Milliardenaufträge für neue Züge - Showdown im Kampf um die Berliner S-Bahn-Ausschreibung

Fr 23.02.24 | 06:31 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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S-Bahn und Infrastruktur am Bahnhof Warschauer Straße, Berlin-Friedrichshaun, Berlin, aufgenommen am 03.02.2023. (Quelle: dpa/Chromorange/Karl-Heinz Spremberg)
Video: rbb24 | 23.02.2024 | Nachrichten | Bild: dpa/Chromorange/Karl-Heinz Spremberg

Mehr als 1.000 neue S-Bahn-Wagen wollen die Länder Berlin und Brandenburg beschaffen. Doch das milliardenschwere Verfahren stockt seit Monaten wegen einer Klage. Vor dem Kammergericht beginnt nun am Freitag die Verhandlung. Von Thorsten Gabriel

Wenn am Freitag ab 10 Uhr im Saal 449 des Berliner Kammergerichts über das größte S-Bahn-Vergabeverfahren in der Geschichte des Berliner Nahverkehrs verhandelt wird, haben die Richterinnen und Richtern des Vergabesenats den vielleicht anstrengendsten Teil ihrer Arbeit schon hinter sich. Monatelang haben sie sich durch tausende Seiten juristischer Stellungnahmen und Vergabeunterlagen gewühlt. Das Verfahren, bei dem der weltweit zweitgrößte Bahntechnikkonzern Alstom klagt, hat nicht nur historische Ausmaße, sondern ist vor allem auch höchst kompliziert.

Wäre in dem Vergabeverfahren alles glatt gelaufen, stünde schon seit gut anderthalb Jahren fest, welches Unternehmen ab 2027 mit neuen Zügen auf der Berliner Stadtbahn und den Nord-Süd-Linien unterwegs sein wird. Doch es lief nicht glatt – zumindest nicht aus Sicht von Alstom. Das Unternehmen sieht sich durch die Wettbewerbsvorgaben benachteiligt. Die Frage, die zu klären ist, lautet: Sorgen die Ausschreibungsbedingungen, die ursprünglich dafür gedacht waren, die Monopolstellung des "Platzhirschen" Deutsche Bahn zu brechen, für mehr Gerechtigkeit – oder begünstigen sie am Ende ausgerechnet das Konsortium um den DB-Konzern?

Wie viel Wettbewerb soll es sein?

Es geht um bis zu 2.248, mindestens aber um 1.400 neue S-Bahn-Wagen, die beschafft, betrieben und instandgehalten werden sollen – ein Auftragspaket von mehr als acht Milliarden Euro. Monatelang hatte ab 2019 die vor-vorherige Regierungskoalition von SPD, Linken und Grünen um die Ausschreibungsmodalitäten gerungen. Sie musste eine Antwort geben auf die Frage: Wie viel Wettbewerb soll es sein?

Seit Jahrzehnten betreibt die Deutsche Bahn das Berliner S-Bahn-Netz im Alleingang. Zuletzt hatte sie 2015 den Zuschlag für den S-Bahn-Ring erhalten. Dort fahren nun Züge der neuesten Generation, deren Bau damals beauftragt wurde. Das läuft im Grundsatz problemlos, die Querelen der S-Bahn-Krise von 2009 sind zumindest Geschichte. Damals zog das Eisenbahnbundesamt nahezu drei Viertel aller S-Bahn-Züge wegen Mängeln aus dem Verkehr. Die Deutsche Bahn stand wegen Misswirtschaft am Pranger.

Aus der Politik wird vor einer "Zerschlagung" der S-Bahn gewarnt

Manch einer hätte es damals gern gesehen, wenn schon bei der Ring-Ausschreibung ein anderes Unternehmen zum Zuge gekommen wäre. Doch die Ausschreibungsmodalitäten führten dazu, dass die Deutsche Bahn als einzige Bewerberin übrigblieb. Auf der politischen Bühne beschlich viele daraufhin das Gefühl, der Konzern habe Dank seiner Vormachtstellung damit auch die Preise diktieren können.

Deshalb sollte es bei den S-Bahn-Teilnetzen "Stadtbahn" (S3, S5, S7, S75 und S9) und "Nord-Süd" (S1, S15, S2, S25, S8, S85 und S86) anders laufen: mehr Wettbewerbsdruck, um am Ende nicht erneut mit der Deutschen Bahn als einziger Bieterin dazustehen. Doch gleichzeitig warnten Vertreterinnen und Vertreter von Linken und SPD, aber auch der seinerzeit noch oppositionellen CDU davor, die S-Bahn könne "zerschlagen" werden – sprich: das S-Bahn-Netz künftig von verschiedenen Unternehmen betrieben werden.

Ein Vergabeverfahren mit neun Bewerbungsmöglichkeiten

Als Konsequenz brachte die damalige grüne Verkehrssenatorin Regine Günther ein komplexes Vorgabemodell mit insgesamt neun verschiedenen Bewerbungsmöglichkeiten auf den Weg. Unternehmen können für die beiden Teilnetze Stadtbahn und Nord-Süd separate Angebote abgeben und dabei sowohl für den Betrieb als auch für Beschaffung und Instandhaltung bieten. Auch Komplettangebote für alles sind möglich. Die Verträge für Beschaffung und Instandhaltung der neuen Züge werden eine Laufzeit von 30 Jahren haben, die Betriebsverträge aus rechtlichen Gründen nur über 15 Jahre.

Die Vielzahl der Vergabemöglichkeiten lässt erahnen, wie schwer sich die damalige rot-rot-grüne Koalition mit dieser Ausschreibung tat. Anfangs drängte Günther noch darauf, dass kein Bewerber das Komplettpaket erhalten sollte. Doch diese "Zuschlagssperre" war in der Koalition nicht mehrheitsfähig. Dass am Ende die Deutsche Bahn den Rundum-Zuschlag erhält und damit die Berliner S-Bahn weiterhin komplett betreibt, gilt damit trotz der Losaufteilung als durchaus realistisch. Denn womöglich könnte erneut nur sie es sein, die für ein Gesamtpaket das beste Angebot vorlegen kann.

Kritik vom Verband der Privatbahnen

Die Deutsche Bahn bewirbt sich gemeinsamen mit den Konzernen Siemens und Stadler um den Zuschlag. Die beiden Firmen haben dabei den Vorteil, dass sie bereits die aktuelle Baureihe der S-Bahn fertigen. Das könnte zu erheblichen Kosteneinsparungen führen, sagen die einen. Andere halten dagegen, dass dieser Vorteil eher gering sei, da auch die derzeit aktuelle Baureihe bereits vor mehr als zehn Jahren designt wurde und sich die Anforderungen an Fahrzeuge seitdem deutlich verändert hätten.

Kritik kam bereits vor zweieinhalb Jahren aber auch vom Privatbahnen-Verband Mofair. Ein Gutachten des Verbands stößt sich vor allem an dem Zusammenschluss der drei Unternehmen und hält diesen im Rahmen des Verfahrens für rechtswidrig. Durch eine "exklusive Zusammenarbeit" der Deutschen Bahn mit den Schienenfahrzeugherstellern missbrauche der Konzern seine marktbeherrschende Stellung, so einer der Vorwürfe. Vor allem aber sei damit der Wettbewerb im Vergabeverfahren "von Anfang an ausgeschaltet" worden.

Warten auf die Entscheidung des Kammergerichts

Unter anderem dagegen war der französische Konzern Alstom Ende Juni 2021 zunächst vor die Vergabekammer des Landes Berlin gezogen – und war dort allerdings im Oktober 2022 abgeblitzt. Als Konsequenz daraus reichte Alstom Beschwerde beim Kammergericht ein. Seitdem hatte sich das Vergabeverfahren immer weiter verzögert. Ohne Gerichtsentscheidung war keine sinnvolle Fortführung möglich. Immer wieder musste die Frist zur verbindlichen Abgabe von Angeboten verschoben werden. Derzeit endet die Frist am 28. März.

Sollte das Gericht die Beschwerde von Alstom abweisen, würde es bei diesem Zeitplan bleiben. Dann könnte im Herbst entschieden und zum Jahresende die Zuschläge erteilt werden. Erste neue Züge könnten dann ab 2030 auf der Stadtbahn und ab 2035 im Nord-Süd-Netz rollen. Falls das Gericht allerdings der Ansicht Alstoms folgt und entscheidet, das gesamte Vergabeverfahren zu kippen, würde dies jahrelange Verzögerungen nach sich ziehen.

Es ist nicht das erste Mal, das Alstom klagt

Beide Varianten werden von verschiedenen Seiten für weniger wahrscheinlich gehalten als eine dritte: dass das Gericht auf einzelne Kritikpunkte Alstoms eingeht und die Länder Berlin und Brandenburg die Ausschreibungsunterlagen nachbessern müssen. Je nach Umfang könnte auch dies zu Verzögerungen führen. Wirklich festlegen, wie der Vergabesenat des Kammergerichts entscheiden könnte, will sich aber niemand.

Fest steht: Es ist nicht das erste Mal, dass der französische Konzern Alstom versucht, Vergabeverfahren zu kippen. In Berlin war das zuletzt 2019 beim großen U-Bahn-Vergabeverfahren der Berliner Verkehrsbetriebe der Fall. Damals unterlag Alstom gegen Stadler und zog ebenfalls vor das Kammergericht. Ganz ähnlich lief es auch im vergangenen Sommer in München: Dort unterlag Alstom erst im Wettbewerb um die S-Bahn und dann vor der Vergabekammer Südbayern. Auch aus weiteren Regionen ist Ähnliches zu hören.

S-Bahn-Verkehr trotz Verzögerungen gesichert

Beim Kammergerichtsverfahren um die Berliner U-Bahn-Vergabe 2019 sah es für Alstom von Anfang an nicht gut aus. Die Anwälte des Konzerns konnten schon kurz nach Beginn ahnen, dass diese Verhandlung für sie womöglich kein Vergnügen werden könnte. Die Vorsitzende Richterin des Vergabesenats, Cornelia Holldorf, machte deutlich, dass das Gericht hohe Maßstäbe an die Rügen von Alstom anlegen werde. Schließlich gehe es um ein riesiges Geschäft und Alstom sei ein Milliardenkonzern mit großer Rechtsabteilung. Binnen einer Stunde hatte das Gericht alle Beanstandungen von Alstom vom Tisch gewischt.

Ob es diesmal ähnlich verlaufen wird, ist offen. Sicher ist allerdings, dass auch im Falle von weiteren Verzögerungen im Verfahren kein S-Bahn-Verkehr ausfallen wird. Mit der Deutschen Bahn gibt es für diesen Fall vertragliche Vereinbarungen, damit der Betrieb fortgeführt wird, bis gegebenenfalls ein neues Unternehmen übernimmt.

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Beitrag von Thorsten Gabriel

31 Kommentare

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  1. 31.

    „ Der möglichst Beste sollte es machen.“
    Und das ist in den meisten Fällen die öffentliche Hand.

  2. 30.

    Am ende des Tages geht es nicht um Befindlichkeiten einzelner Unternehmen. Warum sollte eigentlich das S Bahn Netz der DB zerschlagen werden. Ein absoluter Unsinn. Aber typisch für Berlin und die öffentlichen Ausschreibungen der Regierung sowohl auf kommunaler Ebene wie auch auf Bundesebene.

  3. 29.

    Aufgabenträger für den SPNV sind die Länder Berlin und Brandenburg, die den beauftragen und auch dafür Sorge tragen, dass die VBB-Ticket in allen bestellten Zügen gelten. Andres wäre es, wenn jemand eigenwirtschaftlich Züge fahren lassen möchte wie das im Fernverkehr die Regel ist. Dort gelten die Tickets der DB FV nicht für Züge von Flixtrain und umgekehrt.

  4. 28.

    Angenommen, es käme zu einer „Zerschlagung“ der Teilabschnitte Stadtbahn / Nord-Süd-Bahn. Bestünde da nicht eventuell die Gefahr das der Fahrgast zwei verschiedene Fahrscheine bräuchte da die von der anderen Seite gegenseitig nicht anerkannt werden? Meinungen dazu werden dankend angenommen. Aber bitte nur sachlich und der Frage entsprechend. Ich bin gespannt.

  5. 27.

    Infrastruktur egal, ob das Strom oder Wassernetz, Telekommunikation (Internet, Festnetz und Mobilfunk), Straßen oder Verkehrsmittel sollten nie in privater Hand sein.

    Die grundlegenden Strukturen sollten dem Bund gehören und er kann dann von dem Betreibern Gebühren für die Nutzung verlangen.

    Wir haben nicht um sonst so ein katastrophales Mobilfunknetz und so ein schlecht ausgebautes Internet.

  6. 26.

    Das seh ich auch so. Mich stört es schon, dass sich die BVG und die S-Bahn nicht aufeinander abstimmen, z. B. bei Fahrplänen. Bei noch mehr Betreiberrn ist das Chaos vorprogrammiert.

    Vor ein paar Jahren hat die S-Bahn gebaut und auf die BVG zum Ausweichen hingewiesen und die BVG hat es in der gleichen Ecke andersherum gemacht. Am Ende ging dort für eine Zeit lang - ich glaub, einen Monat - gar nichts mehr richtig.

    War richtig klasse, wenn das der Arbeitsweg ist.

  7. 25.

    Hauptsache, es geht nichts voran!!!, könnte man meinen. Ich mache keine Ausschreibung, wo ich einkaufe. Was ist das für ein Recht? Es bremst die Entwicklung aus. Dass Korruption und Vetternwirtschaft keine Rolle spielen darf, ist verständlich. Aber es ist nicht normal, dass ein potentieller Verkäufer mich zwingen kann, bei ihm zu kaufen.

  8. 23.

    Am Ende wird die Flexibilität des gesamten Systems S-Bahn leiden, wenn unterschiedliche Betreiber unterschiedliche Strecken bedienen sollen. Das wird erstmal ein Tohuwabohu werden!

  9. 22.

    Ist es erstrebenswert, dass mehrere Anbieter die S-Bahn Strecken betreiben?

    Wird es nicht unweigerlich zu noch mehr Chaos führen?

    Der jetzige Betreiber die DB ist manchmal chaotisch aber trotzdem sollte die DB ALLEINIGER BETREIBER bleiben.

  10. 21.

    Es ist immer schlecht und am Ende teurer, wenn das Eine gewollt ist und die Ausgestaltung dann so erfolgt, dass freier Wettbewerb nicht stattfinden kann. Der Bau von Zügen ist eine schöne Arbeit... da sollte man allen eine Chance geben die Züge bauen können. Das ausgerechnet das „Jedem eine Chance geben“ ausgerechnet von solchen Politikern umgangen wurde, die sonst das Gegenteil VON ANDEREN fordern, ist eine bekannte moralische Haltung...

  11. 20.

    Ich verstehe auch nach vielen Jahren nicht, was der ganze Quatsch mit diesen Ausschreibungen soll - wenn ein Amt fünf neue Computer kaufen will, bitte: Aber für Infrastruktur?
    Und was genau ist denn nach jeder Ausschreibung besser für den Kunden? Dass Züge Internet haben? Das und anderes kann man doch nun wirklich auch so bestellen, ohne diesen ganzen Zirkus, bei dem sich alle wieder mal in den Kosten unterbieten sollen und sich nachher alle über die Folgen wundern...

  12. 19.

    Kranke Vorstellung, die Privatisierung öffentlicher Aufgaben führt zur Verarmung des Angebots. Warum nicht gleich auch die Bahnhöfe wieder in die Hand der Geschäftemacher?
    Das 19. Jahrhundert lässt grüßen mit ihren Eisenbahnbaronen. Einfach mal die Geschichte studieren.
    Noch Fragen Kienzle?

  13. 17.

    Außerdem kenne ich KEINE Betriebsaufnahmen durch, bzw. Betreiberwechsel zu privaten EVU's, die geglückt sind. Es gab immer Pannen Verschlechterungen oder sogar Pleiten. Nahverkehr ist öffentliche Daseinsvorsorge und gehört in die öffentliche Hand.

  14. 16.

    Und vor allem pleite (Abellio) DB-Regio mußte in NRW übernehmen. Was an S-Bahnen mit Stufen im Fahrzeug komfortabel sein soll, wissen wahrscheinlich auch nur Sie.

  15. 15.

    Der ÖPNV gehört m.E. zur staatlichen Daseinsvorsorge und deshalb in staatliche Hände. Was Privatisierungen bringen sollte in Berlin doch gut erkennbar sein: Wasserbetriebe wurden für sehr viel Geld zurückgekauft, beim Fernwärmenetz versucht man es und was die massenhafte Privatisierung von Wohnraum gebracht hat, das spürt jedes erwachsen gewordene Kind, was Berlin verlassen muss, wenn es nicht ewig bei den Eltern wohnen bleiben will. Privatunternehmen arbeiten gewinnorientiert - das gehört nicht in den Versorgungsbereich der Bevölkerung.

  16. 14.

    Wie schon bei der Ausschreibung neuer U-Bahn-Wagen rächt sich hier die Raketenwissenschaft, die Günther und Co. betrieben hatten. Dazu kamen bei der S-Bahn auch noch gegensätzliche Forderungen seitens der Rückschrittskoalitionäre. Der ÖPNV ist Spielball parteipolitischer Eitelkeiten gewesen.

  17. 13.

    Generell sollte Deutschlandweit der ÖPNV nur von einer "Behörde" betrieben werden.
    Wie viel man da einsparen könnte. Einheitliche Fahrzeuge, Einheitliche Ausbildung, einen Einheitlichen Tarifvertrag, keine hunderte Vorstände, etc.
    Und bei der Menge an Material was eingekauft wird, kann man ganz andere Preise erziehen, als wenn hunderte verschiedener Busse und co beschafft werden, wo die Hersteller bisher die einzelnen Träger prima gegeneinander ausspielen können.

  18. 12.

    Dass einzige, was wirklich pünktlich ist, sind die schienenfarhzeuge , die " #db" DAUERHAFT UNPÜNKTLICH , der Ausbau, von Schönheit nach hennihsdorf , wird von allen Seiten " behindert " und blockiert, und dann wundert man sich, wenn die stressen verstopft sind - üin allen #privat #PKWS Sitz meistens NUR eine , maximal 2 Personen drine

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