Baulärm in Berlin - "Wenn Wände durchbrochen wurden, haben auch keine Ohrstöpsel mehr geholfen"
Jannik ist mit seinem Sohn vor einem Jahr direkt neben einer Baustelle eingezogen, wie sehr ihn der Baulärm belasten wird, hat er unterschätzt. Doch Abhilfe gibt es für Betroffene in der Großstadt kaum. Von Chiara Kempers
Berlin ist eine Großbaustelle. Bis 2030 sollen laut dem Berliner Senat 200.000 neue Wohnungen gebaut werden - neuer Wohnraum, den alle Berlinerinnen und Berliner dringend brauchen, der aber oft auch mit jahrelangem Baulärm verbunden ist.
Jannik wohnt mit seinem Sohn in einer WG in Berlin-Wedding. Vor einem Jahr sind die beiden dort eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt wurde im Hinterhof schon an einem neuen Haus gebaut. Rückblickend sagt Jannik: "Wir haben es unterschätzt, wir haben die Lautstärke unterschätzt und wir haben die Dauer dieser Baustelle unterschätzt." Der Lärm belastet ihn und seine WG oft so, dass sie überlegt haben auszuziehen, aber eine wirkliche Alternative sehen sie auf dem angespannten Wohnungsmarkt aktuell nicht.
Lärm macht krank
"Zuerst einmal muss man sagen, dass Lärm krank macht", sagt Jördis Wothge. Sie arbeitet als Umweltpsychologin beim Umweltbundesamt. Lärm könne nicht nur unser Gehör schädigen, sondern wirkt sich auf den ganzen Körper aus: Herz- Kreislauferkrankungen, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und kognitive Beeinträchtigungen - und das insbesondere bei Kindern, sagt sie.
Dass zu viel Lärm schlecht für Körper und Psyche ist, ist schon länger bekannt. Deswegen gibt es strikte Vorgaben für Lärm und auch speziell für Baulärm in Berlin. In reinen Wohngebieten dürfen die Maschinen nur zwischen 7 und 20 Uhr laufen und ein Geräuschpegel von maximal 50 Dezibel herrschen - das entspricht etwa der Lautstärke eines Staubsaugers. Das Problem: der Baulärm ist nur eine Geräuschquelle, die sich oft mit anderen überlagert. 2018 hat der Berliner Senat sogenannte Lärmkarten herausgegeben, in denen man sehen kann, dass die Lärmbelastung in Berlin an vielen Stellen schon ohne Baustellen weit über 65 Dezibel liegt.
Lärm kostet jährlich eine Million gesunde Lebensjahre
In den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO wurden 2019 Lärmrichtlinien herausgegeben. In denen steht, dass beim Straßenverkehr eine Dauerbelastung von 53 und bei Fluglärm von 45 Dezibel nicht überschritten werden sollte, damit es nicht zu negativen gesundheitlichen Auswirkungen kommt. Die Realität sieht in vielen Städten anders aus. Eine Studie der WHO hat außerdem ergeben, dass der Umgebungslärm in westeuropäischen Städten jährlich insgesamt mehr als eine Million gesunde Lebensjahre kostet.
Wenn Jannik sich an die Zeit im vergangenen Sommer zurückerinnert, als der Baustellenlärm besonders stark war, sagt er: "Ich glaube, am schlimmsten ist es immer die Male gewesen, wenn auf der Baustelle Wände durchbrochen wurden. Da kann man auch nicht mal mehr Ohropax tragen oder irgendwelche Kopfhörer, die Noisecancelling haben."
Auch die Umweltpsychologin Jördis Wothge betont, dass Baulärm einen entscheidenden Faktor hat, der besonders schädlich für die Gesundheit sein kann. Baulärm ist extrem unvorhersehbar, während unser Körper sich an das Rauschen einer viel befahrenen Straße mit der Zeit gewöhnt. "Ich weiß nicht: was kommt als nächstes für ein Geräusch? Wie laut ist das, wie leise ist das? Oder was für einen Impuls hat das?" Sie geht davon aus, dass diese Faktoren Baulärm besonders störend und belastend für Anwohnerinnen und Anwohner machen.
Was können Mieter und Mieterinnen tun?
Als Jannik und seine WG festgestellt haben, wie sehr die Baustelle und der damit verbundene Lärm sie Zuhause belastet, haben sie versucht, eine Mietminderung zu bekommen. Das ist aber gar nicht so leicht, wenn sich die Lärmquelle auf dem Nachbargrundstück befindet, denn für den Lärm dort kann der eigene Vermieter nicht verantwortlich gemacht werden. "Ich würde erstmal versuchen, mich mit dem Vermieter auf eine einvernehmliche Lösung zu einigen. Vielleicht weiß auch der Vermieter, dass er sich ein Verfahren der Schadenersatzansprüche gegen einen Grundstücksnachbarn ersparen kann, wenn er mir entgegenkommt und eine angemessene Mietminderungsquote gewährt", sagt Wibke Werner vom Berliner Mieterverein.
Wenn der Vermieter nicht mit sich reden lässt, gibt es noch eine andere Option für Mieter und Mieterinnen. Mit einem aufwändigen Lärmprotokoll müssen sie nachweisen, dass der Lärm regelmäßig Lärmvorschriften überschreitet und dann gegen den Grundstücksnachbarn klagen. Die Chancen, dass das Erfolg hat, schätzt Wibke Werner aber als sehr gering ein. Der Senat hat auch eine Beschwerde-Website und Hotline eingerichtet, an die sich Betroffene wenden können und Baulärm mit Audioaufnahmen, Video und Foto dokumentieren können. Inwieweit das Betroffenen aber helfen kann, ist dort nicht angegeben.
Umziehen nur für wenige eine Lösung
Umziehen in einen ruhigen Kiez oder in den ruhigen Speckgürtel Berlins kann für einige wenige eine Lösung sein. Die Umweltpsychologin Jördis Wothge sieht es aber als eine wichtige Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Städte so zu verändern, dass Menschen in ihnen gesund leben können. Ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern in Städten sei beispielsweise eine Empfehlung des Umweltbundesamts. Damit würde nicht nur der Lärm, sondern auch die Schadstoffbelastung sinken. Bei Baulärm sei es nicht ganz so einfach, aber auch dort gebe es Möglichkeiten, lärmschonender zu arbeiten oder Anwohner und Anwohnerinnen zu entlasten. Wenn man lärmintensive Arbeiten durch gute Planung zusammenlegen und moderne geräuscharme Werkzeuge benutzen würde und wenn längere Ruhephasen eingehalten werden könnten, dann würden sich die großen Neubauprojekte in Berlin in den nächsten Jahren bestimmt für Anwohner und Anwohnerinnen besser aushalten lassen, sagt sie.
Jannik und seine WG haben es nicht geschafft, eine Mietminderung durchzusetzen. Sie hoffen, dass die Baustelle in ihrem Hinterhof im nächsten Jahr endlich fertig wird.
Die Video-Reportage zum Text gibt es auf dem Youtube-Kanal von rbb|24
Sendung: rbb24 Abendschau, 28.12.2022, 19:30 Uhr