Flüchtlingsversorgung in Berlin - Wie die Kieze mit den 16 neuen Containerdörfern für Geflüchtete ringen
Seit der Entscheidung des Berliner Senats, 16 neue Containerdörfer zu errichten, tobt eine Debatte: Werden die Bezirke überfordert? Die Verantwortlichen verweisen auf die Ankunftszahlen. Dabei wird es bei 16 Standorten kaum bleiben. Von Sebastian Schöbel
- Der Berliner Senat plant den Bau von 16 neuen Flüchtlingsunterkünften in neun Bezirken
- Neue Standorte erhöhen Druck auf die Infrastruktur, wie zum Beispiel Schulen
- Widerstand gegen weitere Unterkünfte zeigt sich inzwischen auch politisch
In Sachen Willkommenskultur macht dem Bürgerverein Hohenschönhausen niemand etwas vor: Seit Jahren engagieren sich die Ehrenamtlichen in Berlin-Lichtenberg bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten und Asylsuchenden. Für das gemeinsam mit der Stadtteilkoordination ausgerichtete Bürgerfest "Bunte Platte" gab es zuletzt auch den Demokratiepreis des Bezirks.
Doch wenn Vereinsvorstand Karsten Dietrich auf die geplanten neuen Containerunterkünfte für Geflüchtete in seinem Bezirk schaut, schüttelt er den Kopf. "Natürlich regt mich das auf. Immer wenn es ein Problem gibt in dieser Stadt, müssen wir als Hohenschönhausener dafür irgendwie herhalten."
"Irgendwie zynisch gegenüber den Anwohnern"
Was Dietrich so verärgert, sind drei von insgesamt 16 neuen Containerdörfern für Geflüchtete, die in Hohenschönhausen entstehen sollen. Rund 1.200 Plätze sind geplant – allein in diesem Stadtteil. Ob die Kieze das verkraften können, stellt nicht nur Dietrich infrage. "Ich finde es irgendwie zynisch gegenüber den Leuten, die hier wohnen", sagt Regine Schmidt, Grünen-Politikerin und ebenfalls im Bürgerverein engagiert. "Es kann ja nicht sein, dass dann die Infrastruktur auf ihre Kosten verschlechtert wird und sich niemand darum kümmert. Irgendwie fühlt man sich einsam und verloren und kommt nicht weiter."
Mehr als 4.000 Geflüchtete leben bereits in landeseigenen Unterkünften im Bezirk Lichtenberg. Nur in Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Reinickendorf mit der Großunterkunft Tegel sind es mehr. Während immer mehr Menschen kommen, fehle es an Investitionen in Schulen, Nahverkehr und Sportstätten, beklagt Schmidt.
Guido Richter, Leiter der Orankesee-Grundschule, bestätigt: Fast alle Grundschulen in Lichtenberg seien überbelegt, bis zu 28 Kinder säßen in einer Klasse. "Gerade angesichts der Sprachproblematik müssen wir dann schauen, wie wir genügend Förderung in die Klassen bekommen." Zumal er den neuen Schülerinnen und Schülern aus geflüchteten Familien kaum gerecht werden kann, so Richter. "Sie können aufgrund der leider nicht so guten Deutschkenntnisse nicht adäquat am Unterricht teilnehmen, und wir haben aber keinerlei Ressourcen, um adäquat fordern zu können."
Ein Zaun, zwei Welten, kein Verständnis
Ähnliche Debatten werden an allen sechzehn Containerstandorten in insgesamt neun Bezirken geführt. Auch in Pankow, wo zum Beispiel die seit acht Jahren bestehende Flüchtlingsunterkunft in der Buchholzer Straße um weitere knapp 500 Plätze erweitert werden soll. In den schmucklosen, zum Teil ziemlich abgewohnten Containern leben bereits rund 400 Menschen aus 30 Nationen. Vor allem Familien mit Kindern sind bis zu zwei Jahre hier, weil sie keine Wohnung in Berlin finden.
Ein Gefühl von Nachbarschaft ist offenbar dennoch nicht gewachsen. "Es entsteht sehr viel Schmutz", beschwert sich Anwohner Detlef Hoppe in der rbb24 Abendschau – wobei er nicht wisse, von wem der Müll stammt, wie er einräumt. "Die benehmen sich wie die Schweine", schimpft eine ältere Dame, die ihren Namen nicht nennen will. "Und die Busse sind voll."
Die Wut der Anwohner ist für die Ehrenamtlichen vom Netzwerk "Pankow hilft" nicht überraschend. Es brauche eine "Begegnungsstelle", sagt Reinhard Selka vom Netzwerk, "damit die Anwohnerschaft auch in Kontakt treten kann mit den Geflüchteten, denn die kennen sich ja gar nicht". So aber entstehe bislang vor allem Entfremdung und Distanz statt Integration, auf beiden Seiten. Denn die Bewohner der Containerunterkunft seien "isoliert und haben das Gefühl, sie gehören nicht dazu", sagt Flüchtlingshelfer Ludger Lemper. "Und auf der anderen Seite gucken Leute über den Zaun und sagen: Was sind denn das für Menschen?“"
Vor allem im Osten der Stadt rumort es
Der Widerstand gegen weitere Flüchtlingsunterkünfte schlägt sich längst auch politisch nieder. Bei der jüngsten Europawahl holten die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit migrationskritischen Botschaften vor allem in den Ostbezirken der Stadt viele Stimmen – also dort, wo bislang der Großteil der Geflüchteten untergekommen ist, sofern man die beiden Großunterkünfte in Tegel und Tempelhof ausklammert.
Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus reagierte ihrerseits mit der Forderung, Massenunterkünfte zu vergrößern und bestehende Containerdörfer höher zu bauen - wohl auch, um möglichst keine weiteren Standorte für Flüchtlingsunterkünfte in den Bezirken finden zu müssen, in Erwartung des Widerstands. Der Pankower CDU-Politiker Lars Bocian zum Beispiel verweist auf die großen Standorte auf den ehemaligen Flughäfen in Tegel und Tempelhof: "Auf dem Tempelhofer Feld sind wir in der Innenstadt, da haben wir eine verkehrliche Anbindung, da haben wir einen Sozialraum, das ist eine ganz andere Geschichte als hier draußen."
In Tempelhof-Schöneberg wird man das vermutlich anders sehen – zumal das Containerdorf auf dem Ex-Flughafen erweitert werden soll. Und im Ankunftszentrum Tegel leben bereits fast 5.000 Geflüchtete in großen Leichtbauhallen, weitere 1.000 Plätze sind in Planung. Selbst wenn die zahlreichen Fluchtgründe, allen voran der Krieg in der Ukraine, morgen verschwinden würden, bräuchte Berlin immer noch zahlreiche dezentrale Unterkünfte, sagt Flüchtlingskoordinator Albrecht Broemme dem rbb. "Und jedem, der fragt ‚wieso, weshalb, warum‘, dem sage ich: Besuche mal Tegel. Das ist einfach eine Zumutung."
"Wir brauchen 80 weitere Standorte"
Die Kritik in den Kiezen, die neue Containerstandorte bekommen sollen, nehme er ernst, so Broemme. Aber die aktuell geplanten 16 Standorte seien bereits alles, was übrig blieb von einer ursprünglichen Liste mit rund 60 Standorten: Weil man zum Beispiel keine Sportplätze, Grundstücke für neue Feuerwachen oder Parkplätze für Kleingärtner bebauen wollte. Er werde künftig im Vorfeld noch besser kommunizieren, verspricht Broemme – macht aber auch klar, dass schon jetzt eigentlich kein Bezirksrathaus habe überrascht sein können von der Entscheidung. Die Informationen seien ausgetauscht worden.
Die neuen Containerstandorte sollen höher gebaut werden, sagt Broemme, bis zu drei Stockwerke. Was geht, weil auch die Wohncontainer besser geworden sind. "Aber es ist noch lange keine Wohnung, auch ein Container ist nur etwas Vorübergehendes." Man blockiere auch keine Grundstücke, die bereits für andere Bauprojekte vorgesehen sind. "Es gilt das sogenannte Baggerprinzip", sagt Broemme. Sobald ein Bauvorhaben, zum Beispiel eine neue Schule, zur Umsetzung bereit ist, "kommen die Container wieder weg."
Wann die ersten neuen Containerstandorte eröffnet werden, kann Broemme noch nicht sagen, aber wohl sicher nicht mehr in diesem Jahr. Genug Unterkünfte für Geflüchtete habe Berlin dann aber trotzdem nicht, bei durchschnittlich 2.000 Neuankömmlingen pro Monat. "Wir müssen nochmal 80 weitere Standorte finden", so Broemme. Und zwar am besten noch in diesem Jahr.
Sendung: rbb24 Inforadio, 22.07.2024, 8 Uhr
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