Rassismus im Gesundheitswesen - "Ich bin dann aus der Praxis raus und hab erstmal geweint"
Schwarzen Frauen wird im Krankenhaus häufig ein HIV-Test angeboten – muslimischen Frauen hingegen selten. Wenn es um das Thema Gesundheit geht, kann rassistische Stereotypisierung besonders gravierende Folgen haben. Von Oda Tischewski
Im vergangenen Frühjahr sitzt Jasmin Habeib-Erol in der Praxis ihrer Hausärztin. Sie hat immer wieder Magenschmerzen, denen sie endlich auf den Grund gehen will. An der Symptomatik allerdings scheint die Medizinerin weniger interessiert, berichtet die Berliner Studentin: "Ich wurde erstmal ausgefragt, woher ich komme", erinnert sie sich. Aus Deutschland, antwortet sie damals, doch die Antwort habe die Ärztin offenbar nicht zufrieden gestellt. "Dann hat sie gefragt, woher meine Eltern kommen, woher mein Ehemann kommt, und so weiter. Und dann meinte sie am Ende ganz selbstsicher: 'Das wird wahrscheinlich kultureller Stress sein.'"
Habeib-Erol trägt Kopftuch. Für ihre Ärztin war das offenbar Anlass zu einer ganzen Reihe weiterer Schlussfolgerungen über ihren Gesundheitszustand. "Sie hat angefangen, darüber zu sprechen, dass die Gastarbeiter, die damals nach Deutschland gekommen sind, ja auch Magenschmerzen hatten, wegen des ganzen Stresses." Und dass sie das irgendwie auch ihren Familien weitervererbt hätten. Dass Jasmin deutsch-ägyptische Wurzeln hat, scheint die Hausärztin in ihrer These nicht zu irritieren. Zu einer Behandlung der Schmerzen kommt es nicht. Jasmin verlässt die Praxis – und sucht sich eine andere Hausärztin.
Trotz Schmerzen die Praxis verlassen
"Jetzt kann ich drüber lachen – weil das auch meine Art und Weise ist, damit umzugehen: mit Humor, sonst verkraftet man diese Erfahrung nicht, die man leider regelmäßig macht", erzählt Habeib-Erol. Aber in dem Moment habe sie das natürlich überhaupt nicht lustig gefunden. "Ich hatte Schmerzen, deswegen war ich ja da. Ich bin dann auch aus der Praxis raus und hab erstmal geweint."
Das Erlebnis war nicht ihr erstes dieser Art, und sie ist mit ihrer Erfahrung nicht allein. Diskriminierung im Gesundheitswesen ist das Schwerpunktthema im Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors [dezim-institut.de]. Er ist im November 2023 erschienen, herausgegeben vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Für den Bericht wurden mehr als 21.000 Personen mit und ohne Migrationserfahrung befragt. Besondere Zielgruppen der Befragung waren Personen mit einer Migrationsgeschichte aus Afrika (ohne Nordafrika), Ost- und Südostasien, der Türkei oder aus sonstigen mehrheitlich muslimischen Ländern (inklusive Nordafrika).
Besonders betroffen sind muslimische und asiatische Frauen
Mehr als jede dritte Person mit Migrationserfahrung gab demnach in der Befragung an, dass sie schon einmal den Arzt oder die Ärztin wechseln musste, weil die eigenen Beschwerden nicht ernst genommen wurden (34,4 Prozent). Bei Menschen ohne Migrationserfahrung war es knapp jede vierte Person (24,2 Prozent). Besonders betroffen sind muslimische und asiatische Frauen. So gaben 38,9 Prozent der muslimischen und 36,5 Prozent der asiatischen Frauen an, schon einmal den Arzt oder die Ärztin gewechselt zu haben, weil ihre Beschwerden nicht ernst genommen wurden.
In einer ergänzenden partizipativen Studie berichten zum Beispiel Schwarze Frauen davon, in der Gesundheitsversorgung hypersexualisiert zu werden. In der Folge werden Ihnen häufig Testungen für sexuell übertragbare Krankheiten oder HIV-Infektionen angeboten. Muslimisch gelesene Frauen berichten davon, dass ihnen eine eigenständige Sexualität abgesprochen wird. Medizinische Kräfte sähen demnach keinen Grund, gewisse Gesundheitsdienstleistungen wie eine Testung auf sexuell übertragbare Krankheiten bei muslimischen Frauen durchzuführen.
Die Befragtung des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors zeigt auch, dass diskriminierende Erfahrungen riskante Folgen haben können. Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem Frauen, vermeiden es demnach, zu Ärzt:innen zu gehen: So geben 14,3 Prozent der Schwarzen, 12,9 Prozent der asiatischen und 12,8 Prozent der muslimischen Frauen an, eine Behandlung aus Angst vor Diskriminierung verzögert oder komplett gemieden zu haben. Doppelt so häufig wie Frauen ohne Migrationshintergrund (6,3 Prozent).
Sich der Vorurteile bewusst werden
Meist laufe eine diskriminierende Zuschreibung von stereotypen Eigenschaften unbewusst ab, erklärt Michael Knipper. Man denke bei Rassismus ja meist an Rassist:innen, aber darum gehe es tatsächlich nicht. Der Medizinhistoriker forscht an der Uni Gießen unter anderem zu medizinischem Pluralismus und interkultureller Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich. "Man muss sich von dem Gedanken freimachen, dass nur Rassist:innen in ihrem professionellen Handeln in der Gesundheitsversorgung rassistisch denken und arbeiten."
Jeder müsse sich vergegenwärtigen, dass er ganz klassische Vorurteile habe, so der Medizinhistoriker, und in eine Welt geboren sei, wo über bestimmte Teile der Weltgesellschaft anders gedacht werde, wo man mit rassistischen und kolonialistischen Vorurteilen groß werde. "Daher kommt diese kognitive Verzerrung, dass man ein Gegenüber nicht unvoreingenommen betrachtet, nicht an die Person selbst denkt, nicht mit ihr kommuniziert, nicht ihr zuhört, sondern in Schemata, in Klischees denkt."
Ärztekammer drängt auf einfach zugängliche Sprachvermittlung
Diese Mechanismen aufzubrechen, ist Ziel des "Empowerment für Diversität"-Programms, das sich vor anderthalb Jahren an der Charité gegründet hat – finanziert wird es von der Stiftung Mercator. Im Beirat des Projekts sitzt auch Michael Knipper. "Empowerment für Diversität" analysiert, wie es zu Diskriminierung im Gesundheitswesen kommt; bislang nehmen bundesweit sieben Frauenkliniken an dieser Auseinandersetzung teil und stellen sich Fragen wie "Verfügen wir über eine ausreichende Sprachmittlung zwischen Patient:innen und Fachpersonal?", "Sind unsere Aufklärungsmaterialien für alle Patient:innen zugänglich?" oder "Hat jede:r die Möglichkeit, sich an das Lob- und Beschwerdemanagement des Krankenhauses zu wenden?"
Die Ärztekammer Berlin verweist auf ihren Ausschuss für Menschenrechtsfragen. Dieser habe die Aufgabe, menschenrechtsrelevante Missstände und Defizite im Gesundheitswesen zu benennen und zu verbessern. Dazu gehörten auch Diskriminierungen aufgrund kultureller Zuschreibungen, so die Ärztekammer. Zudem drängt sie darauf, den Zugang zur Sprachvermittlung zu erleichtern. "Wichtig sind verbindliche Regelungen zur Finanzierung der Sprachvermittlung, um fremdsprachigen Patient:innen einen barrierefreien Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen", so die Ärztekammer Berlin. Eine flächendeckende Versorgung mit – menschlichen oder digitalen – Sprachmittlungswerkzeugen, die jedem Menschen denselben Zugang zu medizinischer Versorgung garantieren soll, ist zwar Teil des Ampel-Koalitionsvertrages, umgesetzt ist sie bisher aber noch nicht.
Ziel: schon an der Uni ein Bewusstsein schaffen
Das Programm "Empowerment für Diversität" setzt an anderer Stelle an: "Es geht darum, dass wir die Themen Diskriminierung und Rassismus in der Gesundheitsversorgung in die Lehre reinbekommen", sagt Projektkoordinatorin Tuğba Yalçınkaya. "So wie über Hygiene gelehrt wird, sollte auch darüber gelehrt werden, wie Diskriminierung sich in den Strukturen unserer Versorgung manifestiert hat."
Diskussionen anregen, Lehrmaterialien und Seminare für die Ausbildung von Ärzt:innen und Pflegepersonal entwickeln, Bewusstsein schaffen für Rassismus in der Gesundheitsversorgung – in Zeiten von Spardruck und Personalnot rennen Yalçınkaya und ihre Kolleg:innen mit diesen Themen bei den Krankenleitungen nicht immer offene Türen ein. "Das wird dann als Zusatzbelastung wahrgenommen. Und da sagen wir, ja, das kostet Zeit und das kostet personelle Kapazitäten. Aber wenn wir diesen Prozess langfristig denken, dann schafft es auch eine Erleichterung in den Arbeitsprozessen, in den Abläufen und Routinen. Denn wenn ich zum Beispiel weiß, wie ich Sprachmittlung einsetzen kann – sofern sie existiert - dann weiß ich auch, wie ich Stresssituationen vermeiden kann, in denen ich keine gemeinsame Sprache mit dem Patienten oder der Patientin habe."
Sendung: rbb24 Abendschau, 19.08.2024, 19.30 Uhr