Interview | 100 Jahre S-Bahn - "Meine Arme waren jahrelang im Schmierfett, um diese Schätze wieder zum Leben zu erwecken"

Do 08.08.24 | 07:01 Uhr
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Robin Gottschlag (Quelle: Historische S-Bahn e.V./Tim Stimper)
Audio: rbb 88,8 | 07.08.2024 | Interview mit Robin Gottschlag | Bild: Historische S-Bahn e.V./Tim Stimper

Die aktuellen Probleme bei der Berliner S-Bahn werden mal ausgeblendet, denn vom 8. bis 11. August wird der 100. Geburtstag gefeiert. Auch historische Bahnen werden unterwegs sein, die gepflegt und gehegt werden vom Verein "Historische S-Bahn e.V."

rbb: Herr Gottschlag, was präsentiert der Verein "Historische S-Bahn e.V." in den nächsten Tagen zum 100. Geburtstag der Berliner S-Bahn?

Robin Gottschlag: Wir haben große Vorfreude auf dieses viertägige Festival. Das Konzept sieht ganz viele kleine Aktionen vor. Und deswegen haben wir uns über diese vier Tage verteilt auch einen Fahrplan einfallen lassen, der alles Mögliche abdeckt. Wir sind auf dem Ring unterwegs. Wir fahren nach Bernau, Oranienburg und zum Wannsee. Die große Premiere folgt am Sonntag, dem 11. August, wenn unser Museumszug erstmals zum Flughafen BER rausfährt. Da sind wir schon ganz besonders gespannt drauf, wie sich das so machen wird.

Müssen Sie an den historischen Zügen schrauben oder nachölen, wenn die gefahren sind?

Genau, das ist auch die große Herausforderung. Bis vor ein paar Jahren war das so, dass die S-Bahn Berlin GmbH sich um die historischen Fahrzeuge gekümmert hat. Heute müssen wir das alles alleine machen. Und wir haben 15 Jahre gebraucht, um den ersten historischen Zug von 1928 und 1938 endlich wieder flott zu machen. Es gibt unheimlich viel zu tun. Ich habe selber auch jahrelang die Arme bis zum Ellenbogen schwarz gehabt im Schmierfett, um halt diese Schätze wieder zum Leben zu erwecken.

Wenn Sie Ihren Verein in kurzen Worten beschreiben müssen, was machen Sie im Verein?

Wir sind ein Verein von ungefähr 270 Eisenbahnfans und Enthusiasten. Und unsere Aufgabe ist es im Wesentlichen, diese historischen Fahrzeuge aufzuheben und natürlich auch zu präsentieren. Ein Teil davon kann fahren, deswegen wollen wir mit denen auch ein bisschen Sonderfahrten durchführen. Und ein großer Teil ist nur bei Besichtigungen da. Und das ist einfach unser Auftrag. Da geht es also nicht nur um Eisenbahnfans, sondern in erster Linie wollen wir natürlich Familien erreichen. Also damit man das auch in die nächste Generation weiterträgt.

Zur Person

Robin Gottschlag ist Vorsitzender des Vereins "Historische S-Bahn e.V.". Seit 2008 gehört er zum Vorstand, seit April 2024 ist Gottschlag Vorstands-Vorsitzender. Er ist Köpenicker und geboren in den 1980er Jahren.

Infos im Netz

Der Verein bietet im Rahmen des Festivals zwischen dem 8. und 11. August Sonderfahrten im historischen Zug an. Alle Fahren sind bereits ausverkauft. Mehr Infos: www.hisb.de

Überblick über das komplette Festivalprogramm: s-bahn-festival.berlin

 

Seit Ihrem 13. Lebensjahr sind Sie S-Bahn-Fan. Wie war das damals?

Mit 13 war das noch alles ganz normal, weil die Züge, die wir heute als Museumszüge betreiben, sind damals noch ganz normal unterwegs gewesen. Da war es ein Teil meiner Jugend. Mittlerweile kann ich damit ein bisschen in meinem Erwachsenenleben rumspielen.

Hatten Sie auch eine zum Spielen?

Tatsächlich hatte ich so eine Gartenbahn. Das ist eine relativ große Modelleisenbahn. Da konnte ich im Hinterhof ein bisschen hin und her fahren. Das hat Spaß gemacht. Aber eins zu eins ist einfach mit nichts zu ersetzen.

Was Sie jetzt machen, ist einmal Stadtgeschichte, der Erhalt von Kultur und es ist auch ein bisschen das Kind im Manne, oder?

Ja, das gehört alles zusammen. Am Anfang hat mich tatsächlich die Technik interessiert. Und jetzt ist es aber auch einfach die Geschichte, die dahinter steckt. Diese Züge, die wir in unserer Sammlung haben, sind in den 20ern, 30ern und 40ern gebaut worden und waren aber noch bis nach der Jahrtausendwende unterwegs. Wenn man sich überlegt, was die so erlebt haben, da ist wirklich alles dabei, was Berlin erlebt hat.

100 Jahre Berliner S-Bahn in Bildern

Vor dem Mauerfall hatte die S-Bahn ja noch eine andere Funktion, also in Ost und West. Im Westen war sie als "Ostbahn" verpönt. Heutzutage weiß das kaum noch jemand. Jetzt ist sie wichtig für die ganze Stadt.

Es gab eine ganze Menge großer Momente in der S-Bahn-Geschichte. Der Mauerbau und der Mauerfall sind natürlich große Zäsuren gewesen. Der Mauerfall hat am Ende dafür gesorgt, dass die S-Bahn das ist, was sie heute wieder ist, nämlich eine der Lebensadern von Berlin. Und unsere Züge können auf diesen Lebensadern Gott sei Dank noch eine Weile unterwegs sein.

Und das möchten wir einfach den Leuten zeigen, weil viele Leute, die zu uns kommen und die historischen Fahrzeuge sehen, sich an ihre eigene Kindheit und Jugend zurückerinnert fühlen. Oder sie finden es einfach mal interessant, in der S-Bahn auf einer Holzbank zu sitzen. All das können wir ihnen bieten.

Wenn Sie jetzt in den modernen Zügen fahren, hatten die anderen mehr Charme oder sagen Sie super, wie es heute ist?

Ich glaube tatsächlich, alles hat seine Zeit. Ich weiß noch, als 2003 die letzten von diesen Altbaufahrzeugen verabschiedet wurden, war ich schon ein bisschen traurig. Das hat ja irgendwie auch meine ersten Lebensjahrzehnte geprägt. Wenn ich aber heute in eine ganz neue S-Bahn-Baureihe einsteige, nicht zuletzt wegen der Klimaanlage, ist das doch nochmal ein anderer Qualitätsunterschied. Und deswegen gehört einfach beides zu Berlin.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Robin Gottschlag führte Ingo Hoppe, rbb 88,8. Der Text ist eine redigierte Fassung; das Gespräch ist im Audio-Player nachhörbar.

Sendung: rbb 88,8, 07.08.2024, 17:20 Uhr

7 Kommentare

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  1. 5.

    Nö, war im Westen bei uns Kindern überhaupt nicht verpönt. Sondern geliebt.
    Auch ich bin Riesenfan der alten Holzklasse, den halboffenen Fenstern, dem Geruckel und Gerunkel, dem Jeruch.
    Tolle Sache!

  2. 4.

    "Ich habe selber auch jahrelang die Arme bis zum Ellenbogen schwarz gehabt im Schmierfett, um halt diese Schätze wieder zum Leben zu erwecken."
    Dieses Gefühl kenne ich. Es bereitet einem nahezu unendlich Freude wenn ein Oldie seinen neuen ersten Ton von sich gibt. Der Autor hat schon recht mit dem Kind im Manne. Ein etwas spitzbübisches Grinsen sollen Andere da schon bemerkt haben.

  3. 3.

    Früher gabs Schaffner, Bahnsteigsperren und Aufsichten, auch um dem Gesoxe Einhalt zu gebieten. Gaffiti und zerkratzte Scheiben vor 100 Jahren? Fehlanzeige.

  4. 2.

    Klasse Veranstaltung, habe der urige Zug unterwegs gesehen.

    Weiter so, die Feierlichkeiten dauern bis Sonntag!

  5. 1.

    Schöner und interessanter Artikel. Früher bin ich gerne mit der S-Bahn gefahren; seit Jahren leider nicht mehr.

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