Gefahr von Überdosierung - Tod durch reines Koffein
Jeremi verwechselt vermutlich Gramm mit Milligramm - ein tödlicher Irrtum. In seiner Leiche wird viel zu viel Koffein gefunden. Das Mittel in Reinform ist ein Trend vor allem im Kraftsport - aber schwer zu dosieren und hochgefährlich. Von Sybille Seitz
Vor rund einem Jahr wird Jeremi in einem Studentenwohnheim in München tot aufgefunden. Eine Obduktion bringt zunächst keine Erkenntnisse über die Todesursache des 20-Jährigen. Erst als die in Berlin lebenden Eltern eine Packung mit reinem Koffeinpulver in seinem Zimmer finden, wird noch eine toxikologische Untersuchung durchgeführt, die den Verdacht bestätigt: Jeremi hat viel zu viel Koffein in seinem Körper.
Sein Vater Viktor erinnert sich an ein Gespräch mit seinem Sohn wenige Wochen vor dessen Tod: "Er hatte mich vor den Ferien noch gefragt, was ich davon halte, Koffein einzunehmen vor dem Fitness-Training, weil es gerade so ein Trend ist. Da hab ich gesagt, dass ich mich damit nicht auskenne, generell kein Fan bin, um was einzunehmen."
Koffein in Pulverform ist nicht sicher dosierbar
Reines Koffein gilt als Nahrungsergänzungsmittel und soll den Stoffwechsel anregen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit warnt davor, mehr als 200 Milligramm zu sich zu nehmen, maximal zweimal täglich. Von manchen Anbietern gibt es diese Dosis von 200 Milligramm als fertige Kapsel. In loser Pulverform ist das genaue Dosieren ohne Messlöffel oder Feinwaage absolut unmöglich, die Pulvermenge ist gerade mal eine Messerspitze.
Manche Anbieter verschicken diese hochgefährliche Ware dennoch gänzlich ohne Beipackzettel, Messlöffel, Dosier- oder Verzehrempfehlung. Auf der Verpackung, die Jeremis Eltern in seinem Zimmer finden, steht der Hinweis, dass die Dosis von 200 Milligramm mit Hilfe einer Küchenwaage ausgemessen werden soll - kaum machbar. Und hier hat Jeremi mutmaßlich Milligramm mit Gramm verwechselt.
Tasse Kaffee und hochzentriertes Koffein sind zwei Paar Stiefel
Reines Koffeinpulver ist frei verkäuflich, ohne Altersbeschränkung, denn Koffein gelte als Nahrungsergänzungsmittel, erklärt Anke Ehlers vom Bundesinstitut für Risikobewertung, Abteilung Lebensmittelsicherheit: "Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel. Sie unterliegen nicht der Zulassungspflicht, sondern sie müssen lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angezeigt werden."
Die Behörde prüfe nicht die Wirksamkeit oder die Sicherheit dieser Nahrungsergänzungsmittel, aber diese müssen wie alle Lebensmittel sicher sein, sagt die Expertin. Dafür habe der Hersteller zu sorgen, was auch amtlich überwacht werde. "Aber das heißt nicht, dass jedes Produkt überwacht werden kann. Das ist zu viel", so Ehlers.
In akut hohen Dosen kann reines Koffein zu extremen Herzrhythmusstörungen und letztendlich zum Tod führen. Mit koffeinhaltigen Lebensmitteln wie der täglichen Tasse Kaffee hat hochzentriertes Koffein nichts zu tun. Um in einen lebensgefährlich Bereich zu kommen, müsste man fünf bis zehn Liter Kaffee am Tag trinken, je nach Körpergröße.
Experte: Keine Wirksamkeit von Koffein im Kraftsport
Jeremi war vermutlich einem Trend in den sozialen Netzwerken gefolgt, wo Koffeinpulver zur Leistungssteigerung im Kraftsport angepriesen wird. Doch laut Patrick Diel vom Zentrum für präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln gibt es dafür keinen Nachweis: "Mir ist keine wissenschaftlich akzeptable, hochqualitative Studie bekannt, die diesen Effekt tatsächlich irgendwo gezeigt hätte." Trotzdem würden es viele Hersteller behaupten und auch in der Krafttrainings-Szene sei das Usus, so der Experte.
Zudem spielen bei Krafttraining viele andere Faktoren wie Alter, Schlaf und Ernährung eine Rolle. "Insofern halte ich das für ziemlich schwierig nachzuweisen, dass das Koffein, das man vorher nimmt, noch etwas Zusätzliches bewirkt", sagt der Professor. Kein Freizeitsportler benötige irgendeine Art von Nahrungsergänzungsmitteln, betont Diel.
Jeremis Familie hat auch dank professioneller Trauerbegleitung wieder ins Leben gefunden, sie fühlen sich nun stark genug, über seinen Tod zu sprechen: "Für uns war es auch wichtig, dass andere Eltern diese Erfahrung nicht machen müssen, dass man davor warnt und sich die Jugendlichen bewusst sind, was sie da machen", sagt Jeremis Vater.
Kaffee mochte Jeremi nicht. Er wollte, wie viele junge Männer, einfach nur schneller männlicher und muskulöser werden - und hoffte dabei auf die Wirkung von reinem Koffeinpulver.
Sendung: rbb24 Abendschau, 14.10.2024, 19:30 Uhr