Super Recognizer bei der Berliner Polizei - Alle(s) im Blick

So 30.04.23 | 08:14 Uhr | Von Jana Herrmann
  17
Symbolbild: Super Recognizer, Eine Kriminaloberkommissarin sitzt vor einem Auswertungscomputer. (Quelle: dpa/Arne Dedert)
Bild: dpa/Arne Dedert

Sie können sich Gesichter außergewöhnlich gut merken: Super Recognizer. Das ist nützlich, wenn es um die Aufklärung von Straftaten geht. Darum setzt die Polizei zunehmend auf Ermittlerinnen und Ermittler mit dem ganz genauen Blick. Von Jana Herrmann

Mit jedem neuen Foto gerate ich ein bisschen mehr ins Zweifeln: Habe ich dieses Gesicht gerade schon einmal gesehen? Oder war die Nase doch anders? Und die Augenbrauen? Seit einer halben Stunde klicke ich mich durch den Test "Könntest du ein Super Recognizer sein?" - eine Online-Umfrage, die 2015 von der britischen Greenwich University ins Netz gestellt wurde [greenwichuniversity.eu.qualtrics.com].

Inzwischen haben mehrere Millionen Menschen aus aller Welt daran teilgenommen. Wer es ganz genau wissen will (so wie ich), kann nach einem kurzen Einstiegstest drei anspruchsvollere Aufgaben lösen. Doch spätestens als ich nicht mehr sicher bin, ob das auf den schwarz-weißen, immer verpixelteren Bildern nicht auch mein Cousin sein könnte, kehrt die Ernüchterung ein.

Während ich mich allerdings eh nur rein privat dafür interessiere, ob ich "den Blick" besitze, haben andere längst erkannt, wie sie solche Fähigkeiten für sich nutzen können. Daher beschäftigt nun auch die Berliner Polizei erstmals eigene Super Recognizer, zunächst in einem einjährigen Probelauf. Drei Bedienstete und eine Führungskraft nehmen ab Ende April in einer Zentralstelle beim Landeskriminalamt (LKA) ihre Arbeit auf. Je nach Bedarf, sollen später noch weitere Super Recognizer hinzukommen. Das passende Personal stammt aus den eigenen Reihen – im letzten Jahr suchte die Polizei gezielt nach Mitarbeitenden mit besonderem Talent. Etwa 1.400 Beamtinnen und Beamte nahmen an dem Test teil, der extra zu diesem Zweck mit der Neurowissenschaftlerin Meike Ramon von der Universität Lausanne (Schweiz) entwickelt wurde.

Serientaten sollen schneller aufgeklärt werden

Von dem Einsatz der Spezialkräfte verspricht sich die Berliner Polizei einiges: "Super Recognizer sind zum Beispiel in der Lage, Straftäterinnen und Straftäter auch auf sehr schlechtem Bildmaterial wiederzuerkennen. Darüber hinaus können sie fundierte Aussagen dazu treffen, ob unbekannte Verdächtige auf verschiedenen Bildern in unterschiedlichen Tatzusammenhängen auftauchen", erklärt eine Sprecherin der Polizei auf Anfrage von rbb|24. Vor allem Kriminelle, die mehrfach auffällig werden, sollen so schneller gefasst werden. Während des nächsten Jahres will die Berliner Polizei auch herausfinden, für welche Einsatzbereiche sich die Super Recognizer besonders gut eignen. Dafür soll die Zusammenarbeit mit Meike Ramon fortgesetzt werden, die eine der führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Gesichtserkennung ist.

Ziel des Probelaufs sei es, "die gesamte Klaviatur der Einsatzmöglichkeiten für Super Recognizer zu testen, das optimale Modell zu finden, um diese Talente in die Organisation der Polizei Berlin einzubinden und Prozesse weiterzuentwickeln, bei denen Gesichtserkennungsleistungen eine besondere Rolle spielen", heißt es weiterhin von der Polizei. Besonders in den Bereich der Fahndung setze man große Hoffnung. Dass diese nicht unberechtigt ist, zeigen etwa die Ermittlungen zu den Silvester-Krawallen in Berlin, bei denen die Super Recognizer bereits tätig sind. Und auch nach der tödlichen Messerattacke auf einen Taxifahrer in Berlin-Grunewald waren es laut Medienberichten Super Recognizer, die den Tatverdächtigen ausfindig machen konnten.

Brandenburg will nachziehen

Noch nicht ganz so weit ist man in Brandenburg. Man arbeite aktuell an einem Konzept für den zukünftigen Einsatz von "Bediensteten mit Super Recognizer-Fähigkeiten", könne aber noch keine Angaben zum Zeitplan oder zur Personalplanung machen, teilte das Brandenburger Polizeipräsidium auf Anfrage von rbb|24 mit. Anders sieht es bei der Bundespolizei aus: 113 Super Recognizer konnten dort bisher mit Unterstützung der Greenwich University gewonnen werden. Wie viele davon in der Region Berlin/Brandenburg tätig sind, müsse aus einsatztaktischen Gründen allerdings geheim bleiben, heißt es von der Pressestelle. Momentan seien weitere Tests geplant, um noch mehr Super Recognizer für die Bundespolizei zu rekrutieren.

"Es handelt sich bei der Fähigkeit um eine angeborene Eigenschaft, die nicht erlernt werden kann", betont eine Sprecherin. "Diese Fähigkeit wird bereits von der Bundespolizei als innovativer Baustein der Fahndungsarbeit genutzt." Neben der Bundespolizei lässt sich mittlerweile eine ganze Reihe internationaler Behörden von der Greenwich University zum Thema Super Recognizer beraten – von der Polizei Queensland (Australien) bis hin zu zahlreichen deutschen Polizei-Dienststellen, beispielsweise in Chemnitz, München und Frankfurt am Main.

Einmal gesehen, nie wieder vergessen

Nur etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, so schätzt die Wissenschaft, zählen zu den Super Recognizern. Spoiler: Ich gehöre nicht dazu. Nachdem ich mich eine Stunde lang tapfer durch unzählige Fotos geklickt habe, erreiche ich eine Punktzahl, die so ziemlich dem Durchschnitt entspricht. Immerhin erhalte ich ein Zertifikat zum Download, auf dem meine Leistung bestätigt wird. Außerdem kann ich mich nun von der Greenwich University zu weiteren Studien einladen lassen, in denen dieses erst relativ neu entdeckte Phänomen noch weiter erforscht werden soll. Was man bisher schon weiß: Super Recognizer merken sich Personen anders, als Menschen, die diese Begabung nicht haben.

Eine australische Studie aus dem Jahr 2022 belegt, dass dabei vor allem der Moment des Einprägens entscheidend ist. Heißt: Super Recognizer können Informationen schneller aufnehmen und daher auch mehr Informationen verarbeiten. Sie konzentrieren sich nicht nur auf die Augen – so wie ich es zum Beispiel während meines Tests versucht habe - sondern erfassen das ganze Gesicht und lenken den Blick kurz auf einzelne Partien. Oft reicht ihnen dann nur ein kleiner Ausschnitt des Gesichts, um Menschen auch nach Monaten oder sogar Jahren wiederzuerkennen - selbst dann, wenn diese ihr Äußeres inzwischen geändert haben.

Am Ende des Test werde ich übrigens noch darum gebeten, Fotos von mir selbst einzusenden, um so die Super Recognizer der Zukunft zu finden und zu schulen. Da könnte der Satz: "Lange nicht gesehen und doch wiedererkannt" auf einmal eine ganz neue Bedeutung in meinem Leben bekommen …

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.04.2023, 12:00 Uhr

Beitrag von Jana Herrmann

17 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 17.

    Ach so, es gibt sie nicht? Komisch, ich habe eine fotografisches Gedächtnis und erkenne Strukturen wo Andere keine Strukturen erkennen. Erst wenn ich ihnen zeige welcher Gegenstand zB verschoben wurde oder welcher Gegenstand nicht da stand sind sie zuerst verblüfft dann verstehen sie. Noch besser geht es mit Texten. Ist Ihnen noch aufgefallen, dass auf eine Buchseite die Anfangsbuchstaben einer Zeile sich auf keiner Seite in ihrer Reihenfolge wiederholen? Dieses Muster erkenne ich!

  2. 16.

    Mir ist das nicht-erkennen-Phänomen als "Gesichtsblindheit" bekannt geworden.
    Ich bin eher eine ewig-Wiedererkennerin (aber bestimmt keine Super-R), aber ich kenne eine Frau, die schon nach 2 Wochen des nicht-Treffens ihre langjährige beste Freundin auf der Straße nicht wieder erkannte. Das kann nicht nur peinlich sein,
    sondern auch als kränkend empfunden werden oder als Absicht, wenn man von dem Phänomen nichts weiß und nicht immer ergibt sich die Möglichkeit zur Aufklärung..

  3. 14.

    Es gibt keine sog. Super Recognizer*innen - es gibt keine evidenten Studien. Die Forschung beschränkte sich auf vier(!) Personen, die sich selbst diese Eigenschaft zuschrieben. Nebenbei bemerkt sind vermeintliche Fähigkeiten genauso oft von Rassismus geprägt wie vergleichbare seitens Algorithmen - "Glückwunsch". "Super Recognizer sind zum Beispiel in der Lage, Straftäterinnen und Straftäter auch auf sehr schlechtem Bildmaterial wiederzuerkennen." Das ist unlogsch: Wo kein Reiz, da keine Interpretationsmöglichkeit. Ergo, wenn das Bildmaterial schlecht ist, ist es genauso Mutmaßung wie durch alle anderen Menschen, wenn man denn von der Existenz von Super Recognizer*innen ausgeht.

    Statt in vermeintliche Nischen-"Expertise" zu setzen, sollte man die eigenen Beamt*innen hinreichend ausbilden, ausstatten und fortbilden, sodass sie gemäß internationalem Menschenrecht handeln - und keine polizeistaatlichen Willkürmaßnahmen wie die anlasslose Dauerüberwachung avisieren, mit oder ohne IT.

  4. 13.

    Ich bin das komplette Gegenteil :-))) mein Kind auf dem Schulhof erkennen? Eine Herausforderung... Aber das tolle ist: schäbbige Gesichter vergess ich auch schnell ;-) den Test habe ich vor 2 Jahren angefangen - und erfolgreich abgebrochen...
    Insgesamt ein super Projekt, sehr gut!

  5. 12.

    @Gerold: Solange man direkt darauf angesprochen wird, ist es nicht besonders peinlich, denn man kann das dann er- bzw. aufklären. Blöd bis peinlich ist es halt, wenn man viel später dann gesagt bekommt, man sei überheblich, hochnäsig, arrogant, weil man den Menschen doch genau gesehen hätte (was noch dazu oft genug gar nicht stimmt, da ich oft vor mich hinträume und den anderen Menschen nicht mal optisch wahrgenommen habe) und man habe es wohl nichtmal nötig gehabt, zurückzugrüßen oder auch als erster zu grüßen. Wenn das dann noch weiterkommuniziert wird, hat man einen völlig zu Unrecht begründeten Ruf weg, was schade ist. Aber zugegeben, es gibt Schlimmeres.

  6. 11.

    Mir geht es auch so. Werde ich gegrüßt, grüße ich zurück. Peinlich ist es, wenn man dann von offensichtlich Bekannten angesprochen wird, Hallo wie geht es denn, was mach die- und derjenige, und man hat keine Ahnung, wer da vor einem steht...

  7. 10.

    Die Leute halten einen für überheblich, jemanden der Kontakte meidet. Dabei leidet man eher daran nur schwer Kontakte aufbauen zu können. Es sind ja alle Gesichter immer neu und es braucht schon recht enge Verbindung bevor das Erkennen einsetzt. Ich hatte z. B. sogar furcht davor meine eigene Frau nicht zu erkennen, wenn sie aus einem Geschäft kommt vor dem ich warte. Habe erst vor kurzem gehört, dass es auch mit dem Phänomen des nicht bildlich vorstellen können zusammenhängt. Aphantasie

  8. 9.

    Ich glaube, meine Ergebnisse waren nicht so schlecht:

    - Test 1 - Könnten Sie ein Super-Erkenner sein? - 12 von 14
    - Test 2 - Cambridge-Gesichtsgedächtnistest - 86 von 102
    - Test 3 - Glasgow Face Matching Test - 39 von 40
    - Test 4 - Kurzzeit-Gesichtsgedächtnistest 59 von 60

  9. 7.

    Cool! Hat was von Superhelden mit Superkräften. Mehr davon!

  10. 6.

    Wenn Sie die Leute bspw. auf der Straße oder im Supermarkt
    nicht erkennen, wo ist dann der Moment der Peinlichkeit?

  11. 5.

    Ein Job mit Zukunft auf alle Fälle. Bin der Meinung mir Gesichter gut merken zu können. Egal, bin eh zu alt dafür.

  12. 4.

    Geht mir auch so.
    Ich grüße jetzt einfach alle Leute in einem gewissen Radius, so 400 Meter. Nur die jungen Leute nicht, denn die kenne ich sowieso nicht und die von weiter weg.
    Die meisten grüßen zurück.
    Das ist meine Taktik.


  13. 3.

    Aber jetzt mal ehrlich: Das ist doch nun wirklich ein Musterbeispiel für eine Aufgabe, die durch KI sehr viel besser und effizienter lösbar ist als durch Menschen...

  14. 2.

    Ich musste den Test jetzt auch machen, war neugierig wie "talentiert" man ist. Nun ja, war schwerer als gedacht aber immerhin 10 Punkte :D

    Trotzdem ein sehr interessantes Thema!

  15. 1.

    Tja, und ich gehöre zum genauen Gegenteil, ich kann mir nämlich Gesichter nur sehr schwer merken. Habe ich Lete mal auf einer Party gesehen und mich vielleicht sogar mit ihnen unterhalten, erkenne ich sie schon wenige Wchen später nicht mehr. Nachbar aus dem Mietshaus erkenne ich gerade noch, wenn sie mir im Kontext Treppenhaus begegnen, aber auf der Straße oder im Supermarkt schon nicht mehr... das ist oft peinlich.

Nächster Artikel