Daniel-Boyd-Ausstellung in Berlin - "Dieser Zaubertrick bleibt mein gut gehütetes Geheimnis"
Der australische "First Nations"-Künstler Daniel Boyd hat den Martin-Gropius-Baus mit einer ganz besonderen Energie aufgeladen. Seine Ausstellung "Rainbow Serpent" hat vor allem eines im Sinn: Sie will unser eingefahrenes Weltbild erschüttern. Von Marie Kaiser
Ein Meer von Punkten erstreckt sich über den gesamten Boden des Lichthofs. Wer hier entlang laufen will, muss erst einmal die Schuhe ausziehen. Auch im Obergeschoss geht es gepunktet weiter. Alle Fenster sind mit schwarzen Blenden wie mit einer zweiten Haut beklebt. Das Sonnenlicht dringt durch viele kleine Löcher und flutet den Raum. Wenn die Sonne direkt durchs Fenster scheint, sieht es aus, als würden die Lichtpunkte am Boden zu tanzen beginnen und den Raum zum Schwingen und Beben bringen.
"Eine poetische Erfahrung"
Daniel Boyd (Jahrgang 1982) ist einer der renommiertesten zeitgenössischen Künstler Australiens. Als "First-Nations-Artist", also indigener Künstler, setzt er sich insbesondere mit der indigenen Vergangenheit und Gegenwart und den Auswirkungen des Kolonialismus auseinander. "Rainbow Serpent" ist Boyds erste große Einzelausstellung in Europa.
"Ich wollte eine poetische Erfahrung schaffen, bei der das Gebäude mit Hilfe des natürlichen Lichts gewissermaßen im Universum verortet wird", sagt Boyd im Gespräch mit rbb|24. "Ich nutze die Sonne, um das Gebäude zu aktivieren. Normalerweise schauen wir durch Fenster und sehen andere Gebäude und den Himmel. Aber dadurch, dass die Schwelle hier als solche sichtbar wird, entsteht ein Gefühl der Entgrenzung."
"Gemälde mit einem Sinn für Bewegung"
Auch in den 44 Gemälden im Martin-Gropius-Bau tauchen die Punkte wieder auf. Der australische Künstler hat eine ganz besondere Technik entwickelt: Punkte aus Archivkleber, die er selbst als "Linsen" bezeichnet, bedecken dabei die Leinwand. Die Zwischenräume sind geschwärzt. Wir sehen das Bild wie durch ein Raster.
Für Daniel Boyd bedeutet diese Technik der Opazität, der Undurchsichtigkeit, auch eine Art Widerstand gegen die europäische Idee der Aufklärung. Er will eben nicht alles transparent und sichtbar machen. Dem Schatten wird genau so viel Platz eingeräumt wie dem Licht. "Es ging mir darum, Gemälde zu erschaffen, die einen Sinn für Bewegung haben", erklärt Daniel Boyd. "Sie sind keine statischen Objekte, die an der Wand hängen. Erst durch die Menschen, die meine Arbeiten betrachten, werden sie zum Leben erweckt und vollendet."
Alles soll im Fluss bleiben. Den einen richtigen Standpunkt, um die Arbeiten zu betrachten, gibt es nicht. Daniel Boyds Gemälde entstehen oft auf Grundlage von Fotos. Manchmal sind es ganz persönliche Bilder aus seinem Familienalbum oder Fotos aus Archiven oder Zeitungen. Eines zeigt seine Großmutter, ein anderes Aborigines, die mit Pfeil und Bogen Fische jagen oder auf traditionellen Holzbooten fahren. Aber auch historische Darstellungen, in denen Kolonialherren als Helden dargestellt werden, sind Ausgangspunkte für Daniel Boyds Bilder.
"Man hat das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren"
Mit seiner Kunst wolle der "First Nations"-Künstler die eurozentrische und koloniale Perspektive überwinden und unseren Blick öffnen, erklärt die ehemalige Direktorin des Martin-Gropius-Baus Stephanie Rosenthal. Sie hat die Schau gemeinsam mit Carolin Köchling kuratiert. "Es ist gar nicht in Worte zu fassen, was diese Ausstellung körperlich mit einem macht", sagt sie. "Man hat das Gefühl, ein bisschen das Gleichgewicht zu verlieren. Das ist auch etwas, was ich an der Ausstellung wichtig finde. Dass man auch als westlicher Besucher auch in dem Sinne das Gleichgewicht verliert, weil man vielleicht auch sein eigenes Wertesystem in Frage stellt. An dem Punkt sind wir in Deutschland - dass wir auch die andere Seite der Aufklärung betrachten sollten in der Perspektive eines First-Nations-Artist."
Gewissheiten in Frage stellen
Daniel Boyd will unsere eigenen Gewissheiten in Frage stellen. Wer mit westlichem Blick durch die Ausstellung geht, wird in einem schwarz-weißen Gemälde eine abstrakte Spielerei mit weißen Linien auf schwarzem Hintergrund vermuten. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein "Rebbelib", eine Art Landkarte. Auf ihr sind Wellengang, Strömungen und Insel verzeichnet mit Hilfe von Muscheln und Holzstücken, die von Kokosfasern zusammengehalten werden. Auf solche Kulturtechniken und Formen des Wissens hinzuweisen, die durch die Kolonialisierung oft verloren gegangen sind, auch darum geht es Daniel Boyd in seiner Kunst.
Wie genau seine Punkte-Gemälde entstehen, verrät Daniel Boyd übrigens nicht. "Es ist wie bei einem Zauberer. Wenn du den Trick kennst, geht schnell das Gefühl des Staunens verloren. Der Zauber und die Anziehungskraft stecken oft genau in diesem Moment, in dem wir etwas nicht ganz begreifen. Es ist alles da, vor deinen Augen. Aber dennoch bleibt ein Rätsel. Darum bleibt dieser Zaubertrick mein gut gehütetes Geheimnis.“
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.03.2023, 07:55 Uhr