Arne Semsrott - Journalist wegen Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten vor Gericht

Mi 16.10.24 | 15:32 Uhr
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Arne Semsrott (r), Chefredakteur des Internetportals «FragdenStaat» steht am 16.10.2024 zu Beginn eines Prozesses gegen ihn im Berliner Landgericht. (Quelle: dpa/Bernd von Jutrczenka)
Audio: rbb 88.8 | 16.10.2024 | Ulf Morling | Arne Semsrott (rechts) beim Prozessbeginn in Berlin | Bild: dpa/Bernd von Jutrczenka

Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott muss sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Berlin verantworten, weil er Dokumente aus einem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" veröffentlicht hat.

Es handelt sich dabei um drei - zum Teil geschwärzte - Entscheidungen des Amtsgerichts München, die im August 2023 beim Internetportal "FragDenStaat" veröffentlicht wurden und bis heute dort abrufbar sind.

"Ich gebe zu, dass ich die Beschlüsse veröffentlicht habe", sagte der Chefredakteur des Internetportals, das sich für staatliche Transparenz einsetzt, zu Prozessbeginn. Ihm sei dabei bewusst gewesen, dass es den Paragrafen § 353d im Strafgesetzbuch (Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen) gebe. Danach ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Ermittlungsverfahren nicht zulässig. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an.

Journalist nimmt Risiko der Verurteilung in Kauf

"Dieses Risiko nehme ich in Kauf", sagte Semsrott am Rande der Verhandlung. Die bestehende Gesetzeslage stelle eine Einschränkung der Pressefreiheit dar, die verfassungswidrig sei. In Zeiten von Fake News seien Originalquellen für eine fundierte Diskussion umso wichtiger. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt den 36-Jährigen in dem Fall.

Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Pressefreiheit hat die Berliner Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht und nicht beim eigentlich zuständigen Amtsgericht erhoben.

Verfahren soll Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden

Der Verteidiger des Journalisten beantragte, das Verfahren vor dem Landgericht Berlin auszusetzen und den Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorzulegen. Die bestehende Gesetzeslage verstoße gegen die Presse- und Wissenschaftsfreiheit, so der Anwalt. Die Vorschrift sei nicht mehr zeitgemäß angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft.

Bislang haben die Karlsruher Richter jedoch anders entschieden. Der Gedanke hinter der Strafnorm ist, dass Zeuginnen und Zeugen sowie Laienrichter vor einem Prozess nicht beeinflusst werden sollen durch vorläufige Ermittlungsergebnisse.

Urteil am Freitag geplant

Das Gericht hat zunächst zwei Prozesstage geplant. Ein Urteil könnte demnach an diesem Freitag (18. Oktober) gesprochen werden, wie der Vorsitzende Richter Bo Meyer sagte. Die Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich heute noch ihr Plädoyer halten.

So oder so wird der Fall die Justiz voraussichtlich noch länger beschäftigen: Sollte das Landgericht den Fall nicht Karlsruhe vorlegen, sondern Semsrott verurteilen, will der Journalist alle Rechtsmittel ausschöpfen, um den Fall vor das höchste deutsche Gericht zu bringen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.10.2024, 15:30 Uhr

10 Kommentare

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  1. 10.

    Was soll man sagen, Richter werden als Juristen erzogen. Das kann um 1088 auf und der Kaiser wollte sie gern für sich als Verwalter haben. Der Hintergrund der Schaffung von konsistenten Regeln trat damit wohl bald in den Hintergrund und die Wünsche des Kaisers in den Vordergrund. Da die Ausbildung noch immer auf denselben Prinzipien wie unter den Kaiser basiert, möchten die Juristen bzw Richter natürlich nicht, dass Ihnen Fehler nachgewiesen werden. Wie eine Richterin zu mir mal sagte, besser ein unschuldiger hinter Gittern als ein Schuldiger frei. Also genau das Gegenteil von in dubio pro reo, welches die Grundlage für Demokratie und Rechtsstaat sind und die Macht insbesondere von Richtern einschränkt. Natürlich mögen die Richter das nicht und dürften jetzt versuchen ein Exempel ihrer Macht zu bilden. Willkommen in der Bürokratie (Herrschaft der Verwaltung) Deutschland.

  2. 9.

    In Zeiten der Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit und Vertuschungen von staatlicher Seite sind mutige Journalisten wichtiger denn je, um Machtbesessene in die Öffentlichkeit zu zerren die meinen alle Gesetze auf ihrer Seite zu haben. Eine richtige Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht könnte verkrustete Strukturen aufweichen.

  3. 8.

    Das ist ein Beispiel für eine mutige und verantwortungsvolle Arbeit des Journalisten. Er will nur Mißstände aufzeigen und das nennt man Pressefreiheit. Vorbildlich. Hoffentlich wirds nicht zu teuer.

  4. 7.

    Wer wird den Machtkampf Journalist -Justiz gewinnen?
    Vorsätzlich das Recht gebrochen um die eigene Sicht und damit Verdienst zu verbessern. Frage Knast oder Geldstrafe? Ich glaube eine Geldstrafe nicht unter 100 000,-€ wäre hir bestimmt angezeigt und besser als Knast.

  5. 6.

    Da der Journalist von dem Paragrafen wusste, wird er auch nichts gegen 1 Jahr Gefängnis haben.

  6. 5.

    Es geht doch gerade nicht um eine unwissende Berichterstattung oder Videos bei Tiktok.

    Sondern ausführliche Presseartikel, die konkret die Beschlüsse des Amtsgerichtes in München auseinander nehmen und analysieren.
    Die Verdächtigen der letzten Generation waren in dem Fall gerade damit einverstanden und wollten auch an die Öffentlichkeit.

    Es geht ja gerade darum, dass das Gericht in München die Überwachung von Pressekommunikation genehmigt hat ohne sich weiter mit den Auswirkungen auf die Pressefreiheit zu befassen oder eine gründliche Abwägung zu treffen.
    Am Ende ohne Ermittlungserfolg. Es liefen nur Interviewanfragen o.ä. über den abgehörten Telefonanschluss.

    Zusammenfassung:
    Erkenntnisse über nicht bereits öffentlich bekannte Strukturen der Letzten Generation oder deren Reisebewegungen im Zusammenhang mit dem Strafvorwurf des § 129 StGB habe man nicht erlangen können.

    Siehe LTO vom 11.09.2024

  7. 4.

    Auf einer anderen Ebene ist der Fall - sicherlich mit politischerem Einschlag als seinerzeit angesichts des kommerziellen - eine Wiederholung des Prozesses seitens N 24.

    Das BVerfG wies das Ansinnen von N 24 ab, jederzeit aus Gerichtssälen senden zu dürfen. Die haben das natürlich lang und ausführlich begründet und ein Satz wurde dabei in sämtlichen Zeitungen im Original zitiert - sozusagen als Quintessenz:

    "Recht wird gesprochen IN der Öffentlichkeit, nicht FÜR die Öffentlichkeit." (Hervorhebung des Zungenschlags von mir).
    Damit ist alles gesagt. Wer 1 und 1 zusammenzählen kann, kann sich den Hintergrund und die Folgen davon erschließen.

  8. 3.

    "In Zeiten von Fake News seien Originalquellen für eine fundierte Diskussion umso wichtiger."

    Informationen zu laufenden Ermittlungen dienen nicht der Bespassung und sind auch keine Wasserstandsmeldungen. Ob der Herr die Ermittlungen gegen ihn im Livestream auf tiktok sehen will?

  9. 2.

    Wir brauchen keine reißerische Berichterstattung aus Gerichten !

    Und das Persönlichkeitsrecht gilt auch für Angeklagte und Zeugen.

  10. 1.

    Gesetze könnten generell mit einem MHD von z.B 1-20 Jahren versehen werden und nach Ablauf jeweils entschieden werden, ob sie verlängert werden sollen.

    So könnten Paragraphen, die aus der Zeit gefallen sind, leichter wieder verschwinden und damit Bürger und Ämter Zeit einsparen helfen.

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