rbb exklusiv | Höheres Sterberisiko für Patienten - Diese 18 Kliniken führen schwere Operationen zu selten durch
Das Sterberisiko für Patienten steigt, wenn sie in Kliniken operiert werden, die zu wenig Routine mit bestimmten schweren Operationen haben. Eine interaktive Karte zeigt, welche 18 Kliniken in der Region vorgeschriebene Mindestmengen nicht erfüllten. Von Robin Avram und Dominik Wurnig
Fünf Berliner und 13 Brandenburger Kliniken führten 2017 schwere Operationen in geringerer Fallzahl durch, als die sogenannte Mindestmengen-Regelung gesetzlich vorschreibt. Das hat eine Analyse der jüngsten verfügbaren Qualitätsberichte aller regionalen Krankenhäuser durch rbb24 und das rbb-Verbrauchermagazin Supermarkt ergeben.
Die Mindestmengen gelten für sechs besonders schwere Operationen und sollen sicherstellen, dass OP-Teams und Intensivstationen ausreichend Erfahrung mit diesen Eingriffen haben. Konkret sind das schwere OPs an Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre und Knie sowie Leber-, Nieren- und Stammzellentransplantationen. In Berlin und Brandenburg betraf die Vorgabe im Jahr 2017 laut rbb-Datenanalyse rund 10.600 durchgeführte Operationen in 68 Kliniken. Rund 220 dieser Eingriffe wurden in Krankenhäusern durchgeführt, die die Mindestmengen-Vorgaben nicht erreichten.
In solchen Krankenhäusern haben Patienten ein signifikant höheres Risiko, an den Folgen der Operation zu versterben, wenn sie dort einen schweren Eingriff an Bauchspeicheldrüse oder Speiseröhre durchführen lassen. Auch wer eine Nierentransplantation oder ein künstliches Knie braucht, hat in Krankenhäusern mit zu wenig Erfahrung ein erhöhtes Sterberisiko. Bei fünf der sechs Mindestmengen-Operationen treten Komplikationen zudem signifikant häufiger auf, wenn Kliniken zu wenig Erfahrung damit haben.
Das geht aus einer Langzeit-Studie hervor, an der der Gesundheitsökonom Thomas Mansky von der TU Berlin beteiligt war (externer Link). Die Studie hat eine hohe Aussagekraft, da die Autoren deutschlandweit den Behandlungsverlauf aller Patienten auswerteten, die sich in den Jahren 2006 bis 2013 einer der sechs Operationen unterzogen hatten. Insgesamt flossen rund 1,3 Millionen Behandlungsfälle in die Studie ein.
Die interaktive Karte zeigt, welche 18 Krankenhäuser in der Region unter den Mindestmengen-Vorgaben blieben:
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Fast doppelt so hohes Sterberisiko bei schwerer Pankreas-OP
Besonders erhöht ist das Sterberisiko beim Pankreas-Karzinom, besser bekannt als Bauchspeicheldrüsen-Krebs. In spezialisierten Pankreas-Zentren mit 96 oder mehr Eingriffen pro Jahr sterben laut einer Langzeitstudie im Schnitt 6,5 Prozent der Patienten. In Krankenhäusern, die unter der Mindestmenge von zehn Eingriffen pro Jahr bleiben, sterben im Schnitt 11,5 Prozent – das ist fast jeder achte Patient. "Das ist viel zu hoch für diese Operation, und das ist ethisch nicht vertretbar", kommentiert Michael Heise, Chefarzt der Chirurgie des Sana-Klinikums Lichtenbergs auf rbb-Anfrage diese Zahlen.
Heise leitet ein spezialisierte Klinik, die achtmal häufiger Patienten an der Bauchspeicheldrüse operiert, als die Mindestmenge vorschreibt. Er erklärt: Für den Erfolg der Pankreas-Operation sei nicht nur ein geübter Chirurg erforderlich. Man brauche auch ein eingespieltes Behandlungs-Team: einen Gastroenterologen, einen Radiologen, der eine entsprechende Diagnostik macht und erfahrene Pflegekräfte. "So etwas ist natürlich nicht in allen Häusern vorhanden und insbesondere die Erfahrung fehlt in Kliniken, die nicht so viele Bauchspeicheldrüsen-Patienten operieren", sagt Heise.
Herzberger Klinik räumt ein: Kein Bedarf für schwere Pankreas-OP vorhanden
Zehn Kliniken in Berlin und Brandenburg führten im Jahr 2017 Pankreas-Operationen unterhalb der Mindestmenge durch. Die Mehrzahl der Kliniken berief sich darauf, dass es ungeplante Notfall-Eingriffe gewesen seien. Das Elbe-Elster Klinikum in Herzberg hingegen bot die Leistung planmäßig an. Es führte die Operation im Jahr 2017 weniger als sechs Mal durch – deutlich unter der Mindestmenge von zehn Operationen pro Jahr. Das Klinikum betont, es gebe grundsätzlich regionalen Bedarf für Pankreas-Chirurgie. "Jedoch ist für den Teil der mindestmengenrelevanten Eingriffe der Bedarf nicht vorhanden", räumt die Klinikleitung schriftlich ein.
Obwohl die Mindestmenge unterschritten wurde, handelte die Klinik legal, denn sie hatte diese Operation nach einem Chefarzt-Wechsel in der chirurgischen Abteilung im Jahr 2016 neu in den Leistungskatalog aufgenommen. Kliniken, die das tun, können die Mindestmengen für einen Übergangszeitraum unterschreiten. Mit diesem Ausnahmegrund durften auch die DRK-Kliniken Mitte und das Klinikum Niederlausitz im Jahr 2017 die schwere Pankreas-OP durchführen - beide Kliniken blieben ebenfalls unter der Mindestmenge. Das Achenbach Klinikum Königs-Wusterhausen verfehlte die Mindestmenge ohne Ausnahmegrund, eine schriftliche Anfrage von rbb|24 dazu ließ das Klinikum unbeantwortet.
Es geht um Prestige, Konkurrenz mit anderen Kliniken - und um Geld
Warum bieten kleine Krankenhäuser solche komplexen Operationen überhaupt neu an - obwohl deren chirurgische Chefärzte aus ihren Fachjournalen auch die Studien kennen müssten, wonach die Behandlungsqualität im Schnitt sinkt, je seltener ein Krankenhaus Patienten behandelt? Das Klinikum Herzberg bestreitet auf Anfrage, dass finanzielle Überlegungen eine Rolle dabei gespielt hätten, die Leistung neu anzubieten. Es sei darum gegangen, eine "wohnortnahe, regionale Versorgung zu ermöglichen."
Dagmar Schmidt ist bei der AOK Nordost für die Kontrolle der Mindestmengen zuständig. Nach langem Überlegen sagt sie dem rbb ein Interview zu dem Thema zu. Die Bereichsleiterin ist überzeugt, im Sinne der Patienten zu handeln - doch kleinen Krankenhäusern Leistungen zu verweigern, ist insbesondere in Brandenburg unpopulär. Die resolute Krankenhaus-Expertin saß schon oft mit Klinikchefs zusammen, die überhaupt nicht einsahen, warum die Krankenkassen ihnen das Operations-Angebot einschränken wollten. Etliche verklagten die AOK, wenn die Krankenkasse wegen nicht erbrachter Mindestmengen die Bezahlung der Operationen verweigerte. Schmidt kennt die ungeschminkte Sichtweise einiger Klinikchefs.
"Das ist sicherlich eine Frage von Prestige. Das ist vielleicht auch eine Konkurrenzsituation zu anderen Krankenhäusern. Und das hat auch eine finanzielle Komponente, weil es lukrative Leistungen sind", zählt Schmidt auf. Rund 20.000 Euro rechnet eine Klinik laut AOK im Schnitt für eine Pankreas-OP-Behandlung ab. Kommt es zu Komplikationen, können es bis zu 150.000 Euro sein - auch ein guter Grund für die AOK, Kliniken, die unter der Mindestmenge bleiben, aus der Versorgung herauszunehmen. Doch es ist eine Sisyphos-Arbeit: viele kleine Kliniken entschlossen sich in den vergangenen Jahren, die Pankreas-OP neu anzubieten - und dürfen nach aktueller Gesetzgebung erst einmal ein Jahr lang auf Probe operieren, bevor die Krankenkassen prüfen können, ob zumindest die Hälfte der Mindestmenge erbracht wurde.
Nur jede dritte Pankreas-Klinik der Region ist zertifiziert
Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der TU Berlin kritisiert, dass Kliniken sich auf diese Art und Weise am Markt ausprobieren dürfen. Es finde gegenwärtig keine ausreichende Prüfung durch den Gesetzgeber statt, ob es für die Versorgung der Patienten überhaupt notwendig sei, dass Kliniken diese komplizierte Operationen neu anbieten. "Das jetzt überhaupt noch zusätzliche Krankenhäuser dazukommen, liegt ja nicht daran, dass wir einen Mangel an Krankenhäusern hätten, wo diese Pankreas-Operationen stattfinden. Ganz im Gegenteil, wir müssten das auf wenige, spezialisierte Kliniken konzentrieren", sagt Busse. Er fordert: Nur zertifizierte Krebs-Zentren sollten künftig noch die Erlaubnis erhalten, diese schwere OP durchzuführen.
Die deutsche Krebsgesellschaft hat in Berlin und Brandenburg zwölf Kliniken als Pankreas-Zentrum zertifiziert. Angeboten wird die OP aber in 27 weiteren Krankenhäusern - nicht einmal jede dritte Klinik in der Region ist also zertifiziert.
Inzwischen haben nach rbb-Recherchen die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen der Klinik in Herzberg wie auch dem Klinikum Niederlausitz die Abrechnungserlaubnis für die schwere Pankreas-OP entzogen. Beide Kliniken bestätigten das auf Anfrage. "Die Patientensicherheit geht absolut vor. Und eine belegbare höhere Sterblichkeit bei diesen Patienten kann nicht in Kauf genommen werden dafür, dass Krankenhäuser diese Leistung erbringen", begründet Klinik-Expertin Dagmar Schmidt von der AOK Nordost den Schritt.