Ärztemangel in Berlin - Warum es nicht mehr Studienplätze für Medizin gibt

Fr 11.10.24 | 06:09 Uhr | Von Ann Kristin Schenten
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Symbolbild: Medizinstudenten verfolgen im Hörsaal eine Untersuchung. (Quelle: dpa/Julian Stratenschulte)
Bild: dpa/Julian Stratenschulte

In Berlin gibt es schon jetzt zu wenig Ärzte. Gleichzeitig bewerben sich im Fach Medizin jedes Jahr Zehntausende erfolglos. Also einfach mehr Studienplätze schaffen? Es gibt einige Gründe, warum das nicht so einfach möglich ist. Von Ann Kristin Schenten

Das Medizinstudium an der Berliner Charité ist begehrt: Auf 325 freie Studienplätze haben sich im aktuellen Wintersemester mehr als 25.500 Menschen beworben. Damit kommen auf einen freien Platz knapp 78 Bewerbungen.

Lauterbach spricht von 5.000 fehlenden Studienplätzen pro Jahr

Hohe Bewerberzahlen sind im Fach Medizin nicht ungewöhnlich. Wegen der hohen Zugangsvoraussetzungen bewerben sich viele an mehreren Universitäten gleichzeitig. Dennoch warnen Politik und Ärzteverbände immer wieder vor einem drohenden Ärztemangel. Könnte man dann nicht aus dem hohen Bewerberaufkommen schöpfen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte es im April im "ARD-Bericht aus Berlin" konkret. Er sprach davon, dass pro Jahr 5.000 Studienplätze fehlen, sodass es in den nächsten zehn Jahren insgesamt 50.000 Ärztinnen und Ärzte zu wenig geben werde. Jeder werde das spüren, sagte der Bundesgesundheitsminister.

Auch der Marburger Bund, die größte Ärztevereinigung Europas mit Sitz in Berlin, bekräftigte das gegenüber rbb24: "Wir brauchen eine Erhöhung der Studienplatzkapazitäten, denn wir wissen, dass heute 25 Prozent der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland älter als 60 Jahre sind. In den Praxen sind es sogar fast 40 Prozent. Wir müssen also in den kommenden Jahren viele Stellen nachbesetzen, was nur möglich ist, indem wir mehr ausbilden", so der Vorstandsvorsitzende Peter Bobbert.

Zahl der Studienplätze hängt an der Zahl der Krankenbetten

Einige Berliner Bezirke wie Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg warnen bereits jetzt vor einem Mangel an Hausärzten. Im Vergleich zu anderen Bundesländern gibt es in Berlin aber relativ viele Medizinstudierende. Laut der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege liegt die Quote der Studienanfängerinnen und -anfänger bezogen auf die Einwohnerzahl in Berlin bei 0,19 je 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner, während der Bundesdurchschnitt bei 0,15 liegt. Die Absolventenquote liegt laut der Charité bei rund 96 Prozent. Allerdings gibt es keine Erhebung, wie viele danach tatsächlich als Ärzte arbeiten.

Gäbe es aber überhaupt Möglichkeiten, mehr Studierende an der Charité auszubilden? Grundsätzlich richtet sich die Charité bei der Anzahl der Studienplätze nach den Verfügbarkeiten in den Krankenhäusern, erklärt Ina Czyborra (SPD), Berlins Senatorin für Wissenschaft und Gesundheit, im rbb24-Interview: "Die Anzahl der Studienplätze wird nicht willkürlich festgelegt, sondern sie bemisst sich an der Frage, wie viele Betten betrieben werden."

Pflegenotstand behindert Schaffung neuer Studienplätze

Bevor also festgelegt werden kann, wie viele Studierende die Charité aufnehmen kann, muss geprüft werden, wie viele Patientinnen und Patienten die Charité aktuell überhaupt versorgen kann. "Wenn es einen Bettenabbau gibt, dann würde das automatisch die Anzahl der Studienplätze reduzieren", erklärt Ina Czyborra. "Es hängt immer daran, wie viele Patientinnen versorgt werden", so die Senatorin.

Hinzu kommt, dass auch genügend Personal vorhanden sein muss, um die Studierenden zu betreuen. Silke Gebel, Sprecherin für Pflege bei den Berliner Grünen, sagt: "Es wäre sinnvoll, mehr Studienplätze zu schaffen. Allerdings hindert uns der Pflegenotstand daran. Wer mehr Studierende möchte, muss mehr Pflegekräfte einstellen, damit wir entsprechend auch mehr Patientinnen und Patienten aufnehmen können."

Czyborra: "Den Ländern sind die Hände gebunden"

Ein Medizinstudium ist zudem teuer. Ein Studienplatz kostet laut Senatorin Ina Czyborra aktuell mindestens eine Viertelmillion Euro. Sie kommt daher zu dem Schluss: "Ich sehe den Bedarf, aber ich sehe im Augenblick keine Möglichkeit, dass das Land Berlin nennenswert mehr Studienplätze schafft, ohne Unterstützung. Aus den Finanzen des Landes Berlin heraus können wir das nicht leisten."

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kritisierte die Länder im April für diese Haltung. Czyborra entgegnet: "Die Länder haben durch die Schuldenbremse des Bundes aktuell gar keine Möglichkeit, groß auszuweiten. Unsere Krankenhäuser machen derzeit fast flächendeckend Verluste. Auch die Charité macht Verluste. Es würde Unsummen kosten, mehr Studienplätze bereitzustellen. Zumal das, wie gesagt, von der Patientenversorgung abhängt. Im Augenblick sind den Ländern hier massiv die Hände gebunden."

Vorschlag: Studierende aus dem Ausland zurückholen

Martina Kadmon vom Deutsche Hochschulmedizin e.V. und Dekanin an der Medizinischen Fakultät der Uni Augsburg hat einen anderen Vorschlag: "Das Problem ist nicht dadurch lösbar, dass wir jetzt mehr Studienplätze schaffen. Diese würden erst in zwölf Jahren Wirkung zeigen. Wir müssen Kolleginnen und Kollegen zurückholen, die außerhalb Deutschlands studieren. Damit erhöhen wir auch die Zahl der Absolventinnen und Absolventen."

Laut einer Erhebung des Centrums für Hochschulentwicklung im März absolvieren derzeit schätzungsweise 7.500 Medizinstudierende ihre Ausbildung im Ausland, etwa in Ungarn, Polen oder Großbritannien. Allerdings ist nicht erhoben, wie viele von ihnen anschließend in die medizinische Versorgung nach Deutschland zurückkehren. Immer wieder wird auch gefordert, verstärkt medizinische Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, was auch der Marburger Bund unterstützt.

Zukünftig nicht mehr Studienplätze

Für die vielen Bewerberinnen und Bewerber auf Medizinstudienplätze in Berlin bleibt es jedoch vorerst dabei: Die Chancen auf einen Studienplatz an der Charité sind nicht besonders groß. Die Universität gehört zwar zu den größten Ausbildern in Deutschland, aber die Kapazitäten sind aktuell voll ausgereizt. Für mehr fehlt es an Personal und Geld – beides kann der Senat laut eigener Aussage derzeit nicht bereitstellen. Der Ärztemangel wird daher zumindest in Berlin zukünftig wohl nicht durch mehr Studienplätze gelöst.

Beitrag von Ann Kristin Schenten

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8 Kommentare

  1. 8.

    Zumindest in Berlin ist der Ärztemangel auch nicht unwesentlich durch das Bevölkerungswachstum in den letzten 10 - 20 Jahren entstanden

  2. 7.

    Stimmt leider nicht ganz.
    Die Abschnitte der Farmulator finden zum großen Teil in anderen Krankenhäusern statt.
    Meine Tochter studierte in Kiel, drei ihrer vier Stationen fanden außerhalb ihrer Uni- Klinik statt.

  3. 6.

    Tja, die fetten Jahre sind lange vorbei. Zumindest für die große Mehrheit.
    Dass jetzt allerdings die geringe Zahl der Krankenhausbetten als Ursache herhalten muss, wo man die jahrelang abgebaut hat, kann nur noch Kopfschütteln hervorrufen.

  4. 5.

    Ein direkter Zusammenhang zwischen Krankenhausbetten und Studentenzahl ist völliger Schwachsinn, als würden Studenten in den Betten liegen. Und auch das Pflegepersonal hat direkt mit der Zahl Studierender so gut wie nichts zu tun. Es soll verschleiert werden dass es schlicht Geld kostet Studenten auszubilden und das niemand dieses Geld ausgeben will

  5. 4.

    Verknappung treibt die Preise für Krankenkassen und Patienten.

  6. 3.

    Der Beitrag zeigt mir, dass die Probleme bekannt und erkannt wurden. Leider verstecken sich nun die Verantwortlichen hinter einer riesigen Mauer von Ausreden und erklären dem „dummen Michel“ warum das Problem nicht gelöst werden kann. Der Ärztemangel ist zweifellos vorhanden und trotzdem wird viel zu wenig getan. Holen wir doch die Ärzte zurück, die nicht als solche arbeiten. Wir sollten auch genauer hinschauen wofür wir unsere Geld ausgeben. Gerade heute wäre das ein guter Tag nachzudenken.

  7. 2.

    Früher gab es mehr Ärzte und Krankenhäuser. Und Geld für alles war auch genug da. Wo ist es denn hin?

  8. 1.

    Die Zugangsvoraussetzungen für ein Medizinstudium, das aus Steuermitteln des Staates finanziert wird, sind hoch (Numerus Klausus). Ich beobachte seid Jahren, dass die besten Medizinabsolventen nicht als Arzt/Ärztin in Deutschland arbeiten, sondern z.B. in die Schweiz oder USA gehen. Somit stehen Sie nicht in Deutschland zur Verfügung. Warum kann nicht gesetzlich geregelt werden, dass Medizinabsolventen mindestens drei Jahre in Deutschland arbeiten müssen, bevor sie ins Ausland gehen?

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