Kritik | Deutsches Theater - Die Katze auf dem heißen Blechdach als todtraurige Familienschlacht
Die Regisseurin Anne Lenk holt Tennessee Williams' Broadway-Klassiker um Liebe, Geld, Sex und Lebenslügen ans Deutsche Theater in Berlin. Eine trauriges Familienporträt – mit überraschendem Happy End. Von Barbara Behrendt
Es gibt eine surreale Zwischenszene, eine symbolträchtige Miniatur, die die Regisseurin Anne Lenk an diesem Abend gleich doppelt zeigt. Fünf in die Ferne immer kleiner werdende Guckkästen bilden die Bühne, wie fünf Bilderrahmen ineinandergesteckt.
Im kleinsten dieser Familienporträt-Rahmen sitzt ein winziger Big Daddy, mit Halbglatze und Anzug wie der Große – nur eben gespielt von einem Kind. Panisch schaut dieser Little Big Daddy ins Publikum. Neben ihm aufrecht wie eine Stehlampe seine Frau, Big Mamma. Statt eines Kopfes trägt sie einen Lampenschirm und singt eine Melodie in Moll. Was für eine Einsamkeit.
Ein todtrauriges und hoch artifizielles Tableau Vivant – das exemplarisch für die Inszenierung steht. Tennessee Williams hat für sein Theaterstück "Die Katze auf dem heißen Blechdach” zwar den Pulitzer-Preis gewonnen – noch berühmter als das Stück ist jedoch die Verfilmung von 1958: Liz Taylor als Maggie, die Katze, die Ehefrau mit Krallen, und Paul Newman als ihr Mann Brick, der sich aus Kummer um seinen toten Freund selbst in den Tod trinken will.
Am 65. Geburtstag von Bricks Vater Big Daddy kommt die ganze Familie im Haus des reichen, schwer an Krebs erkrankten Patriarchen zusammen – doch aus der geplanten Feier wird eine bittere Schlacht um Lebenslügen, Sex, Liebe, das Erbe und den Tod.
"Du kriegst keine Kinder und mein Sohn trinkt!"
Todtraurig sind an diesem Abend am Deutschen Theater vor allem die Gehässigkeiten, die jeder auf der Zunge trägt – nicht augenzwinkernd, nicht zur Komödie aufgepeppt, wie man das gern mit diesem Stück auf der Bühne macht, sondern mit Verzweiflung, Hass, Eifersucht. Etwa, wenn die Schwiegermutter der unfreiwillig kinderlosen Maggie knallhart mit auf den Weg gibt: "Irgendetwas stimmt nicht! Du kriegst keine Kinder, und mein Sohn trinkt! Wenn eine Ehe in die Brüche geht, dann liegt es daran!"
Oder wenn Big Daddy seinem Sohn Brick gehässig von der Ehe erzählt: "Wenn ich zum Beispiel so tun muss, als würde ich für deine Mutter irgendwas empfinden. Dabei halte ich ihren Anblick und ihren Ton und ihren Geruch schon seit 40 Jahren nicht mehr aus."
Ulrich Matthes: der tragische Patriarch
Ulrich Matthes spielt diesen Patriarchen nicht als derben Familien-Koloss. Bei ihm ist er ein fahler, verhärmter Biedermann, dem die Todesangst im Gesicht steht. Wie unbeholfen dieser Fiesling im Zwiegespräch mit seinem Lieblingssohn Brick plötzlich um Zuneigung buhlt, um ein einziges zugewandtes Wort – das ist tragisch.
Trotz des fantastischen Ensembles droht die Inszenierung mitunter, an ihrer betonten Künstlichkeit zu ersticken. Wie immer bei Anne Lenk staksen die Schauspieler:innen in extravaganten Kostümen wie auf dem Laufsteg durch bewegungseinschränkende Kunst-Räume – hier sind es die neonbeleuchteten Bilderrahmen.
Bei Klassikern wie "Maria Stuart" und "Der zerbrochene Krug" hat das ein neues Licht auf die im Kanon fast erstarrten Protagonist:innen geworfen. Beim psychologisch-realistischen Broadway-Stoff wirken die Figuren nun etwas aseptisch und verloren – auch, weil unklar bleibt, in welcher Zeit und Gesellschaft sie sich bewegen.
Das Happy End toppt sogar den Hollywood-Streifen
Nur die Beziehung von Maggie und Brick schafft eine überraschend hoffnungsvolle Aussicht für die Gegenwart. Zwar begehrt auch hier Maggie ihren Mann heiß und innig, während Brick sich sogar einen Kuss von Maggie abwischt – und seinem Freund Skipper nachtrauert. Die unterdrückte Homoerotik tritt deutlich hervor. Zwar sagt auch Brick die fiesesten Dinge zu seiner Frau: "Nicht die Liebe zu dir, Maggie, sondern die Freundschaft mit Skipper war die eine große und wahre Sache für mich, und du ziehst sie in den Dreck!"
Doch Lorena Handschin und Jeremy Mockridge lassen ihre Figuren freundschaftlich umeinanderkreisen, sich umarmen – und sich am Ende sogar in eine vage Zukunft retten. Es gibt vieles auszuloten zwischen den fixen Definitionen von Freundschaft und Liebe, Beziehung und Ehe, soll das bedeuten.
Mit Handschin bekommt die Inszenierung also jene optimistische Frauenfigur, die Anne Lenks Inszenierungen auszeichnen. Das toppt in puncto Happy End sogar noch den Hollywood-Streifen. Wirkt nach all den Blicken in die Abgründe der Familienhölle allerdings auch zu unplausibel, um wahr zu sein.
Sendung: rbb Kultur, 09.12.23, 07:45 Uhr