Kokainfunde in Supermärkten - Wie kommt das Koks in die Bananenkiste?
Bestellt waren Bananen, geliefert wurde elf Supermärkten in Berlin und Brandenburg auch noch was anderes: In den Kisten lagen 223 Kilo Kokain, einer der bisher größten Funde in der Region. Nun suchen die Ermittler nach den Hintermännern - mit wohl bescheidenen Chancen.
- Drogenkartelle preisen verloren gehende Kokainlieferungen als Verlust mit ein
- Nachfrage in ganz Europa steigt, Reinheit der Droge auch - Preis aber bleibt stabil
- Nur zehn Prozent der Lieferungen werden laut Zoll erwischt
Das Gift war in Plastikbeutel gepresst, mal ein Kilo, mal mehrere Kilo schwer, sie lagen in Kisten, versteckt zwischen Bananen. Als die Mitarbeiter von elf Lidl-Filialen die Lieferungen am vergangenen Donnerstagmorgen öffneten, stießen sie auf insgesamt 223 Kilo Kokain. 119 Kilogramm fielen den Ermittlern in Berlin in die Hände, 104 Kilogramm in Brandenburg. Sieben Berliner Lidl-Filialen waren betroffen, in Brandenburg vier. Bereits am Freitag wurden die wertvollen Päckchen von der Polizei verbrannt, damit niemand auf die Idee kommt, in die Depots der Sicherheitsbehörden einzubrechen. Aber wo kamen sie her?
Die Ermittler sagen dazu bisher nichts. Aber um ein Verständnis dieser langen weißen Linie zu bekommen, lohnt es sich trotzdem, an ihren Ursprung zurückzugehen. Hergestellt wird die Droge aus den hellgrünen, ovalen Blättern des Kokastrauches, an den feuchtwarmen Osthängen der Anden. Kolumbien ist noch immer der mit Abstand größte Kokainproduzent der Welt, gefolgt von seinen Nachbarn Bolivien und Peru. Die Anbaugebiete werden beherrscht von Guerillatruppen der "Farc", rechten Paramilitärs oder korrupten Soldaten. Sie alle verdienen gut am Drogenhandel, dazu Bauern, Chemiker, Buchhalter, Kuriere.
Wertsteigerung: Mehr als 1.000 Prozent
Für die Kartelle gilt: Den Staat offen herauszufordern, ist schlechter fürs Geschäft, als ihn mit Geld zu unterwandern. Beispiel Kolumbien: Heute arbeiten mindestens 150 kleinere kolumbianische Organisationen in der Branche, unauffällig, weitgehend autonom, weltweit vernetzt - anders als noch zu Zeiten des PR-Königs und Massenmörders Pablo Escobar. Sie verstecken sich hinter legalen Tarnfirmen, waschen die Einnahmen weltweit. Fliegt eine von ihnen auf, springt eine andere ein. Der Vertrieb funktioniert wie eine Parallelschaltung: Durchbricht man einen Schaltkreis, fließt der Strom über einen anderen weiter. Diese Firmen folgen keiner Ideologie, sondern nur einer neoliberalen Logik: Vom Ernten der Kokapflanze bis zum Straßenverkauf in Westeuropa steigert Kokain seinen Wert um mehr als 1.000 Prozent. Laut Experten der EU-Anti-Drogen-Behörde kostet ein Kilo Kokain in Lateinamerika zwischen 1.000 und 3.000 Euro – in Europa kann es dann zwischen 25.000 bis 50.000 Euro weiterverkauft werden [emcdaa.europa.eu]. Die globale Lieferkette aus Produzenten, Zwischenhändlern, Straßendealern oder Koks-Taxi-Fahrern spinnt sich angesichts solcher Gewinne ohne Schwierigkeiten. Welche legalen Waren werfen soviel Profit ab?
Die Drogen verlassen Lateinamerika Richtung Europa meistens auf riesigen Containerschiffen, versteckt in legalen Lieferungen: in Maschinenteilen eingeschweißt, in ausgehöhlte Bretter und eben Bananenkisten gestopft. Die meisten Bananenlieferungen importiert Deutschland aus Kolumbien, Ecuador und Costa Rica. Von dort erreichen sie die großen europäischen Häfen wie Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. Nicht selten schicken Drogenhändler erst mehrere "saubere" Lieferungen der gleichen Ware zur Tarnung - und erst dann die entscheidende.
Ein teures Versehen
Eine andere beliebte Variante: Die Drogenhändler bestechen vor dem Auslaufen eines Schiffes Hafenarbeiter, die dann Taschen voll Kokain in schon abgefertigte Container legen. Die Empfänger sind oft seriöse, große Unternehmen wie Möbelhäuser und Elektronikmärkte, sie werden seltener kontrolliert. Am Zielhafen holt ein Kurier das Kokain direkt nach am Abladen aus dem Container und schafft es unauffällig weg. Reederei, Lieferant und Empfänger bekommen davon nichts mit, ihre Papiere sind sauber.
Was nur die Bananen angeht: Deutschland importierte 2023 insgesamt mehr als eine Million Tonnen der Früchte. Wenn der aufgeflogene Deal vom Donnerstag normal gelaufen wäre, wäre das Koks, das in den Lidl-Märkten entdeckt wurde, schon im Hafen aus den Bananenkisten geholt und danach an Zwischenhändler weiterverkauft worden. Das ist nicht so schwer, wie es zunächst erscheinen mag: Den Hamburger Hafen beispielsweise erreichen pro Jahr ungefähr neun Millionen Schiffscontainer. Es ist unmöglich, sie alle gründlich zu prüfen: Etwa 50 Zollbeamte überwachen eine Fläche von der Größe Manhattans.
Verteilung ins gesamte Bundesgebiet
Im vergangenen Jahr beschlagnahmten Polizeibeamte in der EU soviel Kokain wie noch nie zuvor. Allein im Hafen Antwerpen-Brügge war es eine Rekordmenge von 121 Tonnen Kokain, in der EU insgesamt zuletzt mehr als 300 Tonnen Kokain pro Jahr. Laut einer Schätzung des Zolls werden nur zehn Prozent der Lieferungen entdeckt - und 90 Prozent nicht.
Von den Häfen aus erreichen die Drogen per Pkw-Kurier oder Liefer-Lkw die Städte, in denen die Endverkäufer die Ware bekommen und zum Kunden bringen sollen. Und ab und zu geht eine solche Lieferung eben schief. Den bisherigen Rekord in der Region Berlin-Brandenburg gab es 2023: 1,2 Tonnen Kokain waren offenbar zufällig bei einem Brandenburger Obst- und Gemüsegroßhändler in Groß Kreutz gelandet, der viele Märkte beliefert. Insgesamt drei Großlieferungen wurden bei dem Händler entdeckt: Mehr als 2,3 Tonnen Kokain innerhalb von gut einem Jahr. Es gibt keine Hinweise, dass der Händler etwas mit den Drogenlieferungen zu tun hatte. "Sie können davon ausgehen, dass das nicht nur Brandenburg betrifft, sondern dass hier eine Weiterverteilung ins gesamte Bundesgebiet erfolgt. 1,2 Tonnen werden Sie nicht an einen Händler los", sagte eine Polizeisprecherin damals zu der Rekordlieferung.
Deutlich gestiegene Nachfrage
In Deutschland und speziell der Hauptstadt Berlin trifft die Droge auf eine exorbitante Nachfrage: Sei es als weißes Pulver, sei es als Crack, das Suchtkranke auf Alufolien in Berliner U-Bahnhöfen rauchen. Laut Statistik erfasste die Polizei im vergangenen Jahr 2.043 Straftaten im Zusammenhang mit Kokain. Im Jahr 2021 waren es noch etwa 1.700 Fälle, 2019 etwa 1.300 und 2017 weniger als 900 Fälle. Die Zahlen verdoppelten sich in nur sechs Jahren.
Beim Handel und Schmuggel von Kokain ist es ähnlich: Im Jahr 2017 waren es noch rund 300 registrierte Straftaten, im vergangenen Jahr 1.186. Stellt die Polizei mehr Kokain sicher, spricht das vor allem dafür, dass schlichtweg mehr im Umlauf ist. Das ist die eine Messlatte. Die andere sind chemische Analysen der Abwässer: Auch sie zeigen, dass die Spuren von Kokain deutlich gestiegen sind. In Berlin beispielsweise innerhalb von fünf Jahren um 58 Prozent. Das besagt eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht [emcdda.europa.eu].
Diese Rückstände sind übrigens nicht mehr nur in Metropolen wie der Party-Hauptstadt Berlin gestiegen, sondern selbst in kleineren Städten. Ermittler sagen: Es war noch nie so leicht an Kokain zu kommen wie heute. Die Reinheit steige, der Preis aber bleibe stabil. "Wir erleben seit Jahren eine absolute Kokainschwemme", sagt der Berliner Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Stephan Weh.
Angstzustände, Paranoia, hohe psychische Abhängigkeit
Dabei wird Kokain gerne als unkomplizierte Partydroge verharmlost, aber sie hat ein sehr hohes psychisches Suchtpotential. Die Wirkung der Droge lässt schnell nach, daher konsumieren sie viele Nutzer in kurzen Abständen, um den Rausch aufrechtzuerhalten: Nach dem Hoch kommt eben schnell das Tief - und das dann richtig. Viele fühlen sich dann müde, lustlos, bedrückt. Es betrifft besonders die Abhängigen, die Crack rauchen: Hier hält die Wirkung oft nur bis zu zehn Minuten an, dann geht es sofort um die Frage, woher die nächste Dosis kommt.
Auch die Nebenwirkungen von Kokainkonsum können drastisch sein: Angstzustände, Panikattacken, Herzrasen und extrem erhöhter Blutdruck können laut Pharmakologen akut auftreten. Langfristige, häufige Folgen sind chronische Entzündungen der Nasenschleimhaut, Impotenz, Schlaflosigkeit, Paranoia und Depressivität.
Gestreckt wird das Pulver durch den Milchzucker Laktose, aber auch durch weitere Verdünner wie Glukose, den Zuckeralkohol Mannit. Immer öfter werden aber auch andere Zusatzstoffe beigemengt: das Schmerzmittel Phenacetin, das Entwurmungsmittel Levamisol und das Betäubungsmittel Lidocain. Die Stoffe können Forschern zufolge unter anderem Krampfanfälle und Hirnschäden begünstigen. Konsumenten können nicht einschätzen, was in welcher Menge in dem Koks enthalten ist.
Ganze Staaten von Drogengeld zersetzt
Welche fatalen Folgen die Gewalt durch die Kartelle und umgekehrt der sogenannte Krieg gegen die Drogen für die Bevölkerung in den betroffenen Regionen Süd- und Mittelamerikas hat, ist für die Konsumenten am Ende der Lieferkette weit weg. In Mexiko haben die Folgen des Kokainhandels seit 2006 mehr als 300.000 Menschen das Leben gekostet, mehr als 100.000 werden bis heute vermisst. In Kolumbien waren es mehr als 100.000 Tote, nicht zu sprechen von der Korruption durch das Drogengeld, die ganze Staaten zersetzt hat.
Auch Ecuador ist zuletzt viel deutlicher von der Gewalt durch Kartelle betroffen gewesen - sie erpressen den Staat inzwischen offen durch Terror [tagesschau.de]. Die Kartelle finanzieren mit dem Geld aus dem Drogenhandel auch den Aufbau und Betrieb anderer illegaler Geschäfte wie Waffenhandel, Menschenhandel und Prostitution [tagesschau.de].
In Europa sind vor allem marokkanisch-stämmige, albanische, serbische und kosovarische Banden und die italienische "N'drangheta" aktiv. Sie teilen sich den Drogenhandel nach Regionen und Geschäftsschwerpunkten auf. Laut einer Analyse von Europol ist ihr Markt "im Steigen begriffen", was möglicherweise durch "die beispiellose Verfügbarkeit von preiswertem, hochreinem Kokain" beeinflusst wird. Das bedeute auch: Je mehr Drogen zur Verfügung stünden, desto stärker sei der Wettbewerb. In Belgien, den Niederlanden und Frankreich hat sich das bereits durch drastisch gestiegene Gewalt zwischen den konkurrierenden Netzwerken gezeigt. Allein in Marseille starben im vergangenen Jahr 49 Menschen bei Schießereien rivalisierender Drogenbanden. Illegale Märkte können auf geschäftliche Probleme nur mit zwei Dingen reagieren: Geld und Gewalt.
Chancen der Ermittler sind gering
In Berlin zeigt sich diese Gewalt bisher nur sehr selten durch offene Auseinandersetzungen der organisierten Kriminalität. Es seien vor allem bewaffnete Streitigkeiten von Kleindealern am Ende der Kette, zum Beispiel im Görlitzer Park, sagt Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Man versteht in Deutschland offenbar, dass man besser schalten und walten kann, wenn man nicht zuviel Aufmerksamkeit auf sich zieht - auch mit dem Geschäftsrisiko, dass ab und zu eine Lieferung verloren geht und abgeschrieben werden muss", sagt Jendro. Das beschlagnahmte Koks vom Donnerstag also hätte die Supermärkte in Berlin und Brandenburg nie erreichen sollen, davon gehen die Berliner und Brandenburger Ermittler aus. Über ihre laufende Untersuchung wollen sie nicht sprechen. Die Chance, dass die Fahnder die Absender dieses Zufallsfundes fassen und diese dann auch verurteilt werden, ist minimal. Nach der entdeckten Rekordlieferung in Groß Kreutz wurde bislang kein einziger Täter verhaftet. Ebensowenig nach früheren Großfunden in der Region.
Das Rauschgift dieser Lieferung dürfte bei einem Verkaufspreis von etwa 50 bis 80 Euro pro Gramm einen Gesamtwert von 10 bis 15 Millionen Euro haben. Für den Straßenverkauf wird es nochmal deutlich gestreckt. Solche Summen sind natürlich auch für eines der gut verdienenden Drogenkartelle ein ärgerlicher Verlust. Aber das Geschäftsmodell berechnet solche Verluste langfristig ohnehin ein. Schon wenn die Hälfte der Drogen ihren Empfänger erreicht, lohnt sich das Geschäft. Im Durchschnitt ist es mehr. Die lange weiße Linie reißt nicht ab.