Unerwartetes Karriereende | Volleyballer Benjamin Patch - Von der Kunst, erfolgreich zu sein
Mit 27 Jahren verkündet Volleyballer Benjamin Patch eine Pause vom Sport. Wie lange sie dauern wird, lässt er offen. Untätig ist Patch nicht: Er reist, modelt und baut sein Unternehmen auf. Wie geht es ihm nach fast einem Jahr ohne den Profisport? Von Lynn Kraemer
Im Juni 2022 macht Benjamin Patch Schluss. Der Diagonalangreifer der BR Volleys kündigt mit 27 Jahren eine Pause vom Profisport an. Dabei geht sein Vertrag noch bis 2024 und er gehört zu den Topspielern der Liga. Doch es geht nicht mehr. Er braucht Abstand vom Sport.
In einem Berufszweig, dessen Karrieren zeitlich begrenzt sind und oft durch Verletzungen ausgebremst werden, kommt diese Entscheidung unerwartet. “Du bist doch noch so jung”, habe er sehr oft gehört. Denn: Netzhoppers-Kapitän Dirk Westphal wird seine aktive Karriere nach dieser Saison erst mit 37 Jahren beenden, bei Dürens Tomas Kocian-Falkenbach wird es mit 35 Jahren so weit sein.
Patch dagegen nähert sich gerade erst der 30. Und doch: "Wer legt fest, wie lange du an etwas festhalten musst? Wenn ich alles gegeben habe, kann ich dann nicht etwas Neues anfangen? Zeit sollte da kein Faktor sein", sagt Benjamin Patch.
Der Anfang vom Ende
Fast ein Jahr liegt die Entscheidung von Benjamin Patch zurück. "Meine Beziehung zum Volleyball ist jetzt deutlich besser", so der US-Amerikaner, der inzwischen in Mitte lebt. Während seine Ankündigung für die Liga überraschend kam, war sie für Patch das Ergebnis eines langen Abwiegens: "Du fragst dich als Sportler immer, wann das Ende kommt. Ich erinnere mich an die stundenlangen Busfahrten. Acht Stunden sitzt du einfach nur da. Natürlich ist das nett, aber ich wollte mehr mit meiner Zeit machen."
Patch wurde bei den BR Volleys als Spieler mit vielen Leidenschaften bekannt: Volleyball, Design, Fotografie, Töpfern und Mode. Er engagierte sich für die queere Community. Nur das System Profisport passte für ihn nie so ganz: "Ich habe mich in den Sport verliebt. Aber mit dem Profitum habe ich wirklich gehadert." Er interessiere sich weniger fürs Gewinnen, als durch die Luft zu fliegen und übers Feld zu flitzen.
Eigentlich wollte Patch bereits nach den Olympischen Spielen in Tokio als Karrierehöhepunkt aufhören. Doch kurz vor dem Turnier wurde er aus dem US-Kader gestrichen. "Ich habe sofort eine gewisse Distanz zum Volleyball gespürt. Ich wusste, dass ich nicht die Energie habe, noch drei Jahre bis Paris weiterzumachen." Stattdessen entschloss er sich noch ein Jahr für Berlin zu spielen.
Während dieser Zeit habe er immer mehr realisiert, dass es auch ohne den Sport gehe: "Ich hatte das Gefühl, dass ich mit meinen anderen Leidenschaften etwas habe, worin ich auch erfolgreich sein kann." Kaweh Niroomand, den Geschäftsführer der BR Volleys, weihte er mehrere Monate vor Saisonende ein. "Ihm gegenüberzusitzen und ihm zu sagen, dass es nicht geht, war unfassbar schwer", so Patch. Er habe Angst gehabt: "Kaweh hat mir so viel gegeben. Kaweh war nicht nur mein Boss, sondern auch Freund und Vaterfigur." Auch nach der gewonnenen Meisterschaft ließ sich Patch nicht umstimmen. "Es hat sich richtig angefühlt. Es hat sich hart angefühlt. Das tut es noch immer. Aber es fühlt sich richtig an. Ich mag, wo es hingeht", sagt der 28-Jährige.
Neuer Druck
Der Abschied vom professionellen Sport bringt für Patch auch ganz banale Aufgaben mit sich: Arzttermine selbst machen und sich um Versicherungen kümmern. Aber auch das Visum verlängern. "Ich wünschte, es wäre einfacher dort zu leben, wo man leben will", so Patch, der sich eher in Berlin als den USA sieht.
Und er musste sich einen neuen Alltag aufbauen. "Einerseits ist es schön diese Freiheit zu haben, aber gleichzeitig bist du diese Freiheit einfach nicht gewöhnt. Du dachtest, dass du das wirklich willst, aber ohne die Struktur fühlt sich diese Freiheit fast nach Wahnsinn an", sagt Patch. Er habe sich klarmachen müssen, dass er jetzt verantwortlich ist. Statt die plötzlich freien Wochenenden zu genießen, stürzte sich Benjamin Patch, der während seiner Volleyball-Laufbahn in Utah Design studiert hat, sofort in seine neue Karriere: "Ich mag es hart zu arbeiten. Ich bin fokussiert. Vielleicht fokussiere ich mich auf zu viele Dinge, weil ich so viel machen will. Aber als ich aufgehört habe, wollte ich nicht warten." Für sein Label, das sich mit Innenarchitektur, Architektur und Einrichtung beschäftigt, baute er sich in den letzten Monaten ein Netzwerk auf.
"Ich wollte so schnell wie möglich beweisen, dass ich abseits des Sports erfolgreich sein kann", sagt Patch. Dadurch habe er sich viel Druck gemacht: "Du fängst ein Unternehmen an und willst sofort Bill Gates sein. So läuft das aber nicht." Auch damit musste er lernen umzugehen.
Trotz neuem Fokus ist Patch dem Volleyball weiter treu. Für die BR Volleys tritt er immer wieder als Botschafter auf und berät andere Klubs und Verbände. "Wenn wir immer weiter das gleiche machen, wachsen wir nicht. Und ich möchte, dass Volleyball wächst. Ich glaube, das ist möglich", so Patch über seine Vision. Irgendwann wolle er an den Punkt kommen, an dem er die Volleys als Sponsor unterstützen könne.
Von der Kunst, erfolgreich zu sein
Viel würde der 28-Jährige an seinem Übergang vom Profisport nicht ändern: "Bereuen ist eine Ausrede dafür, dass man nicht im Jetzt lebt." Daran müsse er sich immer wieder erinnern. "Es hätte mir geholfen, wenn ich nicht so viel hinterfragt hätte, ob mein Weg zu Erfolg führt", sagt Patch. Für ihn sei Erfolg nicht mit Geld gleichzusetzen: "Erfolg kann so viel sein. Wenn ich glücklich, kreativ und mir selbst treu bin, ist das für mich Erfolg. Wenn meine Ideen und Zukunftspläne nicht klappen sollten, dann ist das in Ordnung. Dann war ich immer noch erfolgreich, weil ich bei mir war."
Patch übt Kritik an dem Dauerdruck, dem Sportlerinnen und Sportler ausgesetzt werden. Wenn der Fokus stärker auf mentaler Gesundheit gelegen hätte, würde er vielleicht noch spielen: "Es wird Perfektion in allen Bereichen erwartet. Das ist nicht fair." Kein Mensch könne immer auf höchstem Level performen. "Viele Sportler gehen weit übers Limit. Irgendwann kommt es zum Breaking Point. Dann geht es nicht mehr und sie müssen pausieren." Und trotzdem ist Patch mit seinem Schritt eher allein. Bekannte Beispiele wie die Turnerin Simone Biles oder Tennisspielerin Naomi Osaka zeigen allerdings, dass der Umgang mit mentaler Gesundheit auch im Leistungssport offener wird.
Patchs Karrierewechsel wurde auch dadurch einfacher, dass er viel Unterstützung bekam. Zumindest aus Berlin: "Es berührt mich sehr, dass die Menschen wirklich geschätzt haben, was ich bei den Volleys gemacht habe. Sie haben mich akzeptiert und ich durfte verrückt sein." Von seinen Trainern aus dem US-Team habe sich bis heute niemand gemeldet.
Pause oder Abschied?
Im Januar sah es kurz so aus, als ob Patch für die Volleys aufs Feld zurückkehren würde. Er tauchte auf den Kaderlisten für Bundesliga und Champions League auf. "Das war nur als Notfallplan gedacht", so der Diagonalangreifer, der nachgemeldet wurde. Denn Volleyball hat er seit dem Ende der letzten Saison nicht mehr trainiert. Zwischendurch mal im Sand, aber dann nur aus Spaß.
Er ertappe sich immer mal wieder bei Gedanken an die Rückkehr: "Wenn ich zu den wichtigen Spielen gehe, vermisse ich diese großen Momente. Dann muss ich mich immer wieder daran erinnern: Das ist nur ein Spiel." Gegen ein Weltklasseteam wie Perugia gehe es schließlich nicht jede Woche.
Vor zwei Wochen stand Benjamin Patch zum ersten Mal wieder auf dem Feld in einer Halle. Er spielte als Libero. "Das hat super viel Spaß gemacht, weil es wieder wie ganz am Anfang war", so Patch. Seine Mitspieler seien alle keine Profis gewesen, aber er habe sich wohlgefühlt: "Es ging nicht ums Ego. Nur um den Sport."
Mit einer schnellen Rückkehr des Diagonalangreifers sollten Fans trotzdem nicht rechnen: "Ich will wirklich wissen, wie erfolgreich ich mit meiner anderen Leidenschaft sein kann. Und vielleicht erlange ich dadurch die Freiheit, dass ich wieder mit dem Sport anfange." Aber Vollzeit könne er Volleyball aktuell nicht mehr betreiben. Wenn Benjamin Patch in der Max-Schmeling-Halle ist, kann er kaum einen Meter gehen, ohne angesprochen zu werden: "Ich sage immer, dass ich es nicht weiß. Es ist wirklich so. Jetzt gerade sehe ich es nicht, aber wer weiß."
Sendung: rbb24, 21.03.2023, 21:45 Uhr