Fast 70 Tage Hungerstreik - Ärzte lehnen weitere Verantwortung für hungernden Klima-Aktivisten ab
Seit einigen Wochen sind mehrere Menschen in Berlin für eine radikalere Klimapolitik in den Hungerstreik getreten. Einem der Streikenden geht es zunehmend schlechter. Ärzte dürfen in Deutschland allerdings niemanden gegen seinen Willen behandeln. Von Anna Bordel
- Ärzte wollen gesundheitlichen Zustand eines Streikenden nicht länger verantworten
- Menschen dürfen in Deutschland nicht gezwungen werden, sich ärztlich behandeln zu lassen
- Bundesregierung will sich nicht zu Forderungen der Hungerstreikenden äußern
Fünf Menschen sind derzeit im Aktionsbündnis "Hungern bis ihr ehrlich seid" in Berlin im Hungerstreik. Damit wollen sie auf die ihrer Ansicht nach verfehlte Klimapolitik der Bundesregierung aufmerksam machen und sie zu einer radikalen Kehrtwende bewegen.
"Wir müssen jetzt, wenn auch mit Jahren Verspätung, radikal umsteuern", heißt es aus der Website des Bündnisses. Zeitweise befinden sich die Streikenden in einem Camp im Invalidenpark in Berlin. rbb-Reporter konnten am Dienstagvormittag nur einen von ihnen dort antreffen.
Knapp 70 Tage ist der am längsten Streikende dabei
Am längsten ist Wolfgang M. mit bald 70 Tagen dabei. Die anderen sind anschließend dazugestoßen. Bislang wurden alle fünf Mitglieder von einem nicht näher bekannten Ärzteteam regelmäßig untersucht und betreut. Einem der Hungerstreikenden, Michael W., geht es aber mittlerweile der Sprecherin zufolge derart schlecht, dass die Ärzte für ihn nicht weiter die Verantwortung übernehmen wollen. Die weiteren Hungerstreikenden würden demnach weiter von den Ärzten versorgt.
Michael W., der sich seit knapp 30 Tagen im Hungerstreik befindet, ist der Sprecherin zufolge zwar noch ansprechbar, sei aber allgemein sehr schwach und könne die Körpertemperatur nur noch schwer halten. Das Ärzteteam wollte sich auf rbb24-Anfrage nicht dazu äußern.
Nicht jeder Hungerstreikende streikt bis zum Tod
Müssen Ärzte aber einem Menschen nicht helfen, wenn er zu sterben droht? Nein, sagt Torsten Münnch, Berliner Rechtsanwalt für Medizinrecht. In Deutschland ist die Rechtslage an der Stelle recht eindeutig: Einen Menschen gegen seinen Willen medizinisch zu behandeln, zum Beispiel zwangszuernähren, ist unzulässig, sagt er. Damit folgt Deutschland der Weisung der Weltärztekammer, die Zwangsernährung verbietet.
Wichtig sei, sich als Arzt zu Beginn der Behandlung von Hungerstreikenden die Bedingungen klarzumachen. Nicht alle Hungerstreikenden würden das Ziel erklären, bis zum Tod streiken zu wollen, meint Münnch. Einer der aktuell im Invalidenpark Streikenden hat beispielsweise bereits 2022 gestreikt, nach 18 Tagen beendete er den Streik.
Ärzte müssen sich an Patientenwillen halten
Im Fall von Michael W. ist es laut Rechtsanwalt möglich, dass er die angebotene Behandlung der Ärzte abgelehnt habe und diese deshalb die weitere Verantwortung nicht mehr übernehmen wollen, meint Münnch. Unterlassene Hilfeleistung sei das in dem Fall nicht, da Michael W. ja nach wie vor ansprechbar sei und sich selbst helfen könne, indem er wieder anfange zu essen. Ärzte dürfen laut Strafgesetz ein selbstbestimmtes Sterben ermöglichen, so Medizinrechtler Münnch. Der Berufsordnung der Ärztekammern zufolge ist es aber nicht Aufgabe der Ärzte, bei der Selbsttötung mitzuwirken, sagt er.
Übrigens müssen Ärzte auch wenn der Streikende bewusstlos wird, weiterhin nach seinem zuvor geäußerten Willen handeln, so Münnch. Sofern sich die äußeren Umstände nicht ändern und davon auszugehen ist, dass sich dadurch sein Wille geändert haben könnte.
Der Bundeskanzler lässt sich nicht erpressen
Im Fall von Michael W. haben sich die Umstände nicht verändert und werden sie absehbar auch nicht. Bereits Anfang April sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf die Frage nach den Hungerstreikenden, dass die Bundesregierung mit ihrer Klimapolitik auf einem guten Weg sei und diese fortsetzen werde. Der Bundeskanzler werde ihm zufolge konkrete einzelne Forderungen nicht erfüllen. Mit anderen Worten: Der Bundeskanzler lässt sich nicht erpressen.
Michael W. und die anderen Hungerstreikenden haben bereits entschieden, dass das für sie den Tod bedeuten könnte.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass Beihilfe zum Suizid in Deutschland strafbar ist. Das stimmt so nicht. Strafrechtlich ist es Ärzten nicht verboten, selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen. Die Berufsordnung der Ärzte sieht es allerdings nicht als ärztliche Aufgabe. Wir habe das in dieser Version des Textes konkretisiert.
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Sendung: Radio Fritz, 07.05.2024, 12:30 Uhr