Mick Jagger hat das Image als ewiger Rebell. Was haben er und die Stones an gesellschaftlichen Veränderungen bewirkt? Zum 80. Geburtstag der Rock-Ikone haben wir mit dem Pop-Historiker Bodo Mrozek gesprochen.
rbb: Herr Mrozek, heute wird Mick Jagger 80 Jahre alt, 60 Jahre steht er schon auf der Bühne. Was ist an ihm so besonders?
Bodo Mrozek: Ja, wenn wir zurückblicken, erst mal gar nicht so viel, denn der kleine Mick war gar keine Ausnahme. Der Sohn einer Avon-Beraterin und eines Lehrers ist damals Fan der zeitgenössischen Musik. Von Buddy Holly und vor allem von Chuck Berry, also einem schwarzen Musiker. Die Bluesmusik hat es ihm angetan. Seine erste Band "Little Boy Blue and the Blue Boys" ist eine ganz typische Bluesband. Später hat er dann die Stones mit Keith Richards gegründet, da tritt er als Sänger heraus und entwickelt auch eigene Marotten, etwa so das Schleudern des Mikrofons und so weiter.
Aber man muss sich auch klarmachen, das folgt auch einer Inszenierung eines sehr professionellen Managements. Die Stones werden früh als besonders ungewöhnliche und harte Band inszeniert.
Bodo Mrozek, geboren 1968 in West-Berlin, legte während seines Geschichtsstudiums in Berlin und Amsterdam als DJ in Clubs auf. Daneben war er Autor für Popkultur u.a. für Die Zeit, Radioeins, Deutschlandradio Kultur und er schrieb Club- und Schallplatten-Kolumnen für den "Tagesspiegel" und die Berliner Seiten der FAZ. Er ist Herausgeber zweier Bände zur Popgeschichte.
Da passt ja das Konzert 1965 in der Waldbühne dazu, bei dem kein Stein auf dem anderen blieb. Was ist damals passiert und was sollte das Ganze?
Man hat mit internationalen Tourneen keine große Erfahrung. Weltstars wie Elvis Presley haben eigentlich Zeit ihres Lebens niemals außerhalb Amerikas gespielt. 1965 sind die Stones noch eine junge Band mit einem sehr kurzen Repertoire. Die spielen nur 20 Minuten. Das erzürnt die Fans. Man weiß es nicht genau, vielleicht auch aus Begeisterung springen die auf den Holzbänken der Waldbühne herum. Da merken manche, dass diese Holzbänke nachgeben und brechen.
Und als sich dann das Management überlegt, die Fans mit gleißendem Licht anzustrahlen, um sie zu beruhigen, stehen die plötzlich im Rampenlicht und beginnen also, auf diesen Bänken herumzutrampeln. Das ganze gerät also völlig außer Kontrolle.
Die Waldbühne ist längere Zeit nicht mehr bespielbar, es finden sich auch keine Versicherer mehr. Und eigentlich scheitert damit erst auch mal das Konzept der internationalen Rock-Tournee.
Schauen wir uns mal das gesellschaftliche Klima der 60er-Jahre an. Was hat Sex mit dem ganzen Erfolg der Stones zu tun?
Es gibt damals die Trias: Sex, Drugs and Rock'n'Roll, die in den späten Sechzigern aufkommt. Die Sechziger gelten als dynamisches Jahrzehnt. Es verändert sich viel - das Verhältnis von Männern und Frauen, die Jugend wird mit mehr Geld ausgestattet, kann mehr konsumieren.
1965 wird der Samstag arbeitsfrei - jetzt kann man am Wochenende schon zwei Tage feiern und in diesem Klima ist es dann auch relativ leicht, Aufsehen zu erregen. Der Manager der Stones, Andrew Loog Oldham, der inszeniert sie also als die besonders haarigen Stones, der korrigiert das Alter von Mick Jagger nach unten und gibt ihn als ein Sohn des Proletariats aus, einen wütenden Arbeiter, der er gar nicht ist, er kommt aus der soliden Mittelschicht.
Bei diesem Waldbühnenkonzert werden sie damals angekündigt als die härteste Band der Welt. Es ist noch relativ leicht, Aufsehen zu erregen, wenngleich sich die Stones der Studentenbewegung, also der sogenannten Revolte von 68, doch eher indifferent gegenüber verhalten.
80 Jahre Mick Jagger
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Es ist eine ganz eigene Mischung aus federnden Schritten, kreisendem Hüftschwung, Drehungen und ausladendem Einsatz der Arme: Mick Jaggers Tanzstil.
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Am 15. September 1965 kommt der damals 22-Jährige mit den "Rolling Stones" zum ersten Mal nach Berlin. Die 1962 gegründete britische Band ist bereits Kult. Auf die Frage, wie lang er das noch machen wolle, sagt Mick Jagger 1965 in einem Interview: "I think we sort of pretty well set up for at least another year." Er denke, für das nächste Jahr seien sie ganz gut aufgestellt.
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Zur Bekanntheit der Band trägt sicherlich auch die Beziehung Jaggers zu Chrissie Shrimpton, Schwester des Supermodels Jean Rosemay Shrimpton, bei. Weitere Beziehungen zu Sängerinnen und Schauspielerinnen wie Marianne Faithfull oder Marsha Hunt werden folgen.
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Im Sommer 1965 ist "I can't get no Satisfaction" erschienen. Mit seinen sexuellen Anspielungen wendet sich der Song gegen das Establishment und die "Stones" werden zum trotzigen Unruhestifter.
Das Konzert in der West-Berliner Waldbühne wird in die Annalen eingehen. 22.000 junge Fans - hier Wartende am Flughafen Tegel - pilgern in die ausverkaufte Waldbühne, um Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Charlie Watts und Bill Wyman live zu sehen.
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Schon vor dem eigentlichen Konzert kocht die Waldbühne. Als die "Stones" nach mehreren Vorbands endlich auf die Bühne kommen, wird diese von Fans gestürmt. Ordner greifen ein. Angesichts der unruhigen Lage beendet die Band ihr Konzert nach rund einer halben Stunde - da kippt die Stimmung. Es kommt zu schweren Ausschreitungen zwischen Konzertbesuchern, Ordnern und Polizei.
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Auch 1970 brodelt es: Im Vorfeld kommt es zu Tumulten und Krawallen. Das Konzert in der Deutschlandhalle kann erst mit erheblicher Verspätung beginnen. Dann aber spielen sie vor begeisterten Fans. Und Jagger reitet auf einem aufblasbaren Phallus. Er verkörpert mit seinen Sex- und Drogenaffären perfekt das Bad-Boy-Image der "Stones", das in Abgrenzung zu den Beatles gezielt gefördert wird.
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Mick Jagger, der über sein Auftreten sagte "Ich war einfach ich selbst", kommt aus bürgerlichem Hause. Er wurde als Michael Philipp Jagger am 25. Juli 1943 in Dartfort in Südostengland geboren. 1973 ist der 30-jährige Jagger mit der Band bereits elf Jahre aktiv und die "Stones" werden im "Abend" schon als in die Jahre gekommene Rockgrößen beschrieben. In der Deutschlandhalle singt auch Bianca Jagger mit.
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Das Paar hatte sich 1971 im südfranzösischen St. Tropez das Ja-Wort gegeben. Im Oktober 1971 kam die gemeinsame Tochter Jade Jagger zur Welt. Nach dem Konzert 1973 in Berlin schlafen sie im Flugzeug.
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1978 lässt sich Bianca Jagger scheiden. Da lebt Jagger schon mit Jerry Hall zusammen, die er 1990 heiratet. Sie haben vier gemeinsame Kinder. 1999 wird das Paar geschieden. Der Sänger ist inzwischen mehrfacher Urgroßvater und ist Vater von insgesamt acht Kindern. Sein letztes Kind, einen Sohn, bekommt er mit 73 Jahren.
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In der DDR spielen die Stones zum ersten und letzten Mal im August 1990. Ihre gigantische, 80 Meter breite "Steel-Wheels"-Bühne designte Jagger. Sie bauen sie am Jahrestag des Mauerbaus, dem 13. August, auf der Radrennbahn Weißensee auf. Die Nachfrage ist so groß, dass sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen vor dicht an dicht gedrängtem Publikum auftreten.
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Jagger kann aber auch ohne die "Stones". Er veröffentlicht zahlreiche Solo-Alben. Oder produziert Hits mit anderen Stars wie "Dancing in the Streets", den er 1985 mit David Bowie aufnimmt.
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"Es ist schön, wieder in der Hauptstadt zu sein", sagt Mick Jagger 1998. Wie immer hat er einen Satz auf Deutsch parat. An dem Abend im Olympiastadion regnet es in Strömen, die Band wird genauso nass wie ihre Fans.
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Und wieder Berlin: 2008 kommen die "Stones" nicht für ein Konzert, sondern zur Präsentation ihres Films "Shine a light" auf die Berlinale. Der Film dokumentiert einen Auftritt der Band und mehrerer Gastmusiker im New Yorker Beacon Theatre.
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Im Juni 2018 rocken Mick Jagger, Charlie Watts, Keith Richards und der Gitarrist Ron Wood, seit 1975 Teil der Band, immer noch Berlin. Es wird Charlie Watts letztes Konzert in Berlin sein, der 2021 stirbt. Das Olympiastadion ist ausverkauft, fast 70.000 Fans feiern Hits wie "Gimme Shelter" oder "Satisfaction".
Auch im August 2022 groovt der 79-jährige Mick Jagger neben Ron Wood und Keith Richards in unterschiedlichen Outfits über die Waldbühne, selbstverständlich mit Hüftschwung.
Bild: dpa/Paul Zinken
Am Mittwoch feiert Mick Jagger seinen 80. Geburtstag.
Es gibt Gerüchte, die Stones würden eine neue US-Tour planen. Mit 79 Jahren stand Mick Jagger letztes Jahr auf der Bühne hier in Deutschland. Warum darf er das? Wird das irgendwann peinlich?
In der Frage schwingt ein altes, vielleicht sogar veraltetes Verständnis mit, dass die Popkultur an die wir uns gewöhnt haben, gleichzusetzen ist mit Jugendlichkeit oder Jugendkultur. Mittlerweile ist das ja aber ein intergenerationelles Projekt.
Zu den Stones gehen Eltern mit ihren Kindern hin, die dadurch zu den Stones gekommen sind. Pop, Rock und Punk ist kein Ausdruck einer Jugendlichkeit mehr.
Nimmt man Nina Hagen, die beim Zapfenstreich von Angela Merkel gespielt wird. Der Rock ist vielleicht sogar strukturkonservativ geworden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Irina Grabowski. Das gesamte Interview ist zu hören, wenn Sie das Audiosymbol auf dem Titelbild klicken.
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7.
Jagger ist für mich ein Konservativer, dessen Lebenswerk sicher mehrere hundert unnötige Songs enthält, da andauernd wiederholend. Ein Vergleich mit den Beatles verbietet sich m.E., aber es gibt natürlich auch viel schlechtere Bands als die Stones. Möge er noch ein paar gute Jahre genießen können!
6.
Ich fand's ja schon immer irgendwie lustig, dass die Stones als die "Harten" galten, während die Beatles, die eher aus der Arbeiterklasse stammten, als die "Softies" angesehen wurden. Das war wohl damals dem Vernehmen nach nahezu eine "Gewissensfrage" unter den Fans: Biste "Mann" oder "Frauenversteher"?. . . oder so ähnlich.
Also, ich bin ganz klar on The Beatles side, da die einfach den Pop/Rock revolutioniert und bis in alle Ewigkeit immer Auswirkungen auf populäre Musik haben werden. Die Stones sind aber natürlich auch eine sehr gute und einflußreiche Band, das ist klar. ;)
5.
Alles Gute zum Geburtstag - du unmöglicher Supertyp.
Ich habe mal eine Karikatur gesehen, auf welcher Jagger als Greis im Rollstuhl auf der Bühne auftritt.
Wenn es jemand durchzieht um von der Bühne direkt in den Sarg zu steigen , dann sind das die stones.
Habe gerade meine CD Sammlung ausgedünnt u. da hatte ich sie alle wieder in den Händen, insbesondere all die schönen alten Werke der Stones haben mich stark beeinflusst. Noch mit Brain Jones zusammen. Mick wünsche ich alles gute und das er uns noch lange erhalten bleibt.
1.
Die Stones haben meine Eltern begleitet und auch mich.....Danke für diese wunderbare Zeit. So etwas wird es in der Musikgeschichte nicht mehr geben.
Ich war bei den Stones am 17 August 1995 im Olympia Stadion.
Ziemlich dicht an der Bühne. Ein sexy Auftritt mit der Background Sängerin werde ich nie vergessen:-)