Fußball-Europameisterschaft - Fünf besonders schöne und skurrile Momente der EM
Mit welchen Assoziationen man zukünftig auf die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland zurückblicken wird, wird die Zeit zeigen. Ein paar heiße Kandidaten zeichnen sich aber bereits jetzt ab. Von Ilja Behnisch
Robert Andrichs Frisur und Jens Lehmanns Aufregung
Dass Robert Andrich als Stammspieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in diese Europameisterschaft gehen würde, hatten zu seinen Zeiten beim 1. FC Union Berlin sicherlich nur die wenigstens auf dem Zettel. Was man da schon viel eher auf dem Zettel haben konnte: Andrichs Faible für alles Extravagante. Der gute Mann ist schließlich nicht nur reichhaltig tätowiert (unter anderem mit einer symbolhaften Grätsche), sondern auch seit jeher gewillt, sein Haupthaar radikalen Veränderungen zu unterziehen. Von voller Tolle bis zum blonden Irokesen war schon so ziemlich alles dabei, was Friseurläden mit Namen wie "Haarspalterei" oder "Hairlich" zu bieten haben.
Da kam auch der rosa gefärbte Irokese, den Andrich im Laufe der EM präsentierte, nicht von ungefähr. Für einen Aufreger sorgte die Frisur dennoch. Denn Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann hatte so seine ganz eigene Meinung zur Haarmode Andrichs: "Heutzutage muss man ja vorsichtig sein, weil vielleicht fühlt er sich ja heute auch als Frau oder so. (…) Erst waren es blonde Haare, jetzt sind es pinke Haare. Was will er uns damit zeigen? Hat er irgendwie Persönlichkeitsprobleme, dass er so auffallen muss?"
Zudem zeigte sich Lehmann besorgt, schließlich könne so eine Haarfarbe auch irritieren! "Was ist, wenn der gegnerische Torwart heute ein pinkes Trikot anhat?" Ähnliches Experten-Niveau lieferte Lehmann vor dem Viertelfinal-Duell der deutschen gegen die spanische Mannschaft. Die sei viel zu klein, um der DFB-Elf gefährlich werden zu können, so Lehmann. Das 2:1-Siegtor für die Iberer schoss übrigens ein gewisser Mikel Merino. 1,89 Meter groß. Und: akkurat gescheitelte, nicht gefärbte Haare.
Die Unwetter-Unterbrechung bei Deutschland-Dänemark
Das Dortmunder Stadion ist weltberühmt für seine "gelbe Wand". Hier stehen die treuesten der ohnehin treuen Anhänger von Eigentümer Borussia Dortmund. 25.000 Menschen, die gemeinsam gehörig Gänsehaut erzeugen können. Oder einschüchtern. Je nachdem, mit wem man es hält. Beim Achtelfinal-Spiel zwischen Deutschland und Dänemark übernahm diese Rolle der Wettergott.
Für 25 Minuten musste die Partie unterbrochen werden, weil es blitzte und donnerte und goss, als hätten sich in den Wolken ein Schalke- und ein Dortmund-Anhänger in die Haare bekommen. Vom Stadion-Dach kam es einem Wasserfall gleich herunter. Und während vor allem die dänischen Fans die Gunst der Stunde zu einem launigen Tänzchen nutzten, zeigte der Dortmunder Rasen, was er kann. Dass die Partie nach Wiederanpfiff ohne jede Komplikation wieder aufgenommen werden konnte, war ein kleines Fußball-Wunder. Und so wäre es nicht verwunderlich, wenn zumindest auf der Ersatzbank der besten Akteure der EM 2024 zu lesen wäre: Drainage Westfalenstadion.
Der weinende Cristiano Ronaldo
Sie bissen sich die Zähne aus an der slowenischen Abwehr, die Edel-Kicker Portugals. Ihr Super-Super-Superstar und Kapitän, der 39-jährige Cristiano Ronaldo? Komplett abgemeldet. Ein paar Freistöße, die er mit Lichtgeschwindigkeit in den Nachthimmel beförderte. Aber sonst? Doch dann kam die Verlängerung, dann kam die 105. Minute. Elfmeter für Portugal, Elfmeter für Cristiano Ronaldo. Der Mann mit den meisten EM-Treffern, EM-Spielen, EM-alles aller Zeiten trat an und — scheiterte am glänzend reagierenden slowenischen Torhüter Oblak. Dann öffneten sich die Schleusen bei CR7 - wie bei eben erwähntem Dortmunder Nachthimmel.
Der Mann, dessen Ego und Muskeln sich die Waage zu halten scheinen und aber jederzeit jedes Stadion der Welt allein ausfüllen könnten, weinte hemmungslos, für alle Welt sichtbar. Der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Der eitle Gockel jammere doch nur um sich selbst, fanden nicht wenige. Andere hatten tatsächlich Mitleid mit einem, der seit 20 Jahren die Schlagzeilen des Weltfußballs diktiert und vielleicht einfach ebenso lange Druck verspürt, so schwer wie Atlas die Welt auf seinen Schultern. So oder so: Kompliment an die Drainage im Frankfurter Stadion.
Die holländischen Fans
Man musste kein ausgewiesener Fußball-Experte wie Jens Lehmann sein, um zu wissen, dass die Niederlande und Deutschland zumindest auf dem Rasen als ausgesprochene Erzrivalen gelten. Eine Rivalität, die in der Vergangenheit unter anderem dazu führte, dass sich der heutige Trainer der niederländischen Mannschaft, Ronald Koeman, 1988 in Hamburg und nach einem Sieg über Deutschland symbolisch das Gesäß reinigte — mit einem deutschen Trikot. Oder dazu, dass ein niederländischer Spieler, nennen wir ihn Frank Rijkaard, den deutschen Volkshelden Rudi Völler ins wie gemalte Haupthaar spuckte bei der WM 1990. Warum nur?
Jens Lehman würde vermutlich sagen: Wegen zu viel Oranje. Der Nationalfarben der Niederlande. Alle anderen würden vermutlich auf die Geschichte und das grundsätzlich schwierige Verhältnis unter Nachbarn verweisen. Und nun? Während der EM 2024? Alles wie weggeblasen! Und das nur, so scheint es, weil die Niederländer "von links naar rechts" wippten und das durch alle deutschen Städte, in denen ihre sogenannte Elftal Station machte. Es wäre ein hoher Preis, aber trotzdem: Wenn sich doch nur alle Rivalitäten mit ein bisschen Kirmes-Schlager niederländischer Prägung lösen ließen!
Mbappés Appell
Die Europameisterschaft sei wichtig, sagte Frankreichs Superstar Kylian Mbappé vor Turnierbeginn. Es gebe aber auch Dinge, "die wesentlich wichtiger sind". Frankreich befinde sich angesichts der hohen Umfrage-Werte des rechten Rassemblement National an einem wichtigen Moment seiner Geschichte: "Vielleicht ist er so wichtig wie noch nie." Mbappé verband seine Worte mit einem Wahlaufruf für den Urnengang zur Nationalversammlung und mehr noch, mit einer klaren Abgrenzung gegenüber dem RN.
"Wir sehen, dass die Extreme vor den Toren der Macht stehen", so Mbappé, der "keine Lust habe", ein Land zu repräsentieren, "dass nicht unseren Werten entspricht. Werte der Vielfalt, der Toleranz und des Respekts. Ich hoffe, dass wir am 7. Juli noch stolz sein werden, dieses Trikot zu tragen." Das Ende vom Lied? Der RN wurde überraschend der große Verlierer der Wahl. Und ihre Chefin, Marine Le Pen, ätzte hinterher: "Diese Tendenz, dass Schauspieler, Fußballer und Sänger auftauchen und den Franzosen sagen, wie sie wählen sollen (…) kommt in unserem Land nicht gut an." Mbappé wird das sicherlich anders sehen. Nicht alle Superhelden tragen Umhänge. Manche auch einfach nur kurze Hosen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 12.07.2024, 19:15 Uhr