AOK-Analyse - Schwangere in Brandenburg erkranken häufiger an Diabetes
In Brandenburg hat sich die Zahl von Schwangeren, die unter Diabetes leiden, seit 2016 mehr als verdoppelt. In Berlin ist die Zahl dagegen annähernd gleichgeblieben. Mögliche Gründe sind ein höheres Alter der Schwangeren und steigendes Körpergewicht. Von Ursula Stamm
Noch bei gut 4 Prozent lag die Zahl der Schwangeren in Brandenburg, bei denen ein sogenannter Gestationsdiabetes festgestellt wurde, im Jahr 2016. Fünf Jahre später waren es schon 9,2 Prozent, also mehr als doppelt so viele. Das zeigt eine Datenanalyse der AOK-Nordost, bei der jede vierte Frau in Brandenburg versichert ist.
In Berlin haben sich die Zahlen der Betroffenen nur leicht verändert, aber auf höherem Niveau: 2016 hatten bereits 9 Prozent aller Schwangeren in Berlin Gestationsdiabetes. Diese Zahl ist zwischendurch leicht angestiegen, um 2021 bei bei 9 Prozent zu landen.
Risikofaktor Alter: Frauen in Brandenburg bekommen immer später Kinder
Das Risiko, einen Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln, steigt mit dem Alter. "Die Frauen werden älter und leider auch dicker, haben vielleicht einen Bluthochdruck und hatten in der Vergangenheit eventuell schon einen Schwangerschaftsdiabetes", sagt Diabetologin Kathrin Meiburg aus Brandenburg an der Havel. In Brandenburg ist der Anteil der Frauen, die bei der Entbindung älter als 30 Jahre waren, seit 2016 stark angestiegen (2016: 44 Prozent; 2021: 58 Prozent). Das heißt, deutlich mehr als die Hälfte der Frauen sind älter als 30 Jahre, wenn sie ein Kind bekommen. Für Berlin fällt die Steigerung weniger stark aus (2016: 47 Prozent; 2021: 55 Prozent).
Ab dem 40. Lebensjahr erhöht sich das Risiko, ein Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln, deutlich; es liegt dann bei über 15 Prozent. Zum Vergleich: bei den 20 bis 29-jährigen sind es nur 4,9 Prozent.
Risikofaktor Übergewicht: Frauen in Brandenburg sind besonders häufig adipös
Übergewicht ist der zweite bedeutende Risikofaktor für die Entstehung von Gestationsdiabetes. Übergewicht wird durch den so genannten Body-Mass-Index (BMI) definiert. Der BMI ist das Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpermaße in Metern zum Quadrat. Übergewicht beginnt ab einem Wert von 25. "Ab einem Wert von 30 sprechen wir vom krankhaften Übergewicht, der Adipositas, und spätestens dann wird es ein wirkliches Problem", sagt Kerstin Runiewicz, Gynäkologin am AOK-Ärztehaus, Centrum für Gesundheit Berlin.
Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2015 [rki.de] sind Frauen in Brandenburg im bundesweiten Vergleich am häufigsten übergewichtig beziehungsweise adipös (25,9 Prozent), gefolgt von Frauen in Mecklenburg-Vorpommern (23 Prozent). Zum Vergleich: In Hamburg sind es nur 14,2 Prozent der Frauen.
Hohe Dunkelziffer von Frauen mit unentdecktem Schwangerschaftsdiabetes
Ein weiterer Grund für die Verdoppelung der Zahlen in Brandenburg kann mit der hohen Dunkelziffer unentdeckter Fälle zusammenhängen. 2016 wurden in Brandenburg noch deutlich weniger Frauen auf Gestationsdiabetes getestet als in Berlin. Das zeigen die Abrechnungsdaten der AOK-Nordost. Inzwischen hat sich das geändert, wodurch sich die Zahlen in Berlin und Brandenburg angeglichen haben. Das ist die gute Nachricht, denn nur ein entdeckter Schwangerschaftsdiabetes kann auch behandelt werden.
Versorgungslage: große Unterschiede in den Landkreisen
Bei der Versorgung von Frauen mit einem Schwangerschaftsdiabetes arbeiten Gynäkologinnen und Gynäkologen eng mit diabetologischen Schwerpunktpraxen zusammen. Die Behandlung der Frauen findet in der Regel dort statt. Es ist daher wichtig, wie viele solcher Praxen es gibt. In Brandenburg gibt es 44 solcher Diabetes-Schwerpunktpraxen, d.h. eine Praxis versorgt statistisch 60.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Damit liegt Brandenburg gleichauf mit Berlin und vor Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Hamburg [brandenburg.de].
Schaut man genauer hin, gibt es aber große Unterschiede in den Landkreisen. "Vor allem in den Randbezirken von Brandenburg, zum Beispiel in der Region Frankfurt (Oder) und in der Prignitz fehlen diabetologische Schwerpunktpraxen", sagt Dr. Anke Ribbeck, Vorsitzende des Berufsverbandes Brandenburger Diabetologen.
Diabetes in der Schwangerschaft schadet Mutter und Kind
Schwangerschaftsdiabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung während der Schwangerschaft. Bei den werdenden Müttern kommt es vorübergehend zu erhöhten Blutzuckerwerten, die sich meist nach der Entbindung wieder normalisieren. Allerdings entwickelt jede zweite betroffene Frau innerhalb von zehn Jahren nach der Entbindung einen Typ-2-Diabetes. [brandenburg.de]
Ein Gestationsdiabetes erhöht die Risiken für den Verlauf der Schwangerschaft und die Geburt selbst. "Frauen mit einem Schwangerschaftsdiabetes entwickeln häufiger einen hohen Blutdruck, es steigt das Risiko für Infektionen und damit verbunden auch das Risiko für Frühgeburten", sagt Kerstin Runiewicz, Gynäkologin am AOK-Ärztehaus, Centrum für Gesundheit Berlin. Wenn die Kinder zum regulären Geburtstermin zur Welt kommen, hätten sie häufiger ein hohes Geburtsgewicht und litten beispielsweise unter Schlafstörungen und Problemen beim Stillen, so Runiewicz.
Wie wird ein Schwangerschaftsdiabetes festgestellt?
Anders als bei der Diabetes-Typ-2 Erkrankung merken die Schwangeren selten etwas von den erhöhten Blutzuckerwerten. Seit 2012 wird daher allen Frauen ab der 24. Schwangerschaftswoche ein Screeningtest auf Diabetes angeboten. Dieser Test ist freiwillig und muss nicht nüchtern durchgeführt werden, wodurch rund ein Drittel aller Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes durchrutschen. "Bei 33 Prozent aller Frauen zeigen sich die erhöhten Blutzuckerwerte jedoch nur, wenn sie nüchtern sind", sagt Kerstin Meiburg.
Die Diabetologin aus Brandenburg an der Havel fordert deshalb, alle Schwangeren nüchtern zu testen, und zwar mit einem Test, bei dem die Frauen eine 75 Gramm Glukoselösung trinken und der Blutzucker nach einer und zwei Stunden bestimmt wird. Aktuell zahlen Krankenkassen diesen Test in der Regel nicht.
Wie wird ein Schwangerschaftsdiabetes behandelt?
Wird ein Schwangerschaftsdiabetes festgestellt, seien Beratung und Aufklärung das Wichtigste, sagt Diabetologin Kathrin Meiburg. Die meisten Frauen bekommen ihre Blutzuckerwerte durch eine veränderte Ernährung und mehr Bewegung gut in den Griff.
In manchen Fällen muss allerdings Insulin gegeben werden. "Insulin kann die Plazentaschranke nicht überwinden", sagt Kathrin Meiburg. Daher sei es für das ungeborene Kind ungefährlich. Frauen, die während der Schwangerschaft einen Diabetes hatten, sollten spätestens zwölf Wochen nach der Geburt ihre Blutzuckerwerte kontrollieren lassen, sagt Kathrin Meiburg. Auch das Geburtsgewicht des Kindes ist für Ärztin eine wichtige Information, um den Gesundheitszustand von Mutter und Kind beurteilen zu können.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.07.2023, 14:30 Uhr