Verschmutzung der Oder - Der gequälte Fluss
Auf einer Oder-Konferenz wollen die Grünen über Strategien für mehr Gewässerschutz nach dem Fischsterben beraten. Ein Besuch in der Industrieregion im Süden Polens zeigt: Abwassereinleitungen sind weiter tägliche Praxis. Von Tom Schneider
Eine Bootsfahrt auf der Oder, rund 350 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Zugegeben: Einladend sieht das Wasser nicht aus, auf das Angler Grzegorz Marcinkiewicz hinausfährt. Braun und leblos wirkt es in diesen Frühjahrstagen, kein Grün sprießt am Ufer. Ein paar Stockenten hier und da, mehr Leben scheint nicht zu herrschen.
Angler Marcinkiewicz sah den Fluss bisher als seine Lebensgrundlage. Kurse für Sportangeln wollte er hier anbieten, mit einem nagelneuen Boot samt modernem Sonargerät, mit dem er Fische aufspüren kann. "Da, da ist einer! Da, da, da", ruft er fast euphorisch. Denn seit dem großen Fischsterben vergangenen Sommer ist ein Unterwasserwesen im schlesischen Teil der Oder fast eine Rarität. "Das ist die totale Tragödie", klagt der junge Mann. "Alles ist zusammengefallen, mein Verdienst, mein Hobby, meine Leidenschaft. Denn ich kann hier ja nicht rumsitzen, während die Fische nicht mehr da sind. Früher habe ich hier Fische mit Rekordgröße gefangen".
"Letztes Jahr mehrere Massensterben"
Marcinkiewicz war einer der ersten, der die Folgen der Oder-Verschmutzung öffentlich gemacht hat. Mit seinen Tattoos, seiner sportlichen Figur und trendigen Klamotten wirkt er eher wie ein Influencer statt ein Angler. Mit diversen Video-Streams und Webvideos zum Thema Angeln wirbt er auf seinen Internetseiten. Doch auf seinem Youtube-Kanal ist seit dem vergangenen Jahr die Dokumentation einer Umweltkatastrophe in den Vordergrund geraten. Begonnen hat Marcinkiewicz mit seinen Aufzeichnungen lange, bevor das Fischsterben die Grenze zu Deutschland erreichte.
"Es waren hier letztes Jahr mehrere Massensterben", kommentiert er die Bilder auf seinem Smartphone. "Alles fing an im Februar, März, dann wieder und wieder im Juni, Juli, August und September, und es passierte, was passierte." Blaue Müllsäcke an den Ufern zeugten von dem Fischsterben, lange bevor in Deutschland das zunächst rätselhafte Massensterben sichtbar wurde.
Polnische Behörden geben sich unwissend
Bis heute geben sich polnische Behörden eher unwissend, was die Entwicklung und Herkunft der Katastrophe angeht. Umweltschützer wie Agnieszka Konowaluk bringt diese Gleichgültigkeit sichtlich auf die Palme. Sie arbeitet ehrenamtlich als Flusswächterin beim World Wildlife Fund (WWF) und führt uns an die Stelle, an der viele Abwässer aus der Industrieregion rund um Gleiwitz über einen Nebenfluss in der Oder landen.
"Es gibt Tage, an denen bildet sich Schaum auf dem Fluss", beschreibt Konowaluk. "Der ist manchmal gelb, manchmal weiß. Manchmal stinkt der Fluss nach Phenol und anderen chemischen Substanzen, das hängt von der Jahreszeit und der Temperatur ab". Vergangenes Jahr, erzählt sie, hätten auch hier tote Fische geschwommen und andere tote Tiere, zum Beispiel Biber.
Abwasser aus polnischen Kohlebergwerken
Doch woher kam die Verschmutzung, für die bis heute niemand verantwortlich sein will? Die Umweltorganisation Greenpeace glaubt an Salzeinleitungen als Ursache und präsentierte Anfang März in Warschau Ergebnisse von Abwasseruntersuchungen.
Demnach sei der Salzgehalt der entnommenen Proben rund dreimal so hoch wie im durchaus salzigen Wasser der Ostsee. Diese Salzkonzentration habe das Wachstum von Algen begünstigt, die für die Fische tödlich sind.
Der Ursprung dieses Problems: die Kohlebergwerke in der Region Schlesiens. Nicht zuletzt wegen der Energiekrise wird hier Steinkohle im Akkord gefördert. Tief unten in den Stollen entsteht dadurch jede Menge salzhaltiges Grubenabwasser. Das wird ständig abgepumpt und landet in den Flüssen.
Kaum Überwachung der Einleitung
An einer unscheinbaren Wasserrinne nahe der Stadt Zabrze wird das sichtbar. Fördertürme von Kohleminen säumen den Horizont. Plötzlich beginnen hinter einem Absperrgitter gurgelnde Geräusche. Ein Schwall von Grubenabwasser ergießt sich in den Wasserlauf und ein paar hundert Meter weiter in einen Zufluss der Oder. Solche Stellen gibt es in der Region dutzendfach, berichten Umweltschützer.
Für die Einleitungen selbst haben die Minenbetreiber Genehmigungen. Doch der Vorwurf der Umweltschützer ist: Die Aufsichtsbehörden überwachten nur lasch, was wirklich in der Oder landet. "Es gibt keine Beweise für Gefahren für Menschen", verteidigt Małgorzata Marciniewicz-Mykieta von der Behörde für Umweltaufsicht in Warschau. "Unsere Untersuchungen zeigen keine Gesundheitsgefahr".
Kenner der Verhältnisse wie Angler Grzegorz Marcinkiewicz sehen das anders. Mit seinem Boot steuert er an eine Stelle, an der Abwässer aus einer Kläranlage einer Kokerei in die Oder fließen. Das Wasser schimmert dunkel, die Uferböschung zeigt Ablagerungen.
Aus der Luft erschließt sich das Ausmaß der Einleitungen: In schwarzen Wolken mischen sich die Abwässer mit dem Wasser der Oder. Kein Zweifel: Der Fluss ist in Polen mehr ein Nutzgewässer, als ein Biotop. Angler Marcinkiewicz hält weitere Fischsterben für wahrscheinlich. Spätestens, wenn im Sommer die Temperaturen steigen und die Wassermenge sinkt.