Junge Menschen nach Brandenburg-Wahl - Politisches Interesse für das, was vor der Haustür passiert - oder eben nicht passiert
Bei der Brandenburger Landtagswahl bekam die AfD besonders viel Zuwachs von jungen Wählerinnen und Wählern. rbb|24 hat mit Jugendlichen aus Brandenburg gesprochen und sie gefragt: Wie geht es ihnen nach und mit der Wahl? Von Linh Tran
Warmlaufen, Seilspringen, Liegestütze und dann die Hände bandagieren fürs Schattenboxen: Für Vanessa Strauch ist das ein normaler Montagabend. Im Boxclub Oberhavel in Velten, nicht einmal zehn Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt, trainiert die 18-Jährige drei Mal die Woche das Boxen. Sie wurde mit 13 Jahren schon deutsche Meisterin ihrer Altersklasse.
Beim Training in der alten Sporthalle kommen Boxerinnen und Boxer mit verschiedenen Hintergründen jeden Alters zusammen, doch währenddessen kommen sie nie wirklich dazu, sich zu unterhalten. Trotzdem hat Vanessa Freunde gefunden – zum Beispiel die 20-jährige Nicole. Meistens geht es in den kurzen Pausen nur um Privates, dennoch scheinen sich die beiden auch in Sachen Politik einig zu sein: Vom Wahlergebnis zeigen sie sich nicht überrascht, sie sagen, sie könnten auch nachvollziehen, warum viele junge Menschen die AfD gewählt haben. "Das spiegelt einen Großteil der Meinungen wider", sagt die 18-jährige Vanessa. "Die Wahlergebnisse zeigen einfach, die Bevölkerung will einen anderen Weg gehen." Auch ihre Freundin Nicole Loff nickt zustimmend. Die Wahlergebnisse zeigten, dass da eine große Unzufriedenheit herrsche.
Verhältnismäßig viele junge Menschen für die Afd gestimmt
Bei der Brandenburger Landtagswahl haben verhältnismäßig viele junge Menschen der AfD ihre Stimme gegeben. Bei den 16- bis 24-Jährigen waren es 31 Prozent. Damit gab es im Vergleich zur letzten Landtagswahl einen Zuwachs von 13 Prozent.
Fragt man die Jugendlichen in Brandenburg, wie es ihnen mit den Wahlergebnissen geht, bekommt man (je nach politischer Ausrichtung) sehr unterschiedliche Antworten. Während sich die einen Sorgen machen um einen immer größer werdenden Rechtsruck, können andere die Wahlentscheidung ihren Worten zufolge sehr gut nachvollziehen.
"Vor allem die Themen Umweltschutz und Sozialpolitik werden vernachlässigt"
Am Telefon erzählt Anton von seiner Einschätzung zur Brandenburg-Wahl. Er glaube beispielsweise, dass sich die jungen Menschen nicht gehört fühlen und deshalb die AfD gewählt hätten. Er ist 20 und hat dieses Jahr zum ersten Mal gewählt, kommt aus Bernau und studiert Architektur in Potsdam. Nach den Wahlen sei er nun ein bisschen verunsichert, welche Veränderungen kommen: "Vor allem die Themen Umweltschutz und Sozialpolitik werden vernachlässigt, wenn der Fokus so stark auf dem Thema Migration liegt und so hitzig diskutiert wird", sagt er.
Marius* aus Brandenburg (*Name auf Wunsch des Gesprächspartners geändert) zeigt sich erleichtert, dass die AfD nicht gewonnen hat, "weil ich die politische Position der AfD nicht vertrete." Er mache sich Sorgen, dass die AfD für alle Unzufriedenen die einzige Möglichkeit gewesen sei, ihr Kreuz zu setzen. Auch das Problem rassistischer Angriffe beschäftige ihn. "Bisher hat der Rechtsruck zwar keinen direkten Einfluss auf mich, aber ich bekomme viel Rassismus in meinem Umfeld mit", sagt er.
"Oft haben Rentner gar kein Geld mehr am Ende des Monats"
Vanessa aus Velten beschäftigt die Situation älterer Menschen: "Oft haben Rentner gar kein Geld mehr am Ende des Monats, um sich einen normalen Einkauf zu leisten, um sich Käse, Brot und so weiter zu kaufen", sagt sie. Daran sehe man, dass für die "eigene Bevölkerung nicht genug gemacht" werde. Nicole bringt das Beispiel Heizkosten ein: "Viele Familien konnten erst im Dezember anfangen zu heizen, wenn überhaupt. Und das ist halt schade." Im Gespräch mit dem rbb bleiben konkrete Beispiele allerdings aus.
Auch zum Thema Krieg gibt es starke Meinungen von den jungen Frauen. Sie wünschen sich Friedensverhandlungen statt Waffenlieferungen für die Ukraine, sprechen im selben Atemzug von "Messerattacken" auf Stadtfesten und sagen, sie fühlten sich aufgrund derer nicht mehr sicher. "Gehen wir jetzt auf Festivals oder lassen wir’s? Gehen wir auf Konzerte, gehen wir in Clubs? Da denkt man schon zweimal nach", sagt Vanessa.
Gustav (18) und Nando (16) trainieren auch im Veltener Boxverein. Sie sind verschwitzt und sitzen ein bisschen atemlos in der Umkleide. Sie erzählen, sie interessierten sich momentan nicht für die großen bundespolitischen Fragen, sondern für das, was genau vor ihrer Haustür passiert – oder eben nicht. Um pünktlich zum Training zu kommen, werden beide mit dem Auto gefahren. Der Bus würde nicht oft genug oder eben gar nicht kommen. Nervig sei vor allem der öffentliche Bahnverkehr am Wochenende. "Da ist immer Schienenersatzverkehr" sagt der 16-jährige Nando. "Immer bei uns." - "Und immer am Wochenende", sagt Gustav und schüttelt den Kopf. Sie wünschen sich vor allem, dass die Busse und Bahnen öfter fahren, sagen sie. Einen Führerschein zu machen, sei gerade besonders teuer.
Studie "Jugend in Deutschland" zeigt Sorgen und politische Unzufriedenheit
Die Themen der jungen Menschen, mit denen rbb|24 hier gesprochen hat, decken sich mit dem Sorgen-Ranking der repräsentativen Befragung "Jugend in Deutschland 2024", an der bundesweit 2.042 Personen im Alter von 14 bis 29 Jahren teilnahmen. Die größten Sorgen der Befragten waren laut der Erhebung: Inflation (65 Prozent), Krieg in Europa und Nahost (60 Prozent), teurer Wohnraum (54 Prozent) und Altersarmut (48 Prozent). Aber auch die Spaltung der Gesellschaft (49 Prozent) oder die Zunahme von Geflüchteten (41 Prozent).
All diese Punkte führen laut der sogenannten Trendstudie zu hoher Unzufriedenheit mit ihrer Lebenssituation und den politischen Verhältnissen. Auch deshalb entscheide sich die junge Generation möglicherweise zunehmend für eine Partei wie die AfD. Gerade weil sie sich oft nicht gehört fühlten, sei gewisse Politikverdrossenheit entstanden, sagt Dominik Ringler. Er ist Leiter am Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg.
Für junge Menschen ist die AfD eine Protestpartei abseits vom Mainstream
Den diversen Erklärungsversuchen wie Politikverdrossenheit, Vernachlässigung durch die Politik, fehlender Medienkompetenz und der großen Präsenz der AfD auf TikTok fügt er hinzu, dass diese Partei von jungen Menschen anders wahrgenommen werde als von Erwachsenen: "Für junge Menschen ist es schwierig, nachzuvollziehen, warum das eine vom Verfassungsschutz beobachtete Partei ist, sie eben nicht demokratisch ist und auf der anderen Seite aber mit gewählten Vertretern in den Kommunalparlamenten sitzt." Für manche sei die AfD eine ganz normale Partei, die sich gegen das herrschende politische System stelle und "dadurch, als eine Art Protestpartei attraktiv erscheinen mag", so Ringler.
"Auf der anderen Seite muss man sagen, dass sich junge Menschen auch gerne vom Mainstream abgrenzen", sagt er. Das habe man auch bei den letzten Bundestagswahlen gesehen, bei denen Parteien wie die FDP und die Grünen besondere Zuwächse gehabt haben, "weil sie eben Themen angesprochen haben, die eher den jungen Menschen gefallen haben." Und das hätte bei den anderen Parteien gefehlt.
Gerade bei jungen Menschen würden Ängste und Unsicherheiten gezielt ausgenutzt, weil die AfD vermeintlich einfache Lösungen anbiete, die bei jungen Menschen Resonanz finde, so Ringler. Sie sehnten sich nach Orientierung und Sicherheit. Gleichzeitig dürfe man den Kontext nicht vergessen, sagt Ringler. "In Regionen, wo die AfD sowieso schon besonders stark da war, gibt es natürlich eine bestimmte Echokammer, auch in Familien und Freundeskreis."
Sozialforscher: Kinder und Jugendliche brauchen Optimismus
Ringler zeigt sich überzeugt davon, dass man den Kindern und Jugendlichen neben all den Krisen und Problemen dieser Zeit wieder Optimismus geben muss: "Es muss uns gelingen, ein positives Zukunftsbild zu entwerfen, so dass junge Menschen wieder Vertrauen und Sicherheit gewinnen, damit sie eben auch Zuversicht entwickeln können." Und eben das sei nicht nur Aufgabe von Politik, sondern auch von Verwaltung, der Kinder- und Jugendhilfe sowie Vereinen und Verbänden.
Die junge Boxerin Vanessa Strauch sagt, sie glaube schon, dass ihre Stimme auf jeden Fall zähle. "Würden sich die Jugendlichen nicht effektiv für ihre Meinung einsetzen, wären wir an einem anderen Punkt", erzählt sie. Ihrer Meinung nach gebe es immer noch viele Jugendliche, die sich nicht trauten, ihre Meinung zu äußern. "Alle sollten sich trauen, egal welche Meinung sie haben, sie auch zu vertreten." Dass beim Boxverein so viele unterschiedliche Menschen und Meinungen vertreten sind, finde sie gut: "Hauptsache man ist menschlich und zeigt Respekt miteinander."
Sendung: rbb24, 10.10.2024, 13 Uhr