Theaterkritik: Die Walküre an der Staatsoper - Wonnemond und Tränen
Er ist der beliebteste der vier Ring-Teile. Richard Wagners Walküre hatte vor ausverkauftem Haus Premiere, mit Christian Thielemann am Pult. Maria Ossowski ist begeistert, aber auch sauer.
Weltklasse. Meisterleistung. Sternstunde: Das sind Floskeln, die ein Opernereignis schlecht beschreiben. Besser treffen hier: Wagemut, Seelenarbeit und eine fast schmerzende Sorgfalt sowohl der Regie von Dimitri Tscherniakow als auch des Dirigats von Christian Thielemann.
Wie schon im Rheingold treffen sich sämtliche Ringgestalten in einem Forschungslabor. Götter gibts bei Tscherniakow nicht, wir erleben einen psychoanalytisch und intellektuell sezierten menschlichen Weltinnenraum ohne Bildgewalt, dafür umso präziser in der Personenregie. Wotan, sichtlich gealtert, führt den Laden. Die Walküren gehören ebenfalls zum Laborpersonal. Die schockverliebten Zwillinge Siegmund und Sieglinde sind Versuchsobjekte, Wotan beobachtet sie hinter einer Spiegelwand, nur: dumm gelaufen für den Chef: die beiden geraten in ihrer Leidenschaft außer Kontrolle und das Unglück nimmt seinen Lauf. Die Wintersturm-Wonnemond- Amourfou im ersten Aufzug gehört zum Schönsten der gesamten Opernliteratur. Und der Wälseschrei zum Schwierigsten, was Tenöre zu bewältigen haben.
Wagemut, Seelenarbeit und eine fast schmerzende Sorgfalt
Robert Watson und Vida Mikneviciute sind die unglücklich Liebenden. Die zierliche Litauerin hat eine unglaublich starke Stimme, der amerikanische Tenor eine schöne, jedoch sehr viel leisere. Sie muss bestehen gegen einen einzigartig präsenten, glanzvollen Wotan von Michael Volle und eine hinreißend warme, überzeugende Stimme von Anja Kampe als Brünnhilde.
Im Hörsaal des Instituts kommt es zum Showdown zwischen Vater und Tochter. Da lodert keine Lohe auf, wenn Wotan Brünnhilde in den Feuerkreis verdammt. Sie malt kleine Flammen mit Filzstift auf die Stuhllehnen. Das reicht, denn beim Lebewohl laufen, Michael Volle sei Dank dennoch die Tränen.
Christian Thielemann dirigiert zur jubelnden Freude des Publikums
Christian Thielemann dirigiert wieder zur jubelnden Freude des Publikums, offensichtlich auch der Staatskapelle und der Sängerinnen und Sänger. Betont langsam, aber voller Spannung. Das letzte Bild, eine einsame Brünnhilde im grellen Scheinwerferlicht und eine ins Dunkel des Bühnenhintergrunds fahrende Forschungsstation mit dem ebenfalls einsamen Wotan brennt sich ein. In den Jubel jedoch mischt sich auch gewaltiger Ärger. Eine scheußliche Ungezogenheit, feige und gemein, greift mittlerweile auch im Opernpublikum um sich.
Es ist wie im Internet. Aus dem Dunkel heraus, aus der Anonymität einfach jemanden fertig machen. So geschehen an der Staatsoper zum zweiten Mal. Beim Rheingold musste Rolando Villazon einen Buhsturm als Loge einstecken, bei der Walküre Robert Watson als Siegmund. Leute, wenn Euch ein Sänger nicht gefällt, und hier singen alle auf höchstem Niveau, dann reicht es, die Hände ruhen zu lassen. Buhs zu brüllen zeugt von mangelnder Contenance. Und nach einem solchen Abend, Achtung! Klischee! Sternstunde!, sollten Buhs mit Hausverbot belegt werden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 04.10.2022, 7:55 Uhr