Wiederaufbau historischer Gebäude - "Irgendwie spürt man, dass das Fake-Architektur ist"
Mit der Ausstellung über den Palast der Republik im Humboldt-Forum kommt wieder die Frage auf: Werden Städte schöner, wenn zerstörte Gebäude wieder aufgebaut werden? Architekturkritiker Falk Jaeger sagt: Konzentrieren wir uns auf die Gegenwart.
rbb|24: Das Humboldt-Forum und der Palast der Republik in Berlin-Mitte erhitzen bis heute die Gemüter. In Potsdam ist es der Wiederaufbau der Garnisonskirche. In Frankfurt am Main die Rekonstruktion der Altstadt. Es scheint, es gäbe eine Seite, die einen Teil der Vergangenheit architektonisch zurückholen will, während die andere Seite andere Pläne hat. Warum wird da so erbittert gestritten?
Falk Jaeger: Es wird gestritten, weil die moderne und heutige Architektur in ihrer Bildhaftigkeit an die historische Architektur nicht heranreicht. Das ist aber eigentlich eine Scheindiskussion, denn es gibt ja Möglichkeiten, auch mit moderner Architektur abwechslungsreiche Quartiere zu gestalten, die dem Auge etwas zum Sehen bieten. So hätten Menschen eine Möglichkeit, sich mit dieser Architektur zu identifizieren, weil sie etwas Besonderes, Wiedererkennbares ist.
Da spricht man von Heimatbildung. Das ist vielleicht ein altertümliches Wort - es bedeutet aber, dass ich eine Architektur erzeuge, mit der die Menschen etwas anfangen können, in die sie sich verlieben können und an die sich gerne zurückerinnern. Das leistet die moderne Architektur aus verschiedenen Gründen heute nicht mehr richtig und deswegen gibt es diesen nostalgischen Drang, historische Architektur zu rekonstruieren. Man darf allerdings das Nutzungsproblem nicht aus den Augen verlieren.
Was meinen Sie mit dem Nutzungsproblem?
Man weiß in Architektenkreisen, wie man eine urbane Umwelt erzeugt, welche Kriterien da eine Rolle spielen. Das ist einerseits die Kleinteiligkeit der Parzellen, wie in den Altstädten, andererseits die Kleinteiligkeit an Nutzungen und drittens die Vielfalt der Nutzungen. Im Idealfall: Wohnen, Arbeiten und öffenliche Nutzungen in einem Viertel – die 15-Minuten-Stadt, in der man fußläufig alles Notwendige erreichen kann, was nebenbei die Erzeugung von Verkehr minimiert.
Schauen Sie sich zum Beispiel an, wie die Friedrichstraße vor dem Krieg funktioniert hat: Das waren schmale Häuser und in jedem Haus gab es verschiedene Nutzungen in den verschiedenen Geschossen. Das hat die Straße so ungeheuer lebendig gemacht und deswegen träumt man heute noch davon.
Sie haben Identität und Nostalgie angesprochen. Gerade bei diesem Komplex Palast der Republik/Humboldt-Forum hat die Politik entschieden, das eine durch das andere zu ersetzen. Was für eine Aussage hat man damit denn jetzt architekturpolitisch getroffen? Denn ein scheinbar historisches Gebäude in das Herz einer Stadt zu setzen, hat ja eine gewisse Symbolkraft.
Symbolkraft ist nicht in jedem Fall verwerflich. Aber in diesem Fall war es politisch ein bisschen unklug. Der Palast der Republik war keine tolle Architektur, aber es war ein Gebäude, mit dem sich viele identifiziert haben aus nostalgischen Gründen, auch weil sie schöne Erlebnisse und Erinnerungen damit verknüpfen. Und zum anderen, weil das ihre Architektur ist - und den Wiederaufbau des Schlosses empfinden die Menschen aus Ost-Berlin nicht als ihre Architektur, sondern eher als vom Westen aufgezwungen.
Wolf-Rüdiger Eisentraut, einer der Palast-Architekten, sagte zuletzt zu rbb|24: "Die obsiegende Gesellschaft hat den kulturellen Wert der Unterlegenen vernichtet." Was halten Sie denn von dieser Aussage?
Das ist sehr pointiert. Eisentraut ist sehr kämpferisch in dieser Beziehung und hat seine eigene Position, die man durchaus respektieren mag. Aber es gibt einen Begriff, der nennt sich die Ostmoderne. Der hat sich in der gesamtdeutschen Architektur durchgesetzt und bezeichnet, was in der ehemaligen DDR an moderner Architektur entstanden ist. Da geht es jetzt nicht um die seriellen Plattenbauten, sondern um einzelne Gebäude, meist "Gesellschaftsbauten", wie man in der DDR sagte, die individuelle Entwürfe sind und die durchaus Qualitäten hatten, zum Teil sogar auf internationalem Niveau.
Die Wertschätzung der Ostmoderne ist durchaus nicht nur aus der ehemaligen DDR gespeist worden, sondern auch von vielen Bauhistorikern und Architekten aus dem Westen. Auch aus dem Westen ist viel Herzblut und Geld mit hereingeflossen, um diese Gebäude zu erhalten und diese Gebäude wertzuschätzen und in eine neue Zeit zu retten.
Manche Gebäude aus der DDR werden in Berlin ja sehr wohlwollend aufgenommen, etwa das Kino International, das Café Moskau/Kyiv oder die Türme an der Frankfurter Allee. Der Palast der Republik stößt aber häufiger auf Kritik, woran liegt das?
Das liegt wohl daran, dass die Alternative Schloss immer vor Augen stand. Es gab einflussreiche Menschen auf der politischen Ebene, die dieses Schloss wiederhaben wollten. Hätte es diese Alternative nicht gegeben, dann hätte man zweifellos den Palast der Republik saniert und umgenutzt. Aber es stand das Schloss im Wege und da hat man eigentlich nur ein einziges Bild rekonstruiert, nämlich den Blick von Unter den Linden auf die Schlossecke zu. Dieses Bild ist derart signifikant und ikonisch, dass der Wunsch, es wieder zu haben, in Ost und West so stark wurde und es gelungen ist, das Geld dafür aufzubringen.
Was macht denn den Reiz aus? Welche Vorteile bringt es, so ein historisches Gebäude möglichst originalgetreu nachzubauen?
Der Vorteil ist, dass die Menschen einen viel leichteren Zugang zu so etwas haben, weil sie das einfach als schön empfinden. Und weil es eben nicht die Alternative von ebenso schöner moderner Architektur gibt. Die gibt es in Einzelfällen, aber viel zu wenig. Daran müsste man arbeiten im Kreise der Architekten und ihrer Bauherren.
Das Problem mit wieder aufgebauten Gebäuden ist, sie mit einer sinnvollen Nutzung zu füllen. Wenn man sich die neue Altstadt in Frankfurt am Main anschaut oder in Dresden den Neumarkt, gibt es da diese Diskrepanz zwischen Innen und Außen. Das spürt man. Auch beim Humboldt-Forum, in dessen Inneren sich kein Mensch wie in einem Residenzschloss fühlt. Im Übrigen fehlt die Patina, wenn man sich diese neuen Häuser anschaut. Irgendwie spürt man auch als aufmerksamer Laie, dass das Fake-Architektur ist.
Jetzt gibt es ja Gegner dieser Rekonstruktionen, die sagen, da wird auch vielleicht falschen Werten gehuldigt. Mit der Garnisonkirche etwa dem Militarismus oder dass zum Beispiel der Bau der ursprünglichen Berliner Schlossfassade wohl auch aus Gewinnen der brandenburgisch-afrikanischen Kompanie bestritten wurde, die Sklavenhandel betrieb.
Von solchen Wertkriterien von Architektur halte ich überhaupt nichts. Architektur ist wandelbar. Je nachdem, wofür sie gebaut worden ist, kann sie für etwas anderes benutzt werden. Wir könnten mit solchen Kriterien vier Fünftel der historischen Architektur abräumen, weil sie alle irgendwie in solchen totalitären politischen Verhältnissen entstanden sind. Wenn Sie an die großen Kathedralen denken: Was sind die Menschen gequält worden, um diese Kathedralen zu errichten und zu bezahlen! Wenn Sie an die alten Burgen und Schlösser denken: Die Bevölkerung hat unter Frondiensten gelitten, die sie hat bauen müssen.
Man kann Architektur nicht mit politischen Kriterien diskriminieren, auch die jüngste Architektur nicht. Man muss sie mit architektonischen Kriterien messen und ihr die Chance lassen, in eine neuen Zeit überführt zu werden. Architektur ist immer auch eine Zeugin für die Entstehungsbedingungen. Wenn ich eine Burg heute anders nutze, als Freizeitobjekt beispielsweise, dann verleugne ich nicht die Entstehungsbedingungen, propagiere sie aber nicht. Im Olympiastadion finden Pokalendspiele und Rolling-Stones-Konzerte statt, trotz dessen NS-Vergangenheit.
Wenn wir jetzt einen Blick auf das moderne Berlin und Potsdam werfen, welche Rolle spielt denn da beispielsweise Zeitgeist, Identität und Macht bei der Architektur der Städte?
Die städtebaulichen Entstehungsbedingungen waren mal totalitär, von oben diktiert, in manchen Bereichen eher demokratisch und historisch gewachsen. Was mich mehr interessiert, ist die Frage: Unter welchen Bedingungen bauen wir heute unsere Städte? Wie entwickelt man Stadtstrukturen neu, sodass sie von der Gesellschaft, von der Wirtschaft und von den Menschen angenommen werden und nach eigenem Gusto benutzt werden?
Da habe ich das große Problem, dass eben heute, auch von Seiten des Berliner Senats, die Stadtplanung nicht individuell genug erfolgt. Man plant in großem Maßstab und das ging schon immer schief. Man muss viel investieren in die Detailplanung einer Stadt, eines Quartiers, um zu ermöglichen, dass Akteure, die man haben will, aktiv werden können. Und das sind nicht die großen Akteure, die Investoren, sondern die kleinen, die hier leben und arbeiten wollen: Wohneigentümer, Baugruppen, einzelne Gewerbetreibende. Dann wird es interessant, dann wird es lebendig, dann kann man sich da wohlfühlen.
Charlottenburg zum Beispiel wurde zwar als großer Wurf geplant, aber mit hunderten einzelner Akteure gebaut. Das Ergebnis ist eine vielgestaltige Architektur, die von allen angenommen und ständig neu und umgenutzt werden kann. Die Wohnungen sind einfach so geschnitten, dass sie verschiedensten Zwecken dienen können, was bei den heutigen normierten Drei-Zimmer-Wohnungen nicht möglich ist.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Julian von Bülow, rbb|24