Nach Turbines Trainerwechsel - Trainersuche im Frauenfußball: "Da kommen oft Überraschungen bei raus"
Kurt wer?! Turbine Potsdam hat mit Kurt Russ einen im Frauenfußball bislang unbekannten Trainer präsentiert. Wie der Klub auf den Österreicher kam und was die Trainersuche bei Frauenclubs von Teams im Männerbereich unterscheidet.
Das erste Spiel mit seinem neuen Team hat Kurt Russ für Eindrücke genutzt. Er wisse jetzt, was zu tun sei, sagte der Österreicher nach der 0:3-Niederlage seiner Turbine Potsdam gegen die SGS Essen. Das Spiel in der Frauenfußball-Bundesliga habe in echt dann doch nochmal anders ausgesehen als am Fernseher, so Russ. Eine Aussage, die ehrlich ist, aber noch einmal unterstreicht, wieso sich der und die ein oder andere über seine Verpflichtung gewundert hat.
Der 59-Jährige ist zwar erfahren im Männerbereich, seit fast 20 Jahren als Co-Trainer und Trainer tätig und das nach einer erfolgreichen Spielerkarriere. In einer Frauenliga hat Kurt Russ bislang aber noch nicht gearbeitet. Während bei abstiegsbedrohten Männer-Teams häufig ein bekannter Kandidatenkreis gehandelt oder am Ende der Jugendtrainer befördert wird, ist der Markt für Frauen-Teams anders aufgestellt. Es sind kreative Lösungen gefragt.
Wenig etablierte Trainer sorgen für viele Überraschungen
"Der Pool an freien Trainern im Frauenfußball, die auf hohem Niveau bewiesen haben, dass sie erfolgreich sein können, der ist nicht so groß", sagt Kay-Ole Schönemann von "Soccerdonna", so heißt das Frauenfußball-Äquivalent des Fachportals "transfermarkt". Schönemann und sein Team führen Statistiken über die Spielerinnen in den Frauenligen, dokumentieren Vereinswechsel und beobachten Gerüchte.
Auch die ehemalige Turbine- und Nationalspielerin Navina Omilade sieht Unterschiede auf dem Trainermarkt im Frauenfußball im Vergleich zum Männerbereich. Außergewöhnliche Trainerentscheidungen seien hier gewissermaßen normal. "Da kommen oft Überraschungen bei raus, weil eben nicht fünf Trainer direkt parat stehen, sondern die Vereine erfinderisch werden müssen", sagt Omilade. "Auch bei der Besetzung des Bundestrainerpostens hätte ich vorher nicht darauf getippt, dass es am Ende Christian Wück wird. Da hätte ich zum Beispiel gedacht, dass eher weiterhin eine Frau gesucht wird", sagt sie.
Längere Amtszeiten, weniger Gehalt
Kay-Ole Schönemann glaubt, das sei auch darin begründet, dass die hire-and-fire Mentalität aus dem Männerfußball in den Frauenligen noch nicht in diesem Maße Einzug erhalten hat. Es gibt deutlich weniger arbeitslose aber bundesligaerprobte Trainer im Frauenbereich als bei den Männern.
Der Trainermarkt für Frauenfußballvereine sei aber auch deshalb ein anderer, weil jahrelang und immer noch deutlich mehr Geld im Männerbereich verdient wird, sagt Navina Omilade. Bei den Männern sei der Markt größer, es gebe mehr top bezahlte Jobs, dadurch würden viele Trainer Karrieren bei Männerteams anstreben.
Auch wenn sich die finanziellen Rahmenbedingungen in der Frauen-Bundesliga inzwischen verbessern, sind die Unterschiede noch immer gewaltig. Eine Sportschau-Umfrage (externer Link) unter Spielerinnen in den ersten beiden Ligen 2023 ergab, dass nur rund 13 Prozent von ihnen über 2.000 Euro brutto im Monat verdienen. Männer verdienen schon in der dritten Liga schätzungsweise 5.000 bis 10.000 Euro. Entsprechend dürften auch die Unterschiede bei den Trainergehältern sein.
UEFA Pro-Lizenz ein Faktor
Die Trainersuche bei Turbine Potsdam wurde zudem von einer neuen Regel in der Frauenfußball-Bundesliga beeinflusst. Im Rahmen der Professionalisierung ist es nun Pflicht für die Teams in der Bundesliga, einen Cheftrainer mit sogenannter "UEFA Pro-Lizenz" zu haben, der höchsten Trainerlizenz des europäischen Fußballverbands UEFA. Der vorherige Turbine-Trainer Marco Gebhardt und der langjährige Co-Trainer und spätere Teamchef Dirk Heinrichs hatten diese nicht. Dank einer möglichen Übergangszeit war das in dieser Spielzeit zwar noch kein regulatorisches Problem, Turbine wollte aber dennoch vorbereitet sein.
Deshalb habe man schon im Frühling und Sommer Trainer gesucht, die diese Lizenz haben und für Turbine in Frage kämen, sagte Geschäftsführer Stephan Schmidt dem rbb. "Da haben wir als Verein gesagt, bevor wir kurzfristig eine Entscheidung fällen müssen, hören wir uns schonmal um", so Schmidt. Auch so rückte Kurt Russ, ein fast 60-jähriger Österreicher, der in der dritten Liga seines Heimatlandes den unbekannten ASKÖ Oedt trainierte, in den Fokus. Er hat eine UEFA Pro-Lizenz (und vor Oedt auch schon nahmhaftere Klubs trainiert). Inhaltlich schätzten die Turbine-Verantwortlichen sein Profil, für die Arbeit mit jungen Spielern bekannt zu sein.
Auf Russ warten Umstellungen in der Teamführung
Sein Spielsystem und die Jugendförderung soll Russ bei Turbine beibehalten. Er muss sich in einigen Dingen aber umstellen nach dem Schritt in den Frauenfußball. Denn auch wenn die Sportart dieselbe ist, gibt es Unterschiede zwischen Männer- und Frauenteams. "In erster Linie ist es die soziale Komponente", sagt Navina Omilade, "mit Frauen ist es ein anderer Umgang. Man muss andere Kommunikationsstrategien fahren, vielleicht ein bisschen sensibler sein. Das muss einem bewusst sein, wenn man aus dem Männerbereich zu den Frauen wechselt." Kurt Russ wird von Turbine-Präsident Ritter-Lang als "sehr empathisch" beschrieben. Das macht Hoffnung auf eine schnelle Eingewöhnung in den Frauenfußball.
Rein praktisch gibt es aber auch Unterschiede in den Abläufen beim Training und am Spieltag. Die Trainer gehen bei Frauenteams beispielsweise nicht einfach ein und aus in der Kabine. "Wenn ein Mann ein Frauenteam trainiert, gibt es feste Zeiten, wann er in die Kabine kommt. Natürlich wenn alle angezogen sind", sagt Omilade. Für sie und andere, die lange Zeit im Frauenfußball gespielt oder trainiert haben, sei das nichts Besonderes, sondern eingespielte Normalität. Auch solche Kleinigkeiten können bei der Integration eines neuen Trainers aber eine Rolle spielen.
Ob ein Trainer aus dem Männerbereich zu den Frauen wechselt, sei den Spielerinnen meistens egal, sagt Omilade: "Da spielt keine Rolle, ob er vorher Frauen trainiert hat oder nicht - Hauptsache, er hat Fach- und Sozialkompetenz und bringt Erfahrungen oder Erfolge mit", so die ehemalige Potsdamerin.
Erste Erkenntnis: Turbine Potsdam muss physisch zulegen
Die erste inhaltliche Erkenntnis von Kurt Russ nach 90 Minuten Frauenfußball an der Seitenlinie war übrigens: Turbine Potsdam muss physisch im Vergleich zur Ligakonkurrenz zulegen. Die nächsten Trainingswochen dürften also hart werden für seine Spielerinnen. Das könnte direkt zur ersten Bewährungsprobe für den Quereinsteiger aus dem Männerbereich werden, wie gut ihm die Ansprache an sein neues Team gelingt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.10.2024, 9:00 Uhr