Pergamonmuseum vor jahrelanger Sanierung - Ausgemustert auf Zeit
Wenn das Pergamonmuseum im Oktober sanierungsbedingt schließt, beginnt das große Räumen: Hunderttausende Exponate müssen dafür gesichert und verwahrt werden. Für Forschende ein Glücksfall. Von Silke Hennig
Für mindestens dreieinhalb Jahre schließt das Pergamonmuseum am 23. Oktober vollständig seine Türen. Die Wiedereröffnung wird dann in Etappen erfolgen. Geplant ist die Öffnung des Nordflügels ab 2027. Als letzter Abschnitt soll der Südflügel sogar erst 2037 fertiggestellt werden. Ein langer Zeitraum, in dem Besucher auf Highlights wie das babylonische Ischtar-Tor verzichten müssen. Aber was passiert eigentlich in dieser Zeit mit all den Ausstellungsstücken des Vorderasiatischen Museums, der Antikensammlung und des Museums für Islamische Kunst, die bis jetzt im Pergamonmuseum gezeigt werden?
Es handelt sich um mehrere tausend Objekte, die zu sichern, aus Vitrinen auszuräumen und in Depots zu transportieren sind: Von kleinen Schrifttafeln, Vasen, Teppichen, über keramische Gebetsnischen bis hin zu monumentalen Skulpturen. "Wir rechnen mit ziemlich genau einem Jahr des Ausräumens, die sogenannte Baufreimachung", sagt die Direktorin des Vorderasiatischen Museums, Barbara Helwing. Je nach Größe und Charakter der Exponate soll dabei unterschiedlich verfahren werden. Für alle aber gilt: Veränderungen müssen behutsam erfolgen.
Auch Stein muss sich akklimatisieren
Schwankungen von Temperatur oder Luftfeuchtigkeit haben Auswirkungen auf alle Materialien. "Sogar Steine müssen sich an ein neues Klima gewöhnen", erklärt Helwing. Alle Objekte müssten sich daher an neuen Orten zunächst 'akklimatisieren' – auch diejenigen, die als 'Botschafter' des Pergamonmuseums vorübergehend an andere Institutionen für Ausstellungen ausgeliehen werden.
Gar nicht bewegt werden dagegen etliche der sogenannten Großarchitekturen wie Ischtar-Tor und Prozessionsstraße. Sie bleiben an Ort und Stelle. Es wäre zu riskant, sagt Helwing, sie in Einzelteile zu zerlegen und einzulagern. Für die Dauer der Bauarbeiten werden sie hinter Schutzwänden gesichert. Bewegungssensoren schlagen Alarm, wenn Erschütterungen zu stark sein sollten. Dieses Monitoring läuft bereits, seitdem im Untergrund der Museumsinsel die Arbeiten an der Archäologischen Promenade begonnen haben, die zukünftig die einzelnen Häuser verbinden soll.
Zeit für Bestandsaufnahme
2025 wollen die Staatlichen Museen zu Berlin ihr neues Depot in Friedrichshagen in Betrieb nehmen. Hier und im nahe der Museumsinsel gelegenen Archäologischen Zentrum wird das Gros der Ausstellungsstücke aus dem Pergamonmuseum gelagert werden.
Dass sie ihre angestammten Plätze verlassen müssen, eröffnet allerdings auch die Gelegenheit für eine Art Generalinventur: "Jedes Objekt wird von Restaurator:innen auf seinen Zustand hin untersucht", sagt die Direktorin des Vorderasiatischen Museums. Es werde gereinigt und gegebenenfalls auch gefestigt, wenn zum Beispiel Risse oder Fugen aufgegangen sind oder sich Bemalungen von ihrem Untergrund gelöst haben. "Auch die Objekt-Erfassung soll komplettiert" und auf den heutigen Standard gebracht werden. Nach rund einem halben Jahrhundert sei es erforderlich, Exponate neu und in manchen Fällen überhaupt zum ersten Mal wissenschaftlich zu erfassen.
Neues Wissen über alte Funde
Wer heute beispielsweise das quadratische Sanherib-Wasserbecken sieht, das Anfang des 20. Jahrhunderts in Assur im heutigen Irak ausgegraben wurde, wird wahrscheinlich das umlaufende Relief bewundern. Es zeigt unter anderem mit Fischhäuten bekleidete Priesterfiguren, die Eimerchen und anderes Gerät tragen.
Leicht kann man dabei darüber hinwegsehen, dass das mehr als drei Meter breite Becken Stückwerk ist. Im siebten vorchristlichen Jahrhundert, in der Zeit des assyrischen Königs Sanherib, wurde das Becken aus einem monolithischen Basaltblock herausgearbeitet. Es war bereits zerschlagen, als man es in einem der Höfe des Assur-Tempels, dem Hauptheiligtum Assyriens, entdeckte. Erst nach dem Transport nach Berlin vor rund 100 Jahren wurde es hier unter Verwendung vieler originaler Teile zusammengesetzt.
Die Zeit, in der das Pergamonmuseum schließt, soll genutzt werden, das Wasserbecken zum ersten Mal seitdem wieder auseinanderzunehmen. Mit heutigen wissenschaftlichen Methoden wird es dann untersucht und später wieder neu zusammengefügt. Ähnlich wie bei der schon länger andauernden Erforschung der Glasurziegelfassaden aus Assur, die im Zuge der damaligen Grabungs-Kampagne ebenfalls entdeckt und nach Berlin gebracht wurden, erhoffen sich die Wissenschaftler:innen dabei auch neue Erkenntnisse, wie Barbara Helwing unterstreicht.
Die Sanierung und die dadurch erforderliche jahrlange Schließung des Pergamonmuseums bedeute auch eine Chance für die Forschung. So steht zwar längst fest, wo welches Objekt bei der Wiedereröffnung seinen Platz haben wird, aber was wir über das eine oder andere Exponat wissen – da könnte es durchaus Neuigkeiten und Überraschungen geben. Eine Mammutaufgabe, die hoffentlich bis zur vollständigen Wiedereröffnung in gut vier Jahren vollzogen sein wird.
Sendung: rbbKultur, 05.09.2023, 16:45 Uhr