Datenerhebung des Senats - Verkehrsexperten zweifeln Abnahme des Autoverkehrs in Berlin an

Do 29.06.23 | 17:29 Uhr | Von Jenny Barke
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Symbolbild: Fahrzeuge blockieren in zweiter Reihe auf der Oranienstrasse in Kreuzberg den Verkehr. (Quelle: dpa/J. Held)
Bild: dpa/J. Held

Weniger Autoverkehr, mehr parkende Autos: Das geht aus Daten hervor, die die Berliner Verkehrsverwaltung beauftragt hat. Zwei Berliner Verkehrswissenschaftler äußern Zweifel an den Ergebnissen - aus verschiedenen Gründen.

  • Berliner Senat hat Erhebung veröffentlicht, wonach der Autoverkehr in Berlin abgenommen hat
  • Verkehrsexperten halten Methodik und Aussage dieser Erhebung für problematisch
  • Blick auf auf tatsächlich gefahrene Kilometer - nicht das Fahrzeug-Aufkommen - zeichnet ein anderes Bild
  • Vor allem der Pendlerverkehr ist seit 1991 stetig und stark gewachsen

Der Berliner Senat hat eine Erhebung veröffentlicht, deren Ergebnis überrascht: Demnach ist der Autoverkehr in der Stadt in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Zuerst hatte am Mittwoch der "Tagesspiegel" darüber berichtet.

Mit der Datenerhebung wollte die Senatsverkehrsverwaltung ermitteln, wo im Stadtbild Lücken im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) bestehen. Um in den Jahren bis 2028 flächendeckender an allen Orten Berlins einen ÖPNV anbieten zu können, braucht es Zahlen: Wo fahren wie viele Autos? Von wo nach wo fahren sie? Und wo parken sie? Für die Auswertung beauftragte der Senat das "Center Nahverkehr Berlin" (CNB) [cnb-online.de] mit einer Analyse.

Senat zählt Autofahrten statt Kilometer

Den Ergebnissen zufolge ist der sogenannte Binnenverkehr - also der Autoverkehr, dessen Start wie auch Ziel in Berlin liegt - stark rückläufig. Verglichen wurden die Gesamtzahlen der Fahrten seit 1991. Demnach erreichten nach der Wende die jährlichen Autofahrten im Jahr 1997 ihren Peak. Danach blieben die Zahlen viele Jahre weitestgehend gleich, bis sie ab dem Jahr 2017 abgenommen haben.

Für den Bericht sind sogenannte Kordonzählungen ausgewertet worden. Kordonzählungen sind Verkehrsmengenzählungen mit Zählstellen, die aufaddieren, wie viel Kfz-Verkehr an diesen Stellen vorbeifährt. Vom Jahr 1991 als Vergleichsbasis ausgehend wurden relative Steigerungen oder Minimierungen des Verkehrs ausgezählt und dann relativ in Prozentzahlen angegeben. Lag 1991 die Zahl der Autofahrten bei 100 Prozent, so lag sie 1997 13 Prozentpunkte darüber - der bisherige Höchstwert. Aktuell liegt Berlin bei drei Prozentpunkten unter dem Autoverkehrsaufkommen von 1991.

Der Berliner Verkehrswissenschaftler Oliver Schwedes hält diese Methodik für problematisch. In der Verkehrswissenschaft unterscheide man zwischen Verkehrsaufkommen, wie in der Analyse ausgezählt, und der Verkehrsleistung, erklärt er. "Wenn es um eine nachhaltige Verkehrsentwicklung geht, interessieren uns besonders die Verkehrsleistungen. Das sind die zurückgelegten Kilometer." Denn letztlich hänge es von den Kilometern ab, wie viel CO2 und andere Emissionen produziert würden.

TU Berlin: Fak IV, FG Integrierte Verkehrsplanung, Oliver Schwedes (Quelle: Christian Kielmann)Oliver Schwedes

Über die Hälfte aller Kilometer in Berlin mit dem Auto

Schwedes plädiert dafür, sich stattdessen die absoluten Zahlen aller zurückgelegten Kilometer anzuschauen. Diese gehen aus der Datenerhebung "Mobilität in Deutschland", kurz MiD [mil.brandenburg.de] hervor. Nach Angaben der vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Auswertung werden in Berlin 56 Prozent aller zurückgelegten Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Auf den öffentlichen Nahverkehr entfallen etwa 36 Prozent. Auf mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegte Kilometer fällt nur ein Anteil von fünf bzw. drei Prozent.

Für den Verkehrswissenschaftler gibt es nur einen plausiblen Grund, warum der Senat die Ergebnisse prominent platziert: "Wenn man positiv darstellen möchte, dass man in den letzten Jahren ganz viele verkehrspolitische Maßnahmen entfaltet hat, dann würde ich persönlich auch eher das Verkehrsaufkommen (...) anführen. Denn damit kann ich auch zeigen, dass der Radverkehr massiv zugenommen hat in den letzten Jahren." Die absoluten Zahlen der tatsächlich mit dem Rad zurückgelegten Kilometer seien dabei wesentlich bescheidener.

Immer mehr Pendlerverkehr

Dass der Autoverkehr tatsächlich zunimmt, zeigt die Erhebung des Senats bei einem detaillierten Blick auf die Zahlen beim Pendlerverkehr. Denn hier zeigen selbst die relativen Zahlen einen enormen Zuwachs: "Der Berlin-Brandenburg-Verkehr, der über Brandenburg nach Berlin hinein oder auch aus Berlin heraus stattfindet, ist (fast) stetig stark gewachsen und mittlerweile bei plus 82 Prozent des Niveaus von 1991", heißt es in einer Mitteilung der Verkehrsverwaltung an den rbb.

Verkehrswissenschaftler Schwedes glaubt, dass eine absolute Auswertung, also die Analyse der durch den Pendelverkehr zurückgelegten Auto-Kilometer, ein deutlich negativeres Bild der Berliner Verkehrspolitik zeichnen würde. Denn immer mehr Kilometer würden dadurch mit dem Auto zurückgelegt - und das, obwohl es seit fünf Jahren das Mobilitätsgesetz gebe. Doch davon sei bisher wenig umgesetzt worden, sagt Schwedes. "Wir müssen sehen, dass wir endlich den Radverkehr auch in den großen Distanzen attraktiv gestalten."

Die aktuellen Ankündigungen der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) machen Schwedes aber dafür wenig Hoffnung. Vor zwei Wochen kündigte Schreiner an, dass geplante Radwege vorerst nicht ausgebaut werden sollten, wenn dafür Parkplätze wegfallen.

Christian Böttger, Verkehrsexperte und Professor Wirtschaftsingenieurwesen an der HTW Berlin.(Quelle:Nikolas Fahlbusch)Christian Böttger

Verkehrsexperte Böttger fordert City-Maut und Parkgebühren

Blickt man auf einen anderen Aspekt der Daten über die Berliner Verkehrsentwicklung, dürfte die Leitlinie mit den Parkplätzen künftig noch stärkere Hürden für neue Radwege bedeuten: Denn obwohl die Zahl der zurückgelegten Wege mit dem Auto laut CNB-Erhebung kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der Autos. Der Trend geht - wie bundesweit - hin zu einem Zweit- oder sogar Drittwagen. Bewegt werden diese schon jetzt kaum: 23 Stunden am Tag steht ein Auto im Durchschnitt herum, geht aus dem MiD-Report hervor.

Zusammenfassend heißt das: Es wird weniger häufig gefahren, dafür aber länger - und es gibt immer mehr parkende Autos.

Auch der Berliner Verkehrsexperte Christian Böttger von der HTW hält diese Entwicklung für fatal für eine nachhaltige Verkehrspolitik. Seine Lösungsvorschläge: "Das beste Instrument wäre für mich eine City-Maut für Pkws. Damit man es über Marktmechanismen löst. Hilfsweise könnte man auch das Parken in der City teurer machen." Dass es anders laufen kann, zeigten Städte wie Wien und Amsterdam erfolgreich: Dort sei der ÖPNV attraktiver gemacht worden, dann wurden die Autos zurückgedrängt. In Berlin sieht Böttger eine gegenteilige Entwicklung.

Radwege vs. Busspuren

Allein mit der Forderung, Parkplätze in der Innenstadt abzuschaffen, würde man aber auch keine Verkehrswende erreichen, meint Böttger. "Das ist ein Thema des Ideologiekampfs 'Fahrradfahrer gegen Autofahrer'. Dass die Fahrradfahrer sagen: 'Wenn wir die Autofahrer vertreiben, wäre hier ein super Radweg.'"

Bei der ganzen Debatte werde ihm zu wenig auf den öffentlichen Nahverkehr geschaut, so der Verkehrsexperte. Seit Jahren würde der sogenannte Oberflächenverkehr, also Busse und Straßenbahnen, immer langsamer und damit unattraktiver - auch wegen vieler Staus und einer Verkehrswende, die die Radfahrer priorisiere. "Solange der öffentliche Verkehr nicht besser wird, bringt es nichts, allein das Autofahren zu blockieren", sagt Böttger. Er fordert unter anderem Ampelvorrangsschaltungen für Busse, eigene Busspuren, statt allein Radwege zu bevorzugen und einen Straßenbahn-Ausbau. Erwähnenswert sei auch die Reaktivierung alter Schienenverbindungen - wie der Stammbahn, Heidekrautbahn und der S-Bahn Staaken.

Auto gleich Duftbäumchen und Uterus

Statt den ÖPNV stärker zu fördern, werde noch immer das Auto subventioniert, kritisiert auch Schwedes. "Der wesentliche Punkt ist doch, dass Menschen so lange das Auto bevorzugen werden, wie sie es sich leisten können. Es gibt kein anderes Verkehrsmittel, wo ich mit meinem privaten Duftbäumchen, privater Musik und in meinem kleinen Uterus so komfortabel fortbewegen kann." Und das werde auch noch jährlich mit 30 Milliarden Euro bundesweit subventioniert. "Jedes Auto wird mit 5.000 Euro jährlich subventioniert, wenn das der private Halter allein zahlen müsste, würde er es sich dreimal überlegen. Muss er aber nicht, denn das leistet sich unsere Gesellschaft." Das sei in keiner Weise nachhaltig.

Man müsse sich fragen, was der Sinn einer Verkehrspolitik sei, die das Auto jetzt wieder stärker in den Blick nehme, sagt Schwedes auch mit Blick auch auf die veröffentlichten Verkehrzahlen. "Schreiner wirft ihrer Vorgängerin vor, ideologische Verkehrspolitik betrieben zu haben." Dabei toppe sie die Verkehrspolitik der Vorgängerin, so Schwedes. "Das was im Moment betrieben wird, ist aus verkehrswissenschaftlicher Sicht ohne Sinn und Verstand."

Sendung: radioeins, 29.06.2023, 15 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

94 Kommentare

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  1. 94.

    Wie oft kaufen sie denn Autos und wie viel Steuern zahlen sie so pro Jahr für ihr Auto, dass auf 5000,-€ NUR STEUERABGABEN kommen? Die Rechnung will ich sehen.

  2. 93.

    Und wo stehen wir heute? Der Unwille zur Anpassung an die aktuellen Herausforderungen lässt unsere Autoindustrie gerade global abstürzen.
    Wie stark der Fokus auf diese Industrie andere Wirtschaftszweige schädigt wird auch gerne ausgeblendet. Wie einseitig wollen wir uns aufstellen? Die Deutschen alleine können ihre Autoindustrie gar nicht am Leben halten. Warum sollen also alle ein Auto haben? Andere Ausgaben erzeugen auch Steuern und Menschen ohne Auto haben nicht automatisch weniger Geld. So ist die Rechnung mit der Mehrwertsteuer an sich ziemliche Rosinenpickerei.
    Wie schon geschrieben: ALLE zahlen für die Straßen und das drumherum.

  3. 91.

    Die Behauptung kommt von Dagmar. Ich habe sie nur zitiert. Zugegeben schlecht markiert.

  4. 89.

    Wie kommen Sie auf 27Millionen Lkw auf deutschen Straßen? Wil ich nur mal anmerken, damit da keine falsche Diskussionsgrundlage entsteht.

  5. 88.

    Wo auf der Steuererklärung kann ich angeben, dass ich Rad fahre? Ich hätte gerne eine Dicke Erstattung dieses Jahr.

  6. 87.

    Hierzulande kann man alles mögliche behaupten, auch wenn es fern der Realität ist.
    Beispielsweise, dass der Fahrradfahrer für sein Fortbewegungsmittel auch Mehrwertsteuer zahlt, wie ein Autofahrer auch, aber es ging doch um die Summe , die im Haushalt landet, und nicht ob,
    Für ein Artikel für 50 Cent muss ich auch 19% Mehrwertsteuer zahlen, und davon gehen in die Staatskasse nicht einmal 20 Cent. Aber, wenn ich ein Auto für 25 00 Euro kaufe, dann kassiert der Staat für diesen einen Kauf 4750 Euro an Mehrwertsteuer auf einmal..

  7. 85.

    Benz wäre sicherlich anders als Draußen auch heute noch über die Verkehrsleistung erfreut, die seine Erfindung erbringt. Letztendlich haben sich daraus bekanntlich auch LKW und Busse entwickelt Siemens wäre sicherlich auch stolz auf seine U-Bahn, die hier in der Millionenmetropole mit ihren langen Wegen sehr geschätzt wird, da grosse Fahrgastanzahl damit vergleichsweise schnell von A nach B kommt.

  8. 83.

    Bei den Studien, die die Radobby bisher angeführt hatte, wurden regelmäßig die Beschäftigungseffekte "vergessen". In der Autoindustrie und im Handel sind allein knapp 1 1/2 Millionen Menschen direkt beschäftigt, allein die Autoindustrie erwirtschaftet einen Umsatz im dreistelligen Milliardenbereich. Stahlindustrie und.ä. noch nicht gerechnet. Mit Herstellung, Handel und Dienstleistungen einschl. der E-Scooter-Verleiher sind es gerade mal etwas über 60.000 €.

  9. 82.

    Wie kommen denn die von Ihnen genannten 5000 Euro Subvention pro Auto und Jahr zu Stande?

  10. 81.

    zahlen überproportional viel an Mehrwertsteuern - die Sätze sind für alle gleich
    da das Auto, Versicherung, Reparuturen, Wartung usw. eine sehr kostspielige Sache ist - Fahrradversicherung, Reparaturen und Wartung sind nicht steuerbefreit
    Die Autofahrer liegen niemanden auf der Tasche - Falsch, schließlich zahle ich für die auch ... ohne Auto
    jeden Tag fahren auf deutschen Straßen ca. 27 Millionen LKW, da zu kommen Busse, Müllabfuhr, Dienstfahrzeuge, Polizei, Feuerwehr, Rettung etc., und davon profitieren Alle, auch Sie. - LKW Kosten werden auf das Produkt umgelegt, die Straßen bezahle ich schon mit, genauso wie Feuerwehr, Polizei und Rettung
    Die Meisten Kosten der Infrastruktur verursachen Autos/LKW und die zahlen nicht genug um die Schäden auszugleichen und da geht es nur um die direkten Schäden. ALLE zahlen dafür. Es wird Zeit, dass die Autofahrer ihre Kosten selbst tragen.

  11. 80.

    Nicht jeder kann sich das heutzutage aussuchen oder einfach mal eben so umziehen.
    Warum suchen sich denn die ganzen (Auto-)Pendler nicht einen Job in Wohnortnähe, oder umgekehrt?

  12. 79.

    Antwort auf Berlinerin und Dagmar
    Meine Damen das sehe ich als Radfahrer genauso.
    Sie zahlen und Leute wie Keks und andere kapieren es nicht wie ungerecht das ist.
    Ich bin sehr wohl dafür als Radfahrer Steuern zu zahlen ebenso ein Kennzeichen zu erhalten, sodass bei einen Vergehen ich belangt werden kann.

  13. 78.

    Sie: "Die Zahlen nämlich nichts sondern fordern nur. Schreien nur nach besseren Radwegen für lau. "
    -> get your facts straight.
    1. die achso viel zahlenden Autofahrenden verursachen weeeeesentlich mehr ökonomische (und natrl auch ökologische) Schadschöpfung als sie durch KfZ-Steuer kompensieren
    2. Radfahrende finanzieren "Ihre" Straße genauso mit, ob sie wollen oder nicht. Die hat niemand gefragt, ob sie ne neu Stadtautobahn für 700 Mio Euro haben wollen, die sie nicht nutzen!

  14. 77.

    Lasst doch mal diese Milchmädchenrechnungen. Manche zahlen kaum Steuern, weil sie nicht arbeiten usw. Egal, wie finanzieren alles alle zusammen. Mal nutzt man etwas mehr, mal weniger, mal garnicht. Von mir aus könnten wir zB bei der Kultur sparen, da bin ich Muffel. Andere nutzen die BVG nicht usw.. Mich nervt diese zunehmende Spaltung der Gesellschaft und die ständigen Anfeindungen. Dazu dann noch die Erziehungsversuche mit Hinweis auf den Klimawandel.

  15. 76.

    Das ist nicht wahr, die Autfahrer zahlen überproportional viel an Mehrwertsteuern, da das Auto, Versicherung, Reparuturen, Wartung usw. eine sehr kostspielige Sache ist. Ergo, der Autofahrer zahlt jährlich viele Hunderte bis Tausende Euros an Mehrwertsteuer, plus Benzinsteuer und Kfz - Steuer.
    Die Autofahrer liegen niemanden auf der Tasche, sie tragen mit ca.100Milliarden zum Bundeshaushalt bei.
    Die Staßen sind nicht vornehmlich für den Individualverkehr gebaut worden, jeden Tag fahren auf deutschen Straßen ca. 27 Millionen LKW, da zu kommen Busse, Müllabfuhr, Dienstfahrzeuge, Polizei, Feuerwehr, Rettung etc., und davon profitieren Alle, auch Sie.

  16. 75.

    Autofahrer zahlen Steuern (KfZ, Mineralölsteuer, Parkgebühr, usw.), Radfahrer auch? Seit wann?

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