rbb exklusiv | Höheres Sterberisiko für Patienten - Diese 18 Kliniken führen schwere Operationen zu selten durch

Mo 03.06.19 | 11:47 Uhr | Von Robin Avram und Dominik Wurnig, rbb|24
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Blick durch die Scheibe eines Op-Saals in einem Krankenhaus (Quelle: dpa/ Schuh)
Bild: Video: Super.Markt | 03.06.2019 | Robin Avram

Das Sterberisiko für Patienten steigt, wenn sie in Kliniken operiert werden, die zu wenig Routine mit bestimmten schweren Operationen haben. Eine interaktive Karte zeigt, welche 18 Kliniken in der Region vorgeschriebene Mindestmengen nicht erfüllten. Von Robin Avram und Dominik Wurnig

Fünf Berliner und 13 Brandenburger Kliniken führten 2017 schwere Operationen in geringerer Fallzahl durch, als die sogenannte Mindestmengen-Regelung gesetzlich vorschreibt. Das hat eine Analyse der jüngsten verfügbaren Qualitätsberichte aller regionalen Krankenhäuser durch rbb24 und das rbb-Verbrauchermagazin Supermarkt ergeben.

Die Mindestmengen gelten für sechs besonders schwere Operationen und sollen sicherstellen, dass OP-Teams und Intensivstationen ausreichend Erfahrung mit diesen Eingriffen haben. Konkret sind das schwere OPs an Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre und Knie sowie Leber-, Nieren- und Stammzellentransplantationen. In Berlin und Brandenburg betraf die Vorgabe im Jahr 2017 laut rbb-Datenanalyse rund 10.600 durchgeführte Operationen in 68 Kliniken. Rund 220 dieser Eingriffe wurden in Krankenhäusern durchgeführt, die die Mindestmengen-Vorgaben nicht erreichten.

In solchen Krankenhäusern haben Patienten ein signifikant höheres Risiko, an den Folgen der Operation zu versterben, wenn sie dort einen schweren Eingriff an Bauchspeicheldrüse oder Speiseröhre durchführen lassen. Auch wer eine Nierentransplantation oder ein künstliches Knie braucht, hat in Krankenhäusern mit zu wenig Erfahrung ein erhöhtes Sterberisiko. Bei fünf der sechs Mindestmengen-Operationen treten Komplikationen zudem signifikant häufiger auf, wenn Kliniken zu wenig Erfahrung damit haben.

Das geht aus einer Langzeit-Studie hervor, an der der Gesundheitsökonom Thomas Mansky von der TU Berlin beteiligt war (externer Link). Die Studie hat eine hohe Aussagekraft, da die Autoren deutschlandweit den Behandlungsverlauf aller Patienten auswerteten, die sich in den Jahren 2006 bis 2013 einer der sechs Operationen unterzogen hatten. Insgesamt flossen rund 1,3 Millionen Behandlungsfälle in die Studie ein.

Die interaktive Karte zeigt, welche 18 Krankenhäuser in der Region unter den Mindestmengen-Vorgaben blieben:

 

Falls Sei die Karte nicht sehen können, klicken Sie bitte hier.

Hintergründe zu den Mindestmengen

  • Woher stammen die Daten?

  • Wie werden Kliniken für Nicht-Einhaltung "bestraft"?

  • Bestrafen die Krankenkassen wirklich konsequent?

  • Welche Ausnahmegründe gibt es?

  • Geplante Operationen vs Notfall-Operationen

  • Reform der Mindestmengen-Regelung

Fast doppelt so hohes Sterberisiko bei schwerer Pankreas-OP

Besonders erhöht ist das Sterberisiko beim Pankreas-Karzinom, besser bekannt als Bauchspeicheldrüsen-Krebs. In spezialisierten Pankreas-Zentren mit 96 oder mehr Eingriffen pro Jahr sterben laut einer Langzeitstudie im Schnitt 6,5 Prozent der Patienten. In Krankenhäusern, die unter der Mindestmenge von zehn Eingriffen pro Jahr bleiben, sterben im Schnitt 11,5 Prozent – das ist fast jeder achte Patient. "Das ist viel zu hoch für diese Operation, und das ist ethisch nicht vertretbar", kommentiert Michael Heise, Chefarzt der Chirurgie des Sana-Klinikums Lichtenbergs auf rbb-Anfrage diese Zahlen.

Heise leitet ein spezialisierte Klinik, die achtmal häufiger Patienten an der Bauchspeicheldrüse operiert, als die Mindestmenge vorschreibt. Er erklärt: Für den Erfolg der Pankreas-Operation sei nicht nur ein geübter Chirurg erforderlich. Man brauche auch ein eingespieltes Behandlungs-Team: einen Gastroenterologen, einen Radiologen, der eine entsprechende Diagnostik macht und erfahrene Pflegekräfte. "So etwas ist natürlich nicht in allen Häusern vorhanden und insbesondere die Erfahrung fehlt in Kliniken, die nicht so viele Bauchspeicheldrüsen-Patienten operieren", sagt Heise.

Chefarzt Prof. Michael Heise vom Sana Klinikum Lichtenberg (Quelle: rbb)Chirurgie-Chefarzt Michael Heise findet die hohe Sterblichkeitsrate vieler kleiner Pankreas-Kliniken "ethisch nicht vertretbar".

Herzberger Klinik räumt ein: Kein Bedarf für schwere Pankreas-OP vorhanden

Zehn Kliniken in Berlin und Brandenburg führten im Jahr 2017 Pankreas-Operationen unterhalb der Mindestmenge durch. Die Mehrzahl der Kliniken berief sich darauf, dass es ungeplante Notfall-Eingriffe gewesen seien. Das Elbe-Elster Klinikum in Herzberg hingegen bot die Leistung planmäßig an. Es führte die Operation im Jahr 2017 weniger als sechs Mal durch – deutlich unter der Mindestmenge von zehn Operationen pro Jahr. Das Klinikum betont, es gebe grundsätzlich regionalen Bedarf für Pankreas-Chirurgie. "Jedoch ist für den Teil der mindestmengenrelevanten Eingriffe der Bedarf nicht vorhanden", räumt die Klinikleitung schriftlich ein.

Obwohl die Mindestmenge unterschritten wurde, handelte die Klinik legal, denn sie hatte diese Operation nach einem Chefarzt-Wechsel in der chirurgischen Abteilung im Jahr 2016 neu in den Leistungskatalog aufgenommen. Kliniken, die das tun, können die Mindestmengen für einen Übergangszeitraum unterschreiten. Mit diesem Ausnahmegrund durften auch die DRK-Kliniken Mitte und das Klinikum Niederlausitz im Jahr 2017 die schwere Pankreas-OP durchführen - beide Kliniken blieben ebenfalls unter der Mindestmenge. Das Achenbach Klinikum Königs-Wusterhausen verfehlte die Mindestmenge ohne Ausnahmegrund, eine schriftliche Anfrage von rbb|24 dazu ließ das Klinikum unbeantwortet.

Das Elbe-Elster-Klinikum in Herzberg (Quelle: rbb)
Das Elbe-Elster Klinikum Herzberg bot die Pankreas-OP neu an - und verfehlte die Mindestmengen deutlich. | Bild: rbb

Es geht um Prestige, Konkurrenz mit anderen Kliniken - und um Geld

Warum bieten kleine Krankenhäuser solche komplexen Operationen überhaupt neu an - obwohl deren chirurgische Chefärzte aus ihren Fachjournalen auch die Studien kennen müssten, wonach die Behandlungsqualität im Schnitt sinkt, je seltener ein Krankenhaus Patienten behandelt? Das Klinikum Herzberg bestreitet auf Anfrage, dass finanzielle Überlegungen eine Rolle dabei gespielt hätten, die Leistung neu anzubieten. Es sei darum gegangen, eine "wohnortnahe, regionale Versorgung zu ermöglichen."

Dagmar Schmidt ist bei der AOK Nordost für die Kontrolle der Mindestmengen zuständig. Nach langem Überlegen sagt sie dem rbb ein Interview zu dem Thema zu. Die Bereichsleiterin ist überzeugt, im Sinne der Patienten zu handeln - doch kleinen Krankenhäusern Leistungen zu verweigern, ist insbesondere in Brandenburg unpopulär. Die resolute Krankenhaus-Expertin saß schon oft mit Klinikchefs zusammen, die überhaupt nicht einsahen, warum die Krankenkassen ihnen das Operations-Angebot einschränken wollten. Etliche verklagten die AOK, wenn die Krankenkasse wegen nicht erbrachter Mindestmengen die Bezahlung der Operationen verweigerte. Schmidt kennt die ungeschminkte Sichtweise einiger Klinikchefs.

"Das ist sicherlich eine Frage von Prestige. Das ist vielleicht auch eine Konkurrenzsituation zu anderen Krankenhäusern. Und das hat auch eine finanzielle Komponente, weil es lukrative Leistungen sind", zählt Schmidt auf. Rund 20.000 Euro rechnet eine Klinik laut AOK im Schnitt für eine Pankreas-OP-Behandlung ab. Kommt es zu Komplikationen, können es bis zu 150.000 Euro sein - auch ein guter Grund für die AOK, Kliniken, die unter der Mindestmenge bleiben, aus der Versorgung herauszunehmen. Doch es ist eine Sisyphos-Arbeit: viele kleine Kliniken entschlossen sich in den vergangenen Jahren, die Pankreas-OP neu anzubieten - und dürfen nach aktueller Gesetzgebung erst einmal ein Jahr lang auf Probe operieren, bevor die Krankenkassen prüfen können, ob zumindest die Hälfte der Mindestmenge erbracht wurde.

Nur jede dritte Pankreas-Klinik der Region ist zertifiziert

Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der TU Berlin kritisiert, dass Kliniken sich auf diese Art und Weise am Markt ausprobieren dürfen. Es finde gegenwärtig keine ausreichende Prüfung durch den Gesetzgeber statt, ob es für die Versorgung der Patienten überhaupt notwendig sei, dass Kliniken diese komplizierte Operationen neu anbieten. "Das jetzt überhaupt noch zusätzliche Krankenhäuser dazukommen, liegt ja nicht daran, dass wir einen Mangel an Krankenhäusern hätten, wo diese Pankreas-Operationen stattfinden. Ganz im Gegenteil, wir müssten das auf wenige, spezialisierte Kliniken konzentrieren", sagt Busse. Er fordert: Nur zertifizierte Krebs-Zentren sollten künftig noch die Erlaubnis erhalten, diese schwere OP durchzuführen.

Die deutsche Krebsgesellschaft hat in Berlin und Brandenburg zwölf Kliniken als Pankreas-Zentrum zertifiziert. Angeboten wird die OP aber in 27 weiteren Krankenhäusern - nicht einmal jede dritte Klinik in der Region ist also zertifiziert.  

Inzwischen haben nach rbb-Recherchen die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen der Klinik in Herzberg wie auch dem Klinikum Niederlausitz die Abrechnungserlaubnis für die schwere Pankreas-OP entzogen. Beide Kliniken bestätigten das auf Anfrage. "Die Patientensicherheit geht absolut vor. Und eine belegbare höhere Sterblichkeit bei diesen Patienten kann nicht in Kauf genommen werden dafür, dass Krankenhäuser diese Leistung erbringen", begründet Klinik-Expertin Dagmar Schmidt von der AOK Nordost den Schritt.

Beitrag von Robin Avram und Dominik Wurnig, rbb|24

10 Kommentare

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  1. 10.

    Was mich rasend macht sind Keime und Pilze. Ob Charité Berlin oder Uni-Klinikum Essen, du erfährst von deinen Liebsten, sie sind befallen. Und dann schau ich auf die Medikamenten-Tortur. So lernte ich einen echten Kohle-Baron kennen, über 90, dem seine gesamte Verwandtschaft hängen lässt, aber jedoch seine Gelder genießt. Da öffnen sich Welten, daran denkt keiner ...darum lasse ich mir nichts vormachen.

  2. 7.

    Also wenn ich das alles hier lese muss ich mein Abendgebet heute verlängern damit ich nicht krank werde oder gar operiert werden muss.

  3. 6.

    Ich möchte auf einen Fehler im Bereich der Knieendoprothetik hinweisen.
    Im Beitrag wird angegeben, dass die Kliniken eine Knieendoprothese mit bis zu 13.000 Euro der Kasse in Rechnung stellen. Hier wird ein falsches Bild vermittelt.
    Die Standard- Knieprothese wird derzeit in Brandenburg mit 7200 Euro vergütet. Das beinhaltet die Materialkosten, den gesamten Aufenthalt und natürlich die OP.
    Bis zu 13.000 Euro werden nur für Spezialprothesen oder Sonderanfertigungen bezahlt, die extrem selten sind. Bitte hantieren sie nicht mit falschen Zahlen!

  4. 5.

    Leider steht dieser rbb-Beitrag eher für Skandalisierung als für Aufklärung. Natürlich sollten schwierige Operationen eher in spezialisierten Krankenhäusern durchgeführt werden als in Krankenhäusern allgemeinerer Ausrichtung. Doch Vorgaben wie die „Mindestmengenregelung“ zwingen letztere offensichtlich, hier tätig zu werden. Gerade im ländlichen Raum werden Krankenhäuser gebraucht, die eine Grundversorgung sichern und nicht nur spezialisiert sind. Das eigentliche Problem, das der Beitrag nicht thematisiert, ist der Kostendruck, dem viele Krankenhäuser ausgesetzt sind. Stichwort Fallpauschale. Geld bringen schwere Fälle und Operationen, anderes rechnet sich weniger. Wirtschaftliche Probleme vieler Krankenhäuser sind die Folge. Der Ruf nach Spezialisierung ist politisch gewollt, denn die Zahl der Krankenhäuser soll sinken. Ziel: die Krankenhausfabrik, möglichst wenige Einrichtungen mit hohen Fallzahlen und spezialisiertem Fachpersonal, das rechnet sich. Vor allem für die Privaten.

  5. 4.

    Es geht nicht um Erfahrung, da stimme ich mit Ihnen überein.

    Es geht um grundlose Operationen, um Erfahrung zu sammeln. Weil für die Ausbildung solche OP Vorschrift sind. Aber dann soll man sich Patienten suchen, bei denen eine solche OP NOTWENDIG ist.

    https://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/donna/rettung-oder-koerperverletzung-tausende-gebaermutter-ops-warum-deutsche-aerzte-so-schnell-zum-skalpell-greifen_id_4612379.html

  6. 3.

    @2 Matthias

    Das ist ärgerlich und gehört bestraft aber grundlegend ist es schon richtig bestimmten Ärzten eine Praxis vorzuschreiben.
    Sicherlich haben die Ärzte es alles mal im Studium und der Fachausbildung gelernt aber die Praxis verlernt man schneller als man sich wundern kann.
    Ich würde mich zum Beispiel ungern von jemanden operieren lassen, der das letzte Mal vor 5 Jahren das Skalpell in der Hand hatte.

  7. 2.

    Nein, darauf können Sie sich leider nicht verlassen. Ein Arzt schlug meiner Freundin mit 38 Jahren die Entfernung der Gebärmutter vor. Grundlos. Jedenfalls für die Patientin. Er selbst brauchte die OP für seine Vita und sein berufliches Vorwärtskommen, da eine Mindestzahl an OP vorgeschrieben ist.

  8. 1.

    Das erschreckt mich: Kliniken, die die Mindestzahl an Operationen nicht erreichen, sollen bestraft werden?!

    Kann ich mich dann als Patient dann noch darauf verlassen, daß der Eingriff wirklich nötig ist oder ich eher dazu diene, die Statistik aufzuhübschen um finanzielle Einbußen zu vermeiden?

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