskorridors die Sache eher verschlimmert hat:
    Sicher würden viele Menschen nicht gewalttätig, wenn sie sich auf andere Weise Luft machen könnten.
    Wer sagt "Die wurden ja nur aufgehetzt", macht es sich damit sehr einfach.
    Denn letztendlich ist jeder Mensch für seine Taten und Unterlassungen selbst verantwortlich.
    Mich als Cineasten erinnert das an Prequels, in denen die Bösartigkeit bekannter Schurken durch den verderbenbringenden Einfluss anderer Schurken "erklärt" wird.
    Was letztlich nur bedeutet, dass man die Ursache der Bösartigkeit von einer Person auf eine andere verlagert, sie aber nicht wirklich ergründet.

  11. 44.

    Der Terror wütet vor allem gegen Rechts und Konservative dank jahrelangem Aufbauen von links grünen Feindbildern.

  12. 43.

    Na dann gehen wir doch in einen fiktiven Alltag. Sie benötigen morgen früh 1h länger um zur Arbeit zu kommen, weil der ÖPNV streikt. Ihr Chef teilt ihnen mit, dass sie zum Monatsende gekündigt sind, weil die Firma nach USA umzieht ( zu hohe Energiekosten). Sie holen nachmittags ihre Kinder von der Kita ab und erhalten die Auskunft, dass die KITA den Rest der Woche wegen Personalmangel schließt. Zu Hause angekommen finden sie im Briefkasten die Abrechnung ihres Gasanbieters, sie sollen 4000 € nachzahlen und der künftige Abschlag beträgt 800 € monatlich.
    Sie bekommen Puls und wollen ihren Hausarzt anrufen, aber keiner geht ans Telefon . Bei der abendlichen Hunderunde treffen sie auf zwei Plakatekleber, die die Losung "Wirtschaft braucht Freiheit" an die nächste Laterne kleben. Müssen sie da nicht ihren Hund festhalten ?

  13. 42.

    Und ich setze mich und denke, warum sagt eigentlich jeder, dass die anderen verrohen? Wir können doch nur gedanklich abstumpfen, wenn uns das Menschliche verloren geht. Das passiert durch Sprache während der Sozialisation. Wenn das Netz uns sozialisiert und Menschen den größten Teil des Tages im Netz verbringen, bleibt eine Unkonzentriertheit und eine Unaufmerksamkeit dem Wesentlichen gegenüber übrig. Zappelige und überreizte Menschen, die sich anfangen zu hassen, Schüler, die zueinander grausam sind, Erwachsene, die nur noch mit verbaler Gewalt recht behalten wollen.
    Und alle vergessen dabei zu verstehen, was wir eigentlich für eine tolle Gesellschaft sind und das wir mehr miteinander füreinander da sein sollten. Menschliches lernt man nicht im Netz, es ist ein Ort der Fakes in jeder Hinsicht, ein Zufluchtsort, der süchtig macht und Menschen verändert.
    Schaltet ab und seid mehr bei euch, seid Mensch.

  14. 41.

    Ich stimme Ihnen zu, das finde ich auch nicht. Es kommt meiner Meinung nach immer darauf an, auf was man sein Augenmerk lenken möchte: auf das Positive oder auf das Negative. Ich kenne allerdings auch Menschen in meinem Umfeld, die verstärkt das Negative sehen wollen. Das ist auf Dauer ganz schön anstrengend. Ich denke es hat was damit zu tun, wie gut man mit Krisen und Ängsten umgehen kann oder eben auch nicht.

  15. 40.

    " Angriffe auf Politiker sind nicht schlimmer als die auf andere Berufsgruppen! "
    volle Zustimmung ! und die täglichen Messerstechereien müssen ebenso skandalisiert werden . Aber jetzt sind doch tatsächlich mal einige Politiker geringfügig betroffen und schon kommen Forderungen nach Sonderrechten und in den Medien wird rauf und runter berichtet als hätte Deutschland ein Erdbeben
    Dagegen Angriffe auf Rettungskräfte und medizinisches Personal sowie Polizisten finden höchstens in einem Nebensatz Erwähnung, wenn überhaupt

  16. 39.

    Wie politische Mehrheiten gebildet werden, ist doch den jeweiligen Parteien selbst überlassen.
    Und die politische Mehrheit ist ja implizit auch immer der Wählerwille in Demokratien, da die vertretenden Parteien ja in relativer Wählerstärke im Parlament sitzen.
    Interessant wird’s ja sowieso erst bei absoluten Mehrheiten. Aber diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei.

  17. 38.

    "Angriffe auf Politiker sind nicht schlimmer als die auf andere Berufsgruppen!"

    ........das hat doch auch keiner behauptet, wo lesen Sie das denn heraus? Sie sind genauso schlimm wie Angriffe auf andere Berufsgruppen. Jeder Angriff ist ein Angriff zuviel. Im Zuge der Wahlen passiert es jetzt eben vermehrt bei Politikern, wenn es um andere Veranstaltungen geht, z.B. Silvester, wird bestimmt wieder mehr über die anderen Berufsgruppen berichtet.

  18. 37.

    Wo lese ich in Ihrem Kommentar auch nur einen! Beweis das alles in unserem Land schlechter geworden ist? Was Sie von anderen erwarten, sollten Sie selber auch tun. Abgesehen davon ist es Ihre Meinung, Sie können kaum für alle Enwohner unseres Landes sprechen.
    Ich finde jedenfalls nicht das alles schlechter geworden ist..

  19. 36.

    "Angriffe auf Politiker sind nicht schlimmer als die auf andere Berufsgruppen!"

    ........das hat doch auch keiner behauptet, wo lesen Sie das denn heraus? Sie sind genauso schlimm wie Angriffe auf andere Berufsgruppen. Jeder Angriff ist ein Angriff zuviel.

  20. 35.

    Aha. Sie behaupten alles ist mies und doof usw…. Keine konkreten Aussagen sondern Sie sagen mir, ich sei nur z7 blöd, es zu erkennen und verlangen von mir den Beweis des Gegenteils. Echt jetzt? Das ist Ihr Niveau? Derjenige, der eine These aufstellt muss auch erläutern, wie er dazu kommt und den Nachweis führen. Sonst wird das nur ein „Nein, Doch“

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