Internationaler Haftbefehl - Verurteiltes Paar flieht von Berlin in die USA
Kristina und Alexandre Z. führen zwischen Berlin und Miami ein Leben im Luxus, bis die kriminellen Machenschaften des Paares auffliegen. Nach einem aufwendigen Strafverfahren verschwinden sie von der Bildfläche. Von Roberto Jurkschat
Eigentlich sollten sie demnächst ins Gefängnis: Kristina Z. für drei Jahre und elf Monate ins Frauengefängnis Berlin-Lichtenberg und ihr Ehemann, Alexandre Z., für vier Jahre und acht Monate in die JVA Tegel. Eigentlich wurden beide längst zu hohen Geldstrafen verurteilt, der Jeep der G-Klasse einkassiert, das Mercedes-Coupé beschlagnahmt. Auch die Schlüssel zum Wolkenkratzer-Apartment in Miami im US-Bundesstaat Florida mit Panoramablick über den Atlantik liegen schon in einem Depot der Berliner Justizverwaltung.
Kristina und Alexandre Z., US-Staatsbürger mit russischen Wurzeln, wurden am Berliner Landgericht im Mai 2023 als zwei Hauptakteure einer Bande verurteilt, die ein kriminelles Großunternehmen steuerte.
Flucht in die USA
Für die Ermittlungen gegen das millionenschwere, internationale Netzwerk wurde in Berlin und Brandenburg eine behördenübergreifende Sondereinheit geschaffen, die Besondere Aufbauorganisation (BAO) "Obelisk". Über mehrere Jahre arbeiteten darin Ermittler der Bundespolizei, des Hauptzollamtes Potsdam und der Berliner Steuerfahndung unter der Leitung der Berliner Oberstaatsanwältin Christine Höfele.
Im Gespräch mit rbb|24 erklärt Höfele, die Ermittlungen der BAO "Obelisk" führten zum bundesweit größten Strafverfahren im Bereich Arbeitsausbeutung der vergangenen Jahre. Teilweise waren bei Razzien gegen die Bande mehr als 1.200 Beamte im Einsatz, Telefone wurden über Monate abgehört, die Justiz ermittelte rund 1.800 Geschädigte aus Osteuropa, die in den Lagerhallen deutscher Einzelhandelskonzerne als Leiharbeiter ausgebeutet wurden - viele von ihnen in Brandenburg und in Berlin.
Das letzte Wort hat der BGH
Die jahrelangen Freiheitsstrafen, die Strafzahlungen und Beschlagnahmen in Millionenhöhe wertet Oberstaatsanwältin Höfele als Erfolg. Allerdings ist nun die Frage, wann und ob Kristina (46 Jahre) und Alexandre Z. (59 Jahre) ihre Haftstrafen absitzen müssen. Denn das Gericht hatte die Untersuchungshaft der beiden Hauptbeschuldigten zwischen Urteil und Haftvollstreckung ausgesetzt - damit war das Paar auf freiem Fuß. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind nun beide im Frühjahr vom Radar der Justiz verschwunden. "Nach unseren Informationen haben sich beide in die USA abgesetzt", sagt Höfele.
Das Urteil gegen das Ehepaar Z. ist noch nicht rechtskräftig. Trotz umfangreicher Geständnisse hatten Kristina und Alexandre Z. Revision beim Bundesgerichtshof beantragt. Oberstaatsanwältin Höfele zeigt sich optimistisch, dass Karlsruhe das Berliner Urteil bestätigen wird: "Die Urteilsbegründung des Landgerichts ist sehr gut und wird einer Überprüfung in jeder Hinsicht standhalten."
15 Menschen in 2-Zimmer-Wohnung
Im Rahmen ihrer Ermittlungen hatte die BAO Obelisk neun Personen identifiziert, die zwischen 2018 und 2021 ein Unternehmen betrieben, das zahlreiche Menschen mit gefälschten Papieren zu Leiharbeiter:innen machte, die angeblich aus der EU kamen.
Die Geschädigten, größtenteils von Armut betroffene junge Männer, wurden unter falschen Versprechen in Kasachstan, der Republik Moldau, der Ukraine und anderen Nicht-EU-Ländern rekrutiert und mit falschen Personaldokumenten nach Deutschland geschleust. Arbeitgebern in der Bundesrepublik wurde vorgetäuscht, es handle sich um Menschen, die von Zeitarbeitsfirmen in den baltischen Staaten Estland und Litauen nach Deutschland entsandt werden - und als EU-Bürger in der Bundesrepublik legal arbeiten durften. Ein großer Teil dieser Menschen arbeitete in den großen Logistikstandorten des Einzelhandels in Berlin und Brandenburg.
Kristina und Alexandre Z. hatten sich laut Gerichtsurteil unter anderem um die Unterbringung der Arbeiter gekümmert: Einige kamen in angemieteten Privatwohnungen unter, zeitweise mit 15 Personen in zwei Zimmern. Andere wurden in Monteursunterkünfte auf dem Brandenburger Land einquartiert, jeden Morgen abgeholt und zur Arbeit gefahren. Wie aus dem 240-seitigen Urteil des Landgerichts hervorgeht, waren die Zimmer nur für einen Aufenthalt einiger Tage ausgelegt. Wegen räumlicher Enge und Alkoholkonsum sei es immer wieder zu Streit unter den Bewohnern gekommen.
Für die Unterbringung und den Transport wurde den Arbeitern hohe Gebühren von ihrem Lohn abgezogen - Urlaubsentgelt und Krankengeld gab es nicht, vermeintliche Fehler, die die Arbeiter in den Lagerhallen der Einzelhändler machten, wurden mit hohen Strafzahlungen geahndet. Aufgrund dieser zahlreichen Abzüge blieb den Arbeitern teils kaum etwas von ihrem Lohn. Ein Mann sagte nach Angaben der Staatsanwaltschaft aus, er habe in der Küche seiner Unterkunft Gemüseabfälle gegessen, weil ihm das Geld fehlte, um sich richtige Lebensmittel zu kaufen.
Auf dem Papier waren es legale Leiharbeiter aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien, die in den großen Lagerhallen zwischen der dortigen Stammbelegschaft arbeiteten. Auf dem Papier bekamen diese Leiharbeiter auch den gesetzlichen Mindestlohn von damals rund 9 Euro. In Wirklichkeit hatten sich die Ausgebeuteten allein aufgrund ihrer Einreise mit falschen Dokumenten selbst strafbar gemacht - ein indirekter Schutz für die Drahtzieher, wie Christine Höfele erklärt. Denn die Angst vor Strafe und Ausweisung habe die Geschädigten abgehalten, Bandenmitglieder der Polizei anzuzeigen.
Von dem regulären Lohn, den große Einzelhandelsketten an die Zeitarbeitsfirmen im Ausland überwiesen, kam am Ende nicht einmal die Hälfte bei den Arbeitern an. Laut Gericht lag die Lohnquote zwischen 36 und 50 Prozent. Ein großer Teil des Geldes, das für die Leiharbeiter bestimmt war, wanderte im Baltikum von Konto zu Konto, wurde schließlich von der Bande als Gewinn kassiert.
Retter in der Pandemie
Die Hauptprofiteure mit Gewinnen in Millionenhöhe waren einerseits der 52-jährige Stanislav Z. aus Bremen, der Ideengeber an der Spitze des Systems - und andererseits das Berliner Ehepaar Kristina und Alexandre Z. mit Eigentumswohnung in Berlin-Schmargendorf. Sechs weitere Angeklagte, die unter anderem für die Anwerbung, den Kauf falscher Personalausweis-Karten und die Buchhaltung zuständig waren, erhielten mit monatlich zwischen 3.000 und 4.700 Euro netto einen vergleichsweise kleinen Anteil des Millionengewinns.
Möglich war dieses Geschäft dem Gerichtsurteil zufolge vor allem, weil im deutschen Online- und Einzelhandel insbesondere während der Pandemie ein großer Bedarf an Arbeitskräften herrschte - in den Ländern hinter der Ost-EU-Grenze dagegen viele Menschen arbeitslos waren oder sich mit extrem niedrigen Löhnen durchschlagen mussten. Nach Überzeugung des Gerichts waren das die zwei wichtigsten Säulen für das kriminelle Geschäft mit der Arbeitnehmerüberlassung. "Man kann wahrscheinlich sagen, dass diese Zwangsarbeit einen großen Anteil daran hatte, dass die Logistik des Einzelhandels in der Corona-Pandemie weiter funktionieren konnte", sagt Höfele.
Perfide war dieses System vor allem, weil das Geld, das den Arbeitern blieb - rund 3 bis 5 Euro pro Stunde - noch immer mehr war, als sie in der Heimat legal hätten verdienen können.
Andererseits kämften die Logistikzentren der Einzelhändler mit einem Mangel an Arbeitskräften im Inland. Für die Konzerne war es laut Gerichtsurteil deshalb attraktiv, Zeitarbeiter aus dem Ausland zu beschäftigen. Ein weiterer Aspekt war, dass die Sozialversicherungsbeiträge an den Standorten der Zeitarbeitsfirmen im Baltikum anfielen und deutlich geringer waren - die Zeitarbeiter kosteten die deutschen Firmen deshalb weniger.
Ausbeutung an bundesweit 40 Logistikstandorten
Voraussetzung für den langfristigen Erfolg war aus Sicht der Bande, dass die laufende Rekrutierung neuer Arbeiter reibungslos funktionierte. Weil der Equal-Pay-Grundsatz vorsieht, dass Zeitarbeiter nach neun Monaten in Deutschland denselben Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten, waren die Jobs zeitlich beschränkt - auch wenn die Bande Arbeiter oft über Umwege an andere Einzelhändler weitervermittelte.
Die Rekrutierung in Moldau, Kasachstan oder der Ukraine funktionierte dem Urteil zufolge unter anderem über Vermittlungsagenturen auf russischen Webseiten. Diese sollen den Bewerbern zum Teil bereits falsche Personaldokumente angeboten haben.
In diesen Portalen inserierte die Bande Jobs in Deutschland mit geringen Anforderungen: Die Leiharbeiter sollten nicht über 40 Jahre alt sein, keine Alkoholiker, gesund und arbeitswillig.
Allein im Tatzeitraum sollen auf diese Art "deutlich mehr als 1.000" Menschen nach Deutschland geschleust worden sein. Um den Rahmen nicht zu sprengen, hatte das Gericht das Verfahren auf 99 Einzelfälle beschränkt, zu denen die Ermittler der BAO Obelisk detaillierte Akten angelegt hatten. In den Unterlagen der illegalen Zeitarbeitsfirmen allerdings tauchten die Namen von insgesamt mehr als 1.800 Personen auf, die zwischen 2018 und 2021 offenbar an bundesweit insgesamt 40 Logistikstandorten ausgebeutet wurden.
Innenleben der "Firma"
Die Hauptbeschuldigten Stanislav Z., Alexandre Z. und Kristina Z. hatten in ihrem kriminellen System verschiedene Arbeitsbereiche. Das Gerichtsurteil bezeichnet den 52-jährigen Stanislav Z. aus Bremen als Ideengeber - und denjenigen, der die Zeitarbeitsfirmen in den baltischen Staaten gegründet und aufgebaut hat. Im Jahr 2016 soll Stanislav Z. dann Alexandre Z. von seiner Idee überzeugt haben, mit falschen Zeitarbeitern ein lukratives Geschäft aufzubauen.
Anders als Stanislav Z. sprechen Alexandre und Kristina Z. Englisch und traten laut Gerichtsurteil sicher im geschäftlichen Umgang auf. Die Hauptaufgabe des Paares habe deshalb zunächst darin bestanden, in Berlin und Brandenburg Großkunden zu akquirieren und Zeitarbeitsverträge mit "arbeitsplatzintensiven" Logistikstandorten der Region zu schließen.
Ein Vertrauter von Stanislav Z., der Bremer Steuerberater Jörg S., organisierte für die baltischen Zeitarbeitsfirmen die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bei der Bundesagentur für Arbeit. S. soll für die korrekte Fassade dieser Firmen zudem scheinbar gesetzeskonforme Gehaltsabrechnungen erstellt haben. Ein weiterer Beschuldigter, Mikhail S., war mit der Betreuung der Leiharbeiter und mit Chauffeurdiensten betraut. Ein Mann namens Sergej K. kümmerte sich um die Beschaffung gefälschter Personalausweis-Karten in großem Stil.
Reiche Zahnmediziner von nebenan
In ihrer Eigentumswohnung in Berlin-Schmargendorf führten Kristina und Alexandre Z. lange ein Leben im Luxus, fuhren Autos im Gesamtwert von 300.000 Euro und kauften von den Einnahmen eine Wohnung in Miami. Ein früheres Inserat dieser Wohnung in einem Webarchiv wirbt mit direkter Ozeanlage, In-House-Zimmerservice und einer hochwertigen Küchenausstattung.
Die Festnahme von Kristina und Alexandre Z. erfolgte im Dezember 2021 durch ein Spezialeinsatzkommando (SEK). Bis dahin lebten Nachbarn laut Staatsanwaltschaft in dem Glauben, es mit reichen Zahnmedizinern zu tun zu haben.
Wie Oberstaatsanwältin Christine Höfele rbb|24 sagte, hatte die Staatsanwaltschaft zunächst den Vorwurf des Menschenhandels in der Anklage erhoben - und ein höheres Strafmaß angestrebt. Den Punkt wies das Gericht allerdings zurück. "Die Begründung war, dass sich die Geschädigten selbst nicht in ausreichendem Maß als Menschenhandelsopfer gesehen haben", sagt Höfele.
Der Schuldspruch aufgrund des bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern, Urkundenfälschung, Verstoß gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und Steuerhinterziehung gebe aus ihrer Sicht nur einen Teil der Wirklichkeit wieder. "Das Problem ist, wie der Paragraf Menschenhandel im Strafgesetzbuch definiert ist. Aus meiner Sicht sollte Menschenhandel nicht ausschließlich von der Wahrnehmung der Betroffenen abhängig sein, auch damit wir die ohnehin traumatisierten Menschen nicht durch Vernehmungen verschiedener Instanzen erneut traumatisieren."
Dennoch sind die Haftstrafen und auch die Geldstrafen beträchtlich für ein Verfahren, in dem es um Tatbestände im Bereich der Arbeitsausbeutung geht: Stanislav Z., der zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, soll als Hauptverantwortlicher sieben Millionen Euro zahlen - Alexandre Z. 3,3 Millionen Euro.
Fahndung mit internationalem Haftbefehl
Seit dem Bekanntwerden ihrer Flucht im Frühjahr werden Alexandre und Kristina Z. mit internationalem Haftbefehl gesucht.
In den USA, wo Alexandre und Kristina Z. für einige Jahre wohnten, ist das Paar den Justizbehörden bereits bekannt. Im November 2013 hatte das Bezirksgericht Kings County in New York Kristina Z. bereits wegen Sozialbetrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Die damals 34-Jährige hatte über mehrere Jahre 25.000 Dollar aus einem Gesundheitsfürsorgeprogramm für Bedürftige bezogen - und ihre wahren Lebensverhältnisse verschleiert, wie die Bezirksstaatsanwaltschaft Kings County rbb|24 mitteilte.
Während sie die Sozialleistungen bezog, kaufte sich Z. für 890.000 Dollar eine Wohnung in Strandlage im New Yorker Stadtteil Coney Island. Kreditkartenzahlungen dokumentierten zudem Einkäufe bei teuren Modegeschäften und in mehreren Hotels und Restaurants in Las Vegas. Auf ihren Namen waren mehrere Autos angemeldet, darunter ein Aston Martin, ein Porsche und ein BMW. Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht Anhaltspunkte, dass das Geld für den luxuriösen Lebensstil bereits damals aus unlauteren Geschäften stammte.
Laut Oberstaatsanwältin Höfele haben Ermittler Hinweise zum Aufenthaltsort des Paars in den USA. Zuständig für die Fahndung vor Ort ist den Angaben zufolge nun das Federal Bureau of Investigation (FBI).