Regierungsbildung in Berlin - Was CDU und SPD bei der Inneren Sicherheit vorhaben
Während der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU in Berlin war es bei dem Thema Innere Sicherheit verdächtig still. Nur von besserer Ausstattung und mehr Stellen für Polizei und Rettungskräfte war die Rede. Inzwischen wird klarer, warum. Von Sabine Müller
Beim vermutlich nächsten Regierenden Bürgermeister Kai Wegner findet die Innere Sicherheit in diesen Tagen vor allem als seltsames Anhängsel statt. Sowohl nach einer der letzten Dachgruppen-Sitzungen als auch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags beschwor der CDU-Mann erst überschwänglich die bunte, weltoffene, vielfältige Stadt Berlin, wo jeder nach seiner Façon glücklich werden solle, "egal woher er kommt, was er glaubt, wen er liebt". Dann bog Wegner jeweils scharf ab zu der These: Um diese Vielfalt weiter zu gewährleisten, brauche es das sichere Fundament einer starken Polizei, die mehr Vertrauen und Wertschätzung erfahre, moderner ausgestattet sei und in frisch sanierten Wachen arbeite.
Die Innere Sicherheit wird quasi als Vielfalts-Garantin angepriesen, und inhaltliche Details werden ausgespart. Dahinter dürfte Methode stecken, denn Wegner muss klar gewesen sein, welche negativen Reaktionen einige Passagen im Koalitionsvertrag auslösen würden.
Aufschrei beim Thema Bürgerrechte
Die Kritik entzündet sich vor allem an Seite 28 des Vertrags. Dort heißt es unter anderem, die Koalition führe "anlassbezogen den Videoschutz an kriminalitätsbelasteten Orten ein", sie wolle Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen "zur Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerster Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität einsetzen" (Stichwort: Staatstrojaner) und die "rechtlichen Voraussetzungen für einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam" schaffen. Bisher sind in Berlin maximal zwei Tage erlaubt. Außerdem soll die polizeiliche Nutzung von Bodycams ausgeweitet werden und in Zukunft auch jederzeit in Privaträumen von Bürgerinnen und Bürgern möglich sein.
Der grüne Innenexperte Vasili Franco twitterte entsetzt, in der Berliner Innenpolitik kämen die Freiheitsrechte unter die Räder. Francos Pendant bei der Linken, Niklas Schrader, urteilte: "CDU und Giffey-SPD entfesselt. Was die im Koalitionsvertrag planen, ist ein Dammbruch für die Beschneidung unserer Grundrechte." Auch aus der SPD kommt scharfe Kritik. Im Interview mit Radioeins nennt Juso-Chef Peter Maaß die Pläne "teilweise verfassungswidrig": "Wir bekommen damit eine Stadt der Unfreiheit."
Debatte über "Racial Profiling"
Auch beim ersten nicht-öffentlichen SPD-Mitgliederforum zum Koalitionsvertrag am Dienstagabend spielte die Innere Sicherheit nach rbb-Informationen eine Rolle. Eine Frau im Publikum wollte wissen, warum "Racial Profiling" als polizeiliche Maßnahme zugelassen werden solle. Das Deutsche Institut für Menschenrechte definiert "Racial Profiling" als Methode, "das physische Erscheinungsbild, etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge, einer Person als Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen heranzuziehen."
Im schwarz-roten Koalitionsvertrag taucht der Begriff nicht auf, dort steht dieser Satz: "Verhaltensbezogene Kontrollen aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte bleiben unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote zulässig." Kritiker lesen das als Einladung zu rassistischem Polizeiverhalten. Der linke Innenexperte Niklas Schrader spricht von einem programmatischen Schnitt zur rot-grün-roten Koalition, in deren Koalitionsvertrag konkret vom Verbot von "Racial Profiling" die Rede war.
Die aktuelle und vermutlich auch zukünftige SPD-Innensenatorin Iris Spranger sieht das anders. Sie antwortete der Fragestellerin aus dem Publikum, im rot-grün-roten Koalitionsvertrag stehe doch letztlich dasselbe: Personenkontrollen dürften nur am Verhalten anknüpfen, nicht am äußeren Erscheinungsbild einer Person.
Abwehr der Vorwürfe
Auch SPD-Innenexperte Tom Schreiber, Verhandler in der Fachgruppe Inneres, twitterte, "Racial Profiling" sei und bleibe verboten, der schwarz-rote Koalitionsvertrag bekräftige genau dies. "Alles andere dazu ist Polemik und politische Stimmungsmache", so Schreiber
Aus Kreisen des SPD-Verhandlungsteams werden auch die anderen Kritikpunkte zurückgewiesen, man stemmt sich gegen den Vorwurf, hier werde ultrakonservative Law-and-Order-Politik gemacht. Ein Verhandler, der nicht namentlich genannt werden will, sagte dem rbb, die Zustimmung zu Videoüberwachung temporärer Art an besonders kriminalitätsbelasteten Orten sei längst geltende Beschlusslage der Berliner SPD und im rot-grün-regierten Hamburg seien nicht fünf, sondern bis zu zehn Tage Präventivhaft möglich. Sein Fazit: "Es wird auf Biegen und Brechen versucht, Themen zu finden, um diese Koalition als Rückschritt zu kritisieren".
Stille Zuwanderung
Erstaunlich wenig debattiert wird jener Teil des Kapitels Innere Sicherheit, der sich mit dem Thema Zuwanderung und Geflüchteten beschäftigt, das eigentlich auch immer für Diskussionen gut ist. Aber hier sind die gewählten Formulierungen zurückhaltend. Die freiwillige Rückkehr von Schutzsuchenden soll Vorrang haben vor Rückführungen, Abschiebehaft und -gewahrsam will Schwarz-Rot "nur dort nutzen, wo diese Maßnahmen wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit notwendig sind." Die CDU, die vor kurzem noch gegen den geltenden Winter-Abschiebestopp des rot-grün-roten Senats wetterte, unterschreibt nun den Satz, dass auf Winterabschiebungen verzichtet werden soll, wenn die Witterungsverhältnisse es humanitär gebieten.
Auch ein weiteres potenzielles Thema für viel Kritik hat die SPD verhindert. Wie der rbb aus Verhandlungskreise erfuhr, wollte die CDU eigentlich einen Rückführungsbeauftragten für Berlin etablieren, konnte sich damit allerdings nicht durchsetzen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 06.04.2023, 08:05 Uhr