Hochhaus Ruth in Berlin-Neukölln - Zwei Dutzend leerstehende Wohnungen - und niemand möchte einziehen
Der Berliner Wohnungsmarkt ist hoffnungslos überlastet: Auf herkömmlichem Weg an eine Wohnung zu kommen, scheint aussichtslos. Und trotzdem stehen viele Wohnungen im Hochhaus Ruth in Neukölln seit mehr als einem Jahr leer. Warum? Von Efthymis Angeloudis
Fast einsam ragt das Hochhaus Ruth über die anderen Gebäude im ruhigen Silbersteinkiez im sonst so belebten Neukölln hinaus. Was man von Weitem nicht gleich erkennen kann: Das Hochhaus sticht nicht nur zwischen den restlichen Bauten des Kiezes hervor, es ist auch teilweise leer.
Ein paar hundert Meter nördlich liegt das Tempelhofer Feld. Gleich dahinter der Emmauswald. Um die Ecke die S- und U-Bahn-Station Hermannstraße. Fußläufig kann man die Bars und Restaurants im Schillerkiez erreichen. Eigentlich ist das Hochhaus im St. Marienpark in Neukölln die beste Wohnadresse für all diejenigen, denen Kreuzberg zu laut und Charlottenburg zu weit weg ist.
Und dennoch stehen laut dem Vermieter, der Katholischen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft Petruswerk, 24 Wohnungen im luxuriösen Neubau an der Eschersheimerstraße seit über einem Jahr leer. Interessenten? Fehlanzeige.
Wenn da nicht die Miete wäre
"Nur 24 Wohnungen", entgegnet Douglas Fernando, Geschäftsführer des Petruswerks, auf Anfrage des rbb. "Im St. Marien-Wohnpark wurden ca. 600 Neubauwohnungen geschaffen. Das Haus Ruth mit seinen 71 Wohnungen stellt nur einen Teil dieser Wohnanlage dar. Wir haben also derzeit bei knapp 600 errichteten Neubauwohnungen einen Leerstand von nur 24 Wohnungen."
Das dürfte vor allem an der geforderten Miete liegen. Für eine rund 80 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung im fünften Stock sollen Mieter 1.933 Euro Kaltmiete zahlen. Das sind 24 Euro pro Quadratmeter. Rechnet man Betriebskosten und Heizkosten hinzu, ist man schon bei 2.336 Euro warm. Und möchte man die Aussicht aus dem 17. Stockwerk genießen, werden 27 Euro pro Quadratmeter fällig. Eine Vierzimmerwohnung im 18. Stock kostet stolze 3.253 Euro kalt, ganze 27,6 Euro pro Quadratmeter.
Mieten runter, dann klappt es auch mit der Vermietung, sagt Nicklas Schenker, Sprecher für Wohnen und Mieten der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. "Wenn der Investor sich hier einfach verspekuliert hat, indem er einfach eine zu teure Wohnung gebaut hat, und es gibt dann zu wenig Leute, die hier in Neukölln auch einziehen wollen, dann ist das nicht die die Verantwortung der Stadt", so Schenker gegenüber rbb|24. "Dann muss man eben den Mietpreis runtersetzen - und dann werden sich sicherlich auch eine ganze Reihe an Leuten finden, die da gerne einziehen möchten."
Petruswerk: Senkung der Mieten nicht geplant
"Verspekuliert" will sich das Petruswerk nicht haben. Die erheblichen Steigerungen der Baukosten in den letzten Jahren hätten sich auch auf die Mieten ausgewirkt, erklärt Douglas Fernando dem rbb. "Schon bei einem normalen Neubau war in den letzten Jahren ein Bauen unter 18 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete nicht mehr möglich." Nun könne man selbst mit einer durchschnittlichen Netto-Kaltmiete von 22 Euro kein plus minus Null erreichen. Und Hochhäuser seien in der Errichtung grundsätzlich deutlich teurer als in die in Berlin üblicherweise anzutreffende Bauweise von vier- bis sechsgeschossigen Wohnhäusern.
Das Petruswerk biete dazu in den Etagen bis zum 15. OG durchschnittliche Kaltmieten von 19 bis 21,50 Euro pro Quadratmeter an. Nur für das 16. bis 18. OG würden Kaltmieten von 26,50 bis 28,00 Euro pro Quadratmeter aufgerufen. "Diese oberen Wohnungen, größtenteils mit Klimaanlagen ausgestattet und besonders guter Weitsicht, müssen aber auch die unteren Wohnungen mitsubventionieren, um die Baukosten einigermaßen decken zu können."
Der Forderung, die Mieten zu senken, wird das Petruswerk somit nicht Folge leisten können. "Die ursprünglich noch im Jahre 2023 bei den Angebots-Objekten aufgerufenen Durchschnittsmiete wurde bereits 2023 erheblich und im Jahre 2024 noch einmal geringfügig gesenkt", entgegnet Fernando den Forderungen. "Eine weitere Senkung der Mieten ist grundsätzlich nicht geplant."
Da hilft auch der Zusatz "katholische Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft" des Petruswerks, das der Berliner Kardinal Erzbischof Julius Döpfner 1958 ins Leben rief, nicht. "Die christlichen Ziele des Unternehmens werden insbesondere bei Projekten mit unseren christlichen Partnern verfolgt. Ansonsten muss das Unternehmen wirtschaftlich agieren, um solche Ziele verfolgen zu können", sagt dazu Fernando.
Bei weiterem Leerstand droht Zwangsgeld
Einen Weg, die Wohnungen schnellstmöglich zu vermieten, wird das Petruswerk trotzdem finden müssen. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) teilte auf Anfrage einer Bezirksverordneten der Linken mit, dass schon am 30. September "Zuführungsanordnungen mit Zwangsgeldandrohungen" erlassen wurden [nd-aktuell.de].
Grundlage ist das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum, das in Berlin 2014 in Kraft trat. Damit wird Wohnraum vor Zweckentfremdung durch Leerstand, Abriss und der Umwandlung in Gewerberaum oder Ferienwohnung geschützt.
Wenn das Petruswerk demnach bis Januar 2025 keine Mietverträge für die noch leerstehenden Wohnungen nachweisen kann, könnten 5.000 Euro pro Wohnung an Zwangsgeld fällig werden. Im Extremfall können leerstehende Wohnungen sogar treuhänderisch zwangsvermietet werden. In dem Fall beabsichtige der Bezirk das nicht, sagte ein Sprecher des Bezirks dem nd. Das Bezirksamt gehe davon aus, dass die Eigentümerin ein hohes Eigeninteresse an der Vermietung des fertigen Neubaus habe.
Mehr als 40.000 Wohnungen stehen in Berlin leer
Im Eigeninteresse anderer Eigentümer kann es aber auch sein, ihre Immobilien einfach leer stehen zu lassen. Und davon gibt es nicht wenige. Wie aus der Antwort auf eine Anfrage von Niklas Schenker an das Berliner Abgeordnetenhaus hervorgeht, standen in der Hauptstadt zuletzt mehr als 40.000 Wohnungen leer.
In Neukölln wurden 2023 in 1.231 Fällen insgesamt 425.384 Euro durch Bußgelder wegen Zweckentfremdung eingenommen, wie die "Berliner Zeitung" berichtet.
Es gäbe natürlich den fluktuationsbedingten Leerstand, bei dem eine Wohnung für zwei bis drei Monate leer steht, aber das klare Ziel ist, dass diese auch wieder vermietet wird, sagt Schenker. "Aber wir haben es auch mit einer ganzen Reihe an Wohnungen zu tun, die schon sehr, sehr lange leer stehen. Länger als 12 Monate, und da haben wir es mit einem spekulativen Leerstand zu tun - dagegen braucht es ein stärkeres Durchgreifen der Bezirke."
Zugriff auf Stromrechnung wäre denkbar
Durchgreifen geht aber nur, wenn auch die Mittel dazu zur Verfügung stehen. Die Bezirke hätten aber zu wenig Personal, um diese Aufgabe, auch angemessen bewältigen zu können, sagt Schenker. Dazu seien die Fälle, in denen überhaupt die Bezirke tätig werden, jene in denen Bürgerinnen und Bürger gute Hinweise an die Bezirke liefern.
Das sei wichtig, es gäbe aber auch noch eine andere Möglichkeit. "Wir haben vorgeschlagen, dass die Bezirke gesetzlich die Möglichkeit bekommen müssen, die Daten der Strom- und Energie-Unternehmen zu bekommen", erklärt der Wohnungspolitische Sprecher der Linken. Dann könnte man relativ einfach nachweisen, welche Wohnung höchstwahrscheinlich leer steht, man könnte es abgleichen, und schon würde es im Bezirk verfolgt.
Luxus-Bauprojekte, die am Ende leer stehen
Ein weitaus größeres Problem sind laut Schenker aber die Wohnungen, die rein als Kapitalanlage gebaut wurden und die an zwei oder drei Wochenenden im Jahr überhaupt nur genutzt werden. "Die tauchen auch leider in keiner Statistik auf und zeigen einfach nochmal eindeutig, dass das, was uns der Senat aus CDU und SPD die ganze Zeit erklären will, also 'Bauen, Bauen, Bauen' sei das einzige, was gegen die Wohnungsnot hilft, kompletter Unsinn ist", so der Linke-Politiker.
Bei vielen Wohnungsbauprojekten würden ohnehin Wohnungen entstehen, die für normale Berliner mit durchschnittlichen Einkommen überhaupt nicht bezahlbahr seien.
Schenker: "Es kann nicht sein, dass hier Investoren meinen, irgendwelche seelenlosen Betonburgen in die Stadt zu pflastern und dann lassen sie die einfach leer stehen." Dafür sei der städtische Grund und Boden ein zu knappes Gut. "Wir haben eigentlich nicht die Möglichkeit, hier noch einen einzigen Quadratmeter an teuren Wohnungen zu bauen, die die Stadt wirklich nicht braucht."