Aufstiegsrennen in der 2. Frauen-Bundesliga - Turbine Potsdam zwischen großer Chance und großer Fallhöhe
Turbine Potsdam will am Sonntag den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga perfekt machen. Mit einem solchen Erfolg hat zu Beginn der Saison kaum jemand gerechnet. Es wäre ein märchenhaftes Ende der Karriere von Bianca Schmidt. Von Jakob Lobach
Bei prallem Sonnenschein machen sich die Fußballerinnen von Turbine Potsdam am Mittwochvormittag im Sportpark Luftschiffhafen an die Arbeit. Warmlaufen am Rand des frisch gesprengten Rasens, Sprünge und Sprints für die Explosivität, Pass- und Abschlussübungen zwischen gelben Metallfiguren und Plastikstangen. Unter den wachsamen Augen von Trainer Dirk Heinrichs arbeiten dessen Schützlinge gewissenhaft. Kein Wunder, wartet auf sie am Wochenende doch ein Spiel, dass die Zukunft ihres gesamten Klubs maßgeblich mitbestimmen wird.
Ein überraschender Erfolg zum Greifen nah
Am kommenden Sonntag (14 Uhr) absolviert Turbine beim FC Ingolstadt das letzte Spiel der laufenden Zweitligasaison. Mit einem Sieg würden die Potsdamerinnen die Meisterschaft und den Aufstieg in die Bundesliga perfekt machen – exakt 363 Tage nach dem letztjährigen Abstieg. Es wäre ein Erfolg, den im Vorfeld der Saison außerhalb des Klubs kaum einer für möglich gehalten hat. Ein Erfolg, der Turbines Zukunftsaussichten zumindest mittelfristig massiv verbessern und gleichzeitig einer Potsdamerin ein sehr passendes Karriereende bescheren würde.
Es ist noch nicht so lange her, da erschien dieses Szenario wie eines, das sich irgendwo zwischen unwahrscheinlich und undenkbar einordnen ließ. Zu groß waren die Fragezeichen im vergangenen Sommer nach dem Abstieg aus der Bundesliga, dem ersten nach titelreichen 29 Jahren in der Beletage des deutschen Frauenfußballs. Würde Turbine sich von diesem strukturell und finanziell erholen? Würden sich die unzähligen Abgänge nahezu aller Leistungsträgerinnen sportlich kompensieren lassen? "Wir sind abgestiegen und jeder hat gedacht, dass wir nicht mehr wiederkommen", erinnert sich Turbines Abwehrspielerin Jennifer Cramer.
Wenngleich Vereinspräsident Karsten Ritter-Lang bereits damals den direkten Wiederaufstieg als Saisonziel ausgab – und dafür von vielen Seiten mindestens belächelt wurde –, weiß auch Cramer: "Wir hatten eine neue, sehr junge Mannschaft und mussten erstmal schauen, wo wir stehen." Wenig später ergänzt Trainer Heinrichs: "Und dann sind die ersten Spiele auch ein bisschen in die Hose gegangen."
Vom Fehlstart zur Rolle der Gejagten
Die ersten drei Partien der Saison 2023/24 verloren die prominenten Absteigerinnen. Darunter waren zwei knappe Niederlagen gegen Carl Zeiss Jena und den SV Meppen – die beiden Mannschaften, die im Rennen um die Aufstiegsplätze eins und zwei nun hinter den Potsdamer Tabellenführerinnen lauern. Womit wir bei der auf den ersten Blick simplen Ausgangslage im Aufstiegsrennen wären: Mit einem eigenen Sieg in Ingolstadt könnte Turbine Meisterschaft und Aufstieg im Alleingang perfekt machen. Komplizierter würde es im Falle eines Unentschiedens oder einer Niederlage.
Holt die Mannschaft von Trainer Heinrichs in Ingolstadt einen Punkt, wäre sie aufgrund ihres klar schlechteren Torverhältnisses im Vergleich zu Jena und Meppen dennoch darauf angewiesen, dass mindestens eine der beiden Mannschaften nicht gewinnt. Im Falle einer Niederlage müsste entweder Jena verlieren oder Meppen maximal einen Punkt holen, damit Turbine aufsteigt. Weil Jena und Meppen aber am Sonntag gegen die Tabellenletzten und -vorletzten spielen, könnte ein Sieg für Turbine in Ingolstadt Pflicht werden. "Jetzt kommt das große Finale. Die Mädels haben Bock darauf und wollen dieses Spiel gewinnen", sagt Dirk Heinrichs, "und dann hätten wir etwas Großes für diesen Verein geschafft."
Bianca Schmidts persönliches Märchen
Bei einem Aufstieg am Sonntag hätte Turbine nicht nur Großes geschafft, sondern wäre auch zurück im Kreise der großen, der klangvollen Namen, die in den vergangenen Jahren nach dem Männerfußball auch den der Frauen erobert haben. Statt gegen die zweitklassigen Zweitvertretungen des FC Bayern, des VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim ginge es kommende Saison wieder gegen deren Bundesligateams. Die Frage, ob Turbine als reiner Frauenfußball-Verein mit zunehmenden strukturellen und auch finanziellen Nachteilen weiterhin in deren Kreise gehört, könnte man Stand jetzt mit einem "Ja" beantworten. Es wäre ein Erfolg, der auch in Bianca Schmidt wohl große Emotionen wecken würde.
Angesprochen auf ihre Gefühlslage rund um das Spiel am Sonntag, sagt die 34-jährige Abwehrspielerin am Mittwoch mit einem Lachen: "Vielleicht heule ich, vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich auch schon nach fünf Minuten betrunken, wenn wir Meister werden sollten." Ob nun leicht beschwipst oder ganz und gar nüchtern: Emotional wird das Spiel gegen Ingolstadt für Schmidt so oder so, schließlich ist es das letzte in der langen Karriere des Potsdamer Eigengewächses.
Mit 16 Jahren wechselte Schmidt im Jahr 2006 nach Potsdam, wo sie anschließend nicht nur vier Meistertitel gewann und den entscheidenden Elfmeter zum Champions-League-Titel verwandelte, sondern auch zur Nationalspielerin und zweifachen Europameisterin wurde. Diese Erfahrungen und das Wissen aus insgesamt zwölf Potsdamer Jahren brachte Schmidt vergangenen Sommer mit, als sie aus dem schwedischen Rosengard zurückkehrte. "Es war der Masterplan, Turbine zurück in die erste Liga zu führen", sagt Schmidt, der man regelrecht ansehen kann, was ihr dies bedeuten würde. "Es wäre mein eigenes Märchen", stellt sie klar.
Die Fallhöhe ist groß
Klar ist aber auch: Die Fallhöhe, die mit Turbines letztem Saisonspiel in Ingolstadt einhergeht, ist groß. Steigen die Potsdamerinnen am Sonntag – auf welchem Wege auch immer – nicht in die Bundesliga auf, dürfte dieser Schritt in den kommenden Jahren nur noch schwerer werden. Nicht zuletzt, weil der Hamburger SV perspektivisch in die Bundesliga drängt und mit dem 1. FC Union ein Team kurz vor dem Aufstieg in die zweite Liga steht, das schon jetzt unter Bundesliga-Bedingungen geführt wird. Auch ihm würde Turbine Potsdam mit einem Sieg in Ingolstadt vorerst aus dem Weg gehen. "Das wäre ein super Abschluss meiner Karriere", sagt Bianca Schmidt am Mittwoch, während hinter ihr der Potsdamer Rasen gesprengt wird. Und Jennifer Cramer ergänzt: "Dann würden wir alles abreißen."
Sendung: DER TAG, 22.05.2024, 18 Uhr