Kritik | Neuköllner Oper - "Daddy Unplugged" - Wann warst du stolz auf deinen Vater?
Ein Blick ins Familienalbum und ein Erinnerungskonzert: Lutz Hübners und Sarah Nemitzs neues Stück "Daddy Unplugged" verhelfen der Neuköllner Oper zu einem charmanten, warmherzigen Saisonstart – den Vätern gewidmet. Von Barbara Behrendt
"Dieser Abend ist meinem Vater gewidmet. Und dem der Regisseurin Alexandra Liedtke, der vor einem Jahr verstorben ist – eigentlich allen Vätern", begrüßt der musikalische Leiter Peer Neumann das Publikum. Und erklärt, welche Songs wir im Laufe der Performance hören werden. Nämlich solche, die er schon mit der Band seines Vaters "Bodo and the Kids" als Kind bei Hochzeiten gespielt hat. Fats Dominos "Blueberry Hill" zum Beispiel.
Die Inszenierung "Daddy Unplugged" an der Neuköllner Oper ist eine Gemeinschaftsarbeit, bei der das ganze Team Wunschsongs und Familienfotos zusammengetragen hat. Neben der offensichtlichen Vater-Hymne "Father and Son" von Cats Stevens sind auch Queen und David Bowie dabei. Jede:r Schauspieler:in singt mal einen zu Herzen gehenden Song mit der Live-Band – und bei aller Professionalität bekommt das den hübschen Charme einer Karaoke-Show.
Kein reines Doku-Drama
Wenn dann vergilbte Fotos über einen uralten Diaprojektor an die Wand geworfen werden, steht einem sogleich die bundesrepublikanische Geschichte vor Augen: "So hat man gelebt, als mein Vater jung war", sagen die Protagonist:innen, "so hat man gefeiert, so sah Weihnachten aus". Garniert mit einem Zitat des jeweils regierenden Bundeskanzlers.
Ein rein dokumentarischer Väter-Abend ist "Daddy Unplugged" allerdings nicht. Die Regisseurin Alexandra Liedtke hat sich für ihre erste Regie an der Neuköllner Oper ein Stück über Väter gewünscht. Und das Autor:innenpaar Sarah Nemitz und Lutz Hübner, Profis für nahbare Figuren, hat ihr eine fiktive Geschichte geschrieben. Darin fließen Anekdoten und Fotos aus dem Team ein, allerdings nie Eins zu Eins. Wenn die Schauspielerin Katharina Beatrice Hierl in der Rolle der Sozialarbeiterin Maria von ihrem leistungsversessenen Vater spricht und auf ein Foto zeigt, ist das weder ihre Geschichte, noch ihr Foto.
Reflexionen über den eigenen Vater
Doch so genau muss man das gar nicht wissen. Die Handlung ist ohnehin eher zart getupft als kräftig gepinselt, es bleiben viele Leerstellen. Denn letztlich dient die Geschichte dazu, das Publikum zu einer Reflexion über den eigenen Vater anzuregen.
Das Setting ist dabei hoch dramatisch: Drei sich fremde Menschen unterschiedlicher Generationen treffen im Wartesaal eines Krankenhauses aufeinander – und alle warten sie darauf, dass ihr Vater aufwacht. Aus der Narkose nach einer komplizierten Hirn-Operation oder aus dem Schlaganfall-Koma. Und während wir mit ihnen warten, erzählen sie collagenhaft von den Beziehungen zu ihren Vätern. Das "Unplugged", das "Ausstöpseln" bekommt somit eine zweite, eine makabre Bedeutung.
Frieda ist die Älteste; sie hat eine innige Beziehung zu ihrem Vater und erzählt, wie er sie damals aus der furchtbaren Ballettstunde gerettet hat. Maria ist die verstoßene Tochter, die es ihrem Vater nie rechtmachen konnte. Hannos Vater wird also Hallodri und Alkoholiker vorgestellt – allerdings einer, der für jedes Vater-Sohn-Abenteuer zu haben ist.
Ein Plädoyer fürs Miteinandersprechen
Ein junger Tänzer, Chris Jäger, nimmt zudem die Leerstelle des Vaters ein, wird zur Projektionsfläche der Erinnerung und öffnet über die Bewegung eine weitere Ebene hinter den Worten. Eine unbändige Freude, wenn die Sängerin Frederike Haas von Jäger durch die Luft gewirbelt wird wie ein Kind von seinem Vater.
Das mündet weniger in einer Hommage an die Väter als in ein Plädoyer für das Miteinandersprechen, auch, wenn es schwerfällt. Durch die emotional aufgeladene Situation am Sterbebett des Vaters driftet die Inszenierung allerdings hier und da ein wenig zu sehr ins Rührselige, bei aller Auseinandersetzung. Mehr Blicke über den mit Anekdoten gefüllten Tellerrand hätten den Abend durchaus bereichern können.
Dafür wirkt "Daddy Unplugged" sinnlich und emotional: über die zugänglichen Figuren angesichts des Abschieds, über die Musik, die Fotos, die kleinen Choreografien, das tänzerisch Fliegende. Und selbstverständlich überträgt man die Fragen, die die der Abend stellt, sogleich auf die eigene Vaterbeziehung: Wann warst du stolz auf deinen Vater? Ist dein Vater froh, dass es dich gibt? Wo bist du geworden wie dein Vater, obwohl du es nie wolltest? Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du an deinen Vater denkst? Darüber kann man weit länger als einen Abend nachdenken.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.09.2024, 07:55 Uhr