Fußball-Oberliga Nord - Nach dem Derbysieg ist vor dem Aufstieg
In der Oberliga Nord liefern sich der SV Lichtenberg 47 und Hertha Zehlendorf ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Tabellenspitze. Der Meister würde direkt in die Regionalliga aufsteigen. Und so waren die 47er im Bezirksderby gegen Sparta unter Zugzwang. Von Friedrich Rößler
Schon beim Verlassen des U-Bahnhofs Magdalenenstraße kündigen Plakate das bevorstehende Bezirksderby zwischen dem SV Lichtenberg 47 und Sparta Lichtenberg an. Fußballfans in leichten Sommersachen erklimmen den kleinen Anstieg der Ruschesstraße, bevor es ins Hans-Zoschke-Stadion geht. Die Heimspielstätte von den 47ern ist umrahmt von zwei Gebäuden des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, doch die Stasi ist längst Geschichte, das "Zoschke" hat die DDR und die Wendejahre überlebt.
Vor dem Einlass herrscht eine Stunde vor Anpfiff schon mächtig Betrieb. Doch Hektik kommt nicht auf. Man kennt sich, frau auch und alle plaudern freundlich miteinander. Neben dem Haupteingang sammeln sich die Einlaufkinder und diskutieren, ob ihr Team heute 2:1 oder höher gewinnen wird.
"Wir sind ein traditionsverwurzelter Verein, gerade hier in Lichtenberg. Die Leute kennen den Verein von früher und schicken ihre Kinder hier her", erzählt Lichtenberg 47-Präsident Michael Grunst. Die Fans sähen im Stadion einen familienfreundlichen Fußball mit ehrlichen Preisen und ehrlichem Fußball. "Das Zoschke ist noch so ein richtiges altes Fußballstadion, wie die Alte Försterei von Union früher", fügt Grunst hinzu.
Jeder gern gesehen
Auch der Fanbeauftragte Helmut Barta vom SV Lichtenberg 47 schwärmt vom Stadion: "Jeder ist hier gern gesehen. Man kommt hier rein, steht direkt am Spielfeldrand und erlebt Fußball, wie er früher war, nicht ganz so kommerzialisiert." Diese Atmosphäre zieht heute mehr als 2.000 Fans an, denn es geht einerseits um die Bezirksmeisterschaft und andererseits um den Titel in der Oberliga Nord.
Die 47er wollen nach dem Abstieg aus der Regionalliga Nordost den Wiederaufstieg schaffen und marschieren dabei zusammen mit Hertha Zehlendorf in der Tabelle voran. Ausgerechnet der Drittplatzierte - Sparta Lichtenberg - könnte da zur Stolperfalle werden. Doch von hitziger und feindseliger Derbystimmung möchte 47-Präsident Grunst nichts wissen. "Zwischen Sparta und L47 gibt es eine gesunde Konkurrenz, wir kennen uns, es ist alles sportlich fair. Wir duzen uns, wir trinken gemeinsam ein Bier, wir freuen uns alle auf das Derby."
Was der Präsident erzählt, das leben auch die Spieler. Vor dem Anpfiff wird abgeklatscht, hier und da ein Smalltalk und einige nehmen sich gegenseitig in den Arm. 47-Verteidiger Sebastian Reiniger bringt es auf den Punkt: "Wir wollen eben nur Fußball spielen und haben alle Spaß daran, unser Bestes zu geben." Der Rest gehöre da einfach nicht hin. Mit dem Anpfiff von Schiedsrichter Lukas Pilz ist es dann aber vorbei mit der Freundlichkeit. Von der ersten Sekunde an treibt die 47er-Fankurve ihr Team an. Rot-weiße Fahnen wehen, eine Trommel gibt den Takt für die Gesänge vor.
Bobby haut ihn raus
Und auch die Gästefans haben sich etwas überlegt. Zum Anpfiff ziehen sie ein Banner hoch, auf dem ein antiker Spartaner mit Helm und Rüstung zu sehen ist. Darunter erinnert die Gründungszahl 1911, dass Sparta der ältere Lichtenberger Verein ist.
Auf dem Platz fühlt sich Mittelfeldspieler Gabriel Figurski Vieira von Lichtenberg 47 von den Rufen aus der Kurve besonders ermutigt. "Die Fans sind auf jeden Fall sehr nah mit uns und direkt beim Anstoß hat man das auch gemerkt, dass einem das einen Extra-Push gibt." Nach 18 Minuten erzielt er das 1:0, nach 29 Minuten das 2:0.
Sparta versucht viel, doch die Abwehr von den Gastgebern hält. Großen Anteil daran hat Sebastian Reiniger, den die Fans mit "Bobby haut ihn raus"-Rufen belohnen. "Mein Spitzname Bobby ist schon in der Schulzeit entstanden unter Freunden und wie genau, kann ich gar nicht mehr sagen", erklärt der galtzköpfige Abwehrrecke die Anfeuerungsrufe. Das habe sich dann durchgesetzt und sogar seine Mama nenne ihn mittlerweile so. "Die Fans singen das dann immer, wenn ich den Ball kläre."
Für die Heimfans scheint auch das Ergebnis schon geklärt zu sein, denn schon vor dem Anpfiff hängt ein Banner mit der Aufschrift "Derbysieger" in der Kurve. Die Provokation gibt ihnen Recht, denn Hannes Graf erhöht in der 67. Minute zum 3:0. Die Gäste bekommen später ebenfalls einen Elfmeter zugesprochen, doch Torhüter Nikals Wollert hält zum Entsetzen der Sparta-Fans.
Werbung für den Amateurfußball
Mit der Führung im Rücken stimmt die 47er-Fankurve einen Gesang nach dem anderen an. Erst wolle man die Meisterschaft gewinnen, dann den Landespokal und nächste Saison erneut in der Regionalliga Nordost spielen. Bevor es soweit ist, gewinnt der SV Lichtenberg aber sein Heimspiel gegen Sparta und macht sich damit zum Bezirksmeister beziehungsweise Derbysieger.
Das feiern nach dem Abpfiff Mannschaft und Fans zusammmen ausgiebig im Wechselspiel mit Gesang und Gehüpfe. In der anschließenden Pressekonferenz im Vereinsheim vor ein paar älteren Herren mit frisch gezapften Bieren lobt Sparta-Trainer Dragan Kostic die starke Defensive des Gegners und analysiert die Niederlage. "Der Gegner war cleverer und wir sind da was L47 betrifft sicher noch etwas zu grün." Anschließend wünschte Kostic dem Gegner viel Erfolg im Aufstiegsrennen.
Rudy Raab, Cheftrainer der 47er, ist vor allem stolz auf den tollen Fußballnachmittag im Zoschke-Stadion: "Wir haben heute den Derbysieg geholt und Hertha Zehlendorf wieder von der Tabellenspitze verdrängt und mit über 2.000 Zuschauern war das schon Werbung für den Amateurfußball.“
Traum vom Lichtenberger Pokalfinale
Lichtenberg 47 will sich jetzt Schritt für Schritt und Spiel für Spiel die Meisterschaft sichern. Und denkt schon ein bisschen an das nächste mögliche Lichtenbergderby. "Wir träumen tatsächlich von diesem Pokalfinale im eigenen Stadion und wir würden uns auch Sparta gern hier wünschen, denn für den Bezirk wäre das unglaublich toll", sagt Abwehrmann Reiniger.
Ob es dazu kommen wird, haben beide Teams selber in der Hand: Der SV Lichtenberg muss im Halbfinale auswärts gegen den Regionalligisten Viktoria ran, Sparta bekommt es zu Hause mit TuS Makkabi zu tun. Bei aller 47er-Euphorie tritt Verteidiger Reiniger trotzdem sanft auf die Bremse, denn "jetzt sei aber auch die Phase, wo man alles gewinnt oder alles verliert." Und manchmal platzen Träume auch.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.04.2024, 11:15 Uhr