Pläne der Bildungssenatorin - Wie Berliner Lehrkräfte zum Aufstocken verlockt werden sollen

Mi 07.06.23 | 07:27 Uhr | Von Kirsten Buchmann
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Eine Lehrerin mit Schulheften unterm Arm betritt eine Klasse (Quelle: Imago/Thomas Imo)
Video: rbb|24 | 07.06.2023 | Leonie Schwarzer | Bild: imago stock&people

Die neue Berliner Bildungssenatorin rechnet im neuen Schuljahr mit 1.460 unbesetzten Lehrerstellen. Ihr Plan: Lehrkräfte aus anderen Beschäftigungen herauslösen oder aus der Teilzeit zurückholen. Erfolg: ungewiss.Von Kirsten Buchmann

Gleich nach einem halben Jahr im Beruf hat Sekundarschullehrer Hannes Bülow seine Unterrichtsstundenzahl reduziert. Statt regulär 26 erteilt er 22 Stunden pro Woche. Denn mit Vollzeit habe er sehr viele Vorbereitungen, aber zu wenig Zeit für die einzelnen Schülerinnen und Schüler sowie Elterngespräche gehabt: "Es war ständig das Gefühl, es häuft sich was an, und man sagt sich: 'Okay, das schaffe ich nicht mehr, ich muss irgendwann mal nach Hause'." Aber dieser Berg sei immer größer geworden, so dass er sich irgendwann schlecht und überfordert gefühlt habe.

De facto arbeite er, so Bülow, nun auch mit seiner reduzierten Stundenzahl fünf Tage in der Woche Vollzeit. Was könnte ihn angesichts des Lehrermangels motivieren, dennoch seine Stunden aufzustocken? Der 33-Jährige runzelt die Stirn. Er würde sich eine Entlastung von Verwaltungs- und Schreibaufgaben sowie bei den Pausenaufsichten wünschen. Aber dauerhaft 26 Stunden zu geben, sagt er, "das sehe ich einfach nicht".

Ein freier Tag in der Woche

Auch seine Kollegin Alice Baumgärtel gibt weniger Stunden, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Aus ihrer Sicht bräuchte es mehr Teilungsunterricht mit kleineren Lerngruppen, damit sie sich vorstellen könne, zusätzliche Stunden zu unterrichten, sagt sie. In solchen Teilungsgruppen könnte sie sich besser auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler konzentrieren, erklärt Baumgärtel. Wichtig sei ihr zudem weiterhin ein freier Tag in der Woche: "Das heißt, an anderen Tagen vielleicht mehr zu arbeiten, aber einen Tag zu haben, wo ich meinen Unterricht komplett vorbereiten kann." Sonst wisse sie nicht, wann sie das machen solle.

Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) will Teilzeitkräfte motivieren, ihre Stunden freiwillig aufzustocken, indem sie sie etwa durch mehr externe IT-Betreuer und Verwaltungsleiter entlastet. Verwaltungsleiter könnten beispielsweise Verträge mit Vertretungslehrkräften ausfüllen, anstatt dass sich der Schulleiter oder dafür freigestellte Pädagogen darum kümmern. "Dann ist das schon Entlastung und der Kollege kann zurück in den Unterricht", ist die Senatorin überzeugt. Zudem will sie bisherigen Teilzeit-Lehrkräften anbieten, sie für zusätzliche Stunden etwa in der Sprachförderung einzusetzen, "und nicht in zusätzlichen Klassen mit zusätzlichen Arbeiten und Elterngesprächen".

Fast 40 Prozent mit reduzierter Stundenzahl

Zuletzt war der Anteil der teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte in Berlin gewachsen. Hatten im Schuljahr 2021/22 noch 37 Prozent nicht Vollzeit unterrichtet, waren es im Schuljahr darauf 39,8 Prozent. Eine Stunde mehr Unterricht der bisherigen Teilzeitkräfte würde Berlin insgesamt rund 450 Vollzeitstellen zusätzlich bringen, lässt sich errechnen.

Mit welchen Kapazitäten sie durch mehr Unterricht bisheriger Teilzeitkräfte rechnet, beziffert Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch nicht. Sie nennt auch keine Zahl, wie viele Lehrkräfte, die momentan etwa noch in die Bildungsverwaltung abgeordnet sind, sie wieder an die Schulen zurückholen will: "Wir schauen jetzt kritisch: Was für einen Umfang haben die Abordnungen und welche Aufgaben erfüllen sie?“ Wenn es Möglichkeiten gebe, das zu reduzieren, sollten die Pädagogen wieder an die Schulen zurück.

Diskussion um weniger Unterricht für Klassen

Die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska Brychcy, ist skeptisch, was der Vorstoß überhaupt bringt, Abordnungen von Lehrkräften in Jobs außerhalb der Schule wieder in die Schulen zu bringen. Sie argumentiert: "Die Abordnungen machen insgesamt nur 750 Stellen aus. Davon ist mehr als die Hälfte in der Ausbildung beschäftigt und nur ungefähr 150 in der Verwaltung.“ Auch da sei es manchmal gut, "wenn die Kolleginnen Praxiserfahrung mitbringen".

Aus Brychcys Sicht muss daher auch darüber diskutiert werden, dass die Klassen wegen des Lehrkräftemangels weniger Unterricht bekommen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch wiederum will dafür sorgen, "dass die Stundentafel immer abgedeckt ist" und die Schulen die Sprachförderung, Inklusion und Integration aufrechterhalten können.

Inwieweit weniger Teilzeit und weniger Abordnungen die prognostizierte Lehrkräfte-Lücke von 1.460 Stellen zum kommenden Schuljahr verringern können, ist erst mal weiter offen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2023, 06:01 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

36 Kommentare

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  1. 36.

    Ganz ehrlich? Wenn Sie nicht wissen, wovon Sie reden, lassen Sie es bitte. Sie tun den meisten LehrerInnen einfach unrecht. Wie viele Pädagogen kennen Sie? Mit wie vielen haben Sie sich ernsthaft unterhalten? Insbesondere jüngere KollegInnen müssen nicht nur in der Schule für 25-33 Kinder pro Klasse sondern AUCH für ihre EIGENEN Kinder da sein. 25- 33 Elterngespräche, teilweise Klassenkonferenzen, teilweise Unterricht auf English wegen geflüchteter Kinder, 25-33 Kinder betreuen an Wandertagen, auf Klassenfahrten ... für einige besorgt man Material, weil es die Eltern nicht können/ schaffen .... Diagnoseverfahren beantragen, da immer mehe Kinder nicht lesen können, verhaltensoriginell sind oder eine Lernbehinderung haben. 25-33 Übungen, Tests, Klassenarbeiten erstellen, korrigieren, auswerten, Lerntagebücher checken.... Prügeleien schlichten, Gewaltanzeigen schreiben... Hinzu kommen Konferenzen, Schulfeste, Beratungen - bis in den Abend. Sie wissen nicht, wovon Sie reden...

  2. 35.

    Die Beschreibung Ihrer Lehrerfreunde trifft auf die allerwenigsten zu und es handelt sich hierbei höchstwahrscheinlich um diejenigen KollegInnen, die bei dem Rest im Kollegium für Frust sorgen. Es gibt immer Ausnahmen, die gekonnt alle Arbeit von sich weisen, mt wenig Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein in dem Beruf gelandet sind. Am Ende schultern das die KollegInnen und baden es die SchülerInnen aus. Mehrheitlich zutreffend ist das, was hier andere LehrerInnen geschrieben haben, 60h die Woche, bei Vollzeit und aus dem Grund reduzieren viele. Stellt sich die Frage, weshalb Ihre Freunde dieses Protzbedürfnis haben ...

  3. 34.

    Das ist korrekt, aber kein Widerspruch zu meiner Aussage, denn im Vergleich zum Auszubildenden, der nach der zehnten Klasse sein erstes Lehrlingsentgelts erhält, stehen noch die zwei Jahre Abitur. Macht also sieben unbezahlte Jahre. Im Vergleich mit anderen akademischen Berufen dürften sich die Studienzeiten annähernd decken. Und ja, das Referendariat wird vergütet. Nach fünf Jahren Studium mit "stolzen" 1540€ brutto.

  4. 33.

    Liebe Dagmar,

    Regelstudienzeit bedeutet nicht, wie die Bezeichnung glauben lässt, dass jeder in dieser Zeit sein Studium (in der "Regel") beenden kann. Der Begriff bedeutet eher Mindeststudienzeit. Und die Bezahlung im Referendariat ist eher ein schlechter Witz. Dafür würden Sie diesen Beruf nie ausüben.

  5. 32.

    Ja, da haben Sie Recht, die geldfixirte Gesellschaft ist nicht "das gelbe vom Ei", aber eine freizeitfixirte Gesellschaft ist dies noch weniger, besonders bei Fachkräftemangel in Berufen mit langer, aus Steuergeldern bezahlter Ausbildung.

  6. 31.

    Super @Onkel Uhu, da unterstreiche ich jedes Wort.
    Bin zwar "nur Ende 50", aber ohne Teilzeit würde es gar nicht gehen. Auch so (21 Stunden) gehe ich am Ende der Woche auf dem Zahnfleisch. Korrekturen noch unter der Woche, Vorbereitungen dann am Wochenende, gern auch mal 6-8 Stunden/Tag. Wöchentliche Gesamtarbeitszeit beläuft sich dann auf das, was andere Berufstätige unter "Vollzeit" verstehen, im besten Fall 39 Zeitstunden, meist sind es mehr - für ca. 80% vom VZ-Gehalt.
    Was keiner sieht, ist die Zeit für Unterrichtsvor- und Nachbereitung, u. dass Lehrkräfte nicht nur unterrichten, sondern heute eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen.
    Geregelte Pausenzeiten? Die paar Minuten Pause zwischen den Stunden vergehen mit Raumwechsel, Stundenmaterial ein- u. auspacken, Gesprächen, jeder Menge Aufsichten, Schlägereien schlichten auf dem Hof => Problemgespräche...
    Jeder Euro u. Ferientag sind verdient.

  7. 30.

    Laut den Seiten der Senatsverwaltung dauert die Ausbildung zum Lehrer mit Lehramtsbefähigung 5Jahre Studium + 18 Monate Vorbereitungsdienst, und der Vorbereitungsdienst wird bereits besoldet. .

  8. 29.

    Mir wird von den zweien regelmäßig vorgejubelt wie toll ihr Job ist. Viel Geld, möglichst wenig dafür machen. Lehrmaterialien einfach ständig wiederverwenden. Möglichst wenig Aufgaben geben, die man korrigieren muss. Während Corona hat der eine alles online in der Stunde gemacht inkl. Benotung. Der hatte 4 Tage die Woche komplett frei und hat sich über mich totgelacht. Tatsächlich ist mehr Geld in seinem Kollegium auch eher der Anreiz gewesen zur Stundenreduktion.

  9. 28.

    Ich finde Ihren Kommentar sehr widersprüchlich. Natürlich verdienen Lehrer gut. Das ist ein akademischer, anspruchsvoller und anstrengender Beruf. Dass einige das für Teilzeitarbeit nutzen zeigt nur, dass statt höherer Bezahlung auch die Arbeitsrahmenbedingungen einen Beruf attraktiv machen. Diese Erkenntnis scheint uns in der geldfixierten Gesellschaft einigermaßen verloren gegangen zu sein.

  10. 26.

    Niemand könnte mich niemals zur Vollzeit zwingen. Ich möchte ordentlichen Unterricht machen, für die Schüler da sein, mich gut vorbereiten können und gute Laune haben. Ich bin 60. Ich liebe meinen Traumberuf. Ich kann ihn mit reinem Gewissen nur in Teilzeit ausüben.

  11. 25.

    Zuerst einmal: Erika und Sie sollten nicht vergessen, dass eine im schnellsten Falle etwa neunjährige Ausbildung hinter diesem Beruf steht, die man bis zur ersten Unterrichtsstunde hinter sich bringt - sieben Jahre davon unbezahlt. Zweitens: Geht man dann in Teilzeit, hat das nichts mit "Mir geht's zu gut und ich kann es mir ja leisten" zu tun, sondern mit Selbstschutz in einem immer fordernderen Beruf. Drittens: Lesen Sie mal den Artikel zum Thema Personalmangel und Gesundheit auf RBB 24.

  12. 24.

    Ich verstehe das Bedürfnis nach Teilzeitarbeit in dieser Branche. Man konzentriert sich immer weniger darauf, den Lehrstoff zu vermitteln in guter Qualität. Stattdessen muss man in den unterschiedlichsten Altersklassen immer mehr seine Energie einsetzen für Erziehung, Sozialarbeiter, Berater...... Würden sich viele Eltern mehr um ihren Nachwuchs kümmern und sorten, wäre es entspannter

  13. 23.

    Man wirkt einem Fachkräftemangel halt auch nicht entgegen, indem man die Anforderungen immer weiter erhöht und die Arbeitsbedingungen immer unattraktiver gestaltet. Im Gegensatz zu vielen Entscheidungsträgern auf höheren Ebenen, hat das meine jetzige Schule verstanden. Durch eine lehrerorientierte Planung haben wir ein sehr motiviertes Kollegium, nahezu alle Stellen besetzt und viele auch eine 4-Tage-Präsenzwoche (was übrigens nicht bedeutet, dass sie nur 4 Tage pro Woche arbeiten würden).

  14. 22.

    Ist es ja auch nicht. Was A13-Besoldung ist, kann man leicht herausfinden, wenn dann noch der Status verheiratet + 2 Kinder hinzukommt, läßt es sich sehr gut aushalten.
    Einige Lehrer haben schon die 4Tage-Woche und freitags frei, denn wenn sie das nicht bekommen, bewerben sie sich woanders in der Gegend, der Lehrermangel machts möglich.

  15. 21.

    Um zu wissen, wo LehrerInnen entlastet werden können, damit sie mehr unterrichten, müsste mal genau geschaut werden, was sie alles zu tun haben. Unterricht vorbereiten, Arbeiten entwerfen, schreiben und korrigieren ist ja mittlerweile nebensächlich, scheint aber noch immer das gängige Bild in der Bevölkerung zu sein. "Nebenher" und das oft in den Pausen, am Abend und am WE organisieren sie Klassenfahrten und Schulausflüge. Sie reisen durch Berlin und betreuen Praktikanten, telefonieren mit Eltern und Betreuungspersonen, ermitteln Statistiken, legen Schülerbögen an und pflegen sie, verarzten oder trösten, sitzen in Pausen und an Abenden in Konferenzen und Beratungen, nehmen Fahradprüfungen ab, unterrichten an unterschiedlichen Schulstandorten, kämpfen stets mit defekter technischer Infrastruktur, entwerfen differenzierte Lehrmaterialien, müssen bisweilen in verschiedenen digitalen Portalen "omnipräsent" sein ...

  16. 20.

    Ist das Sozialneid? Entweder gehören Ihre Freunde zu jenen, die nur noch Schwellenpädagogik betreiben und denen die Förderung Ihrer heterogenenen Schülerschaft egal ist. Oder Sie haben sich noch nie ehrlich mit dem Arbeitsumfang - in Zusammenhang mit den Aufgaben - Ihrer Freunde auseinandergesetzt. Ich habe angefangen, Freunde wie Sie irgendwann zu meiden, weil ich es satt hatte, wenn ich auf dem "Zahnfleisch" ging, mir solche lehrerfeindlichen oder "humoristischen Kommentare" anzuhören. Selbst mit Stundenreduzierung bin ich an dem kranken System erkrankt! Und ich bin da kein Einzelfall. Junge Kolleginnen, insbesondere mit Kind(ern), zieht es die Beine unter den Füßen weg, weil sie nicht wissen, wie sie den schulischen und familiären Aufgaben - TROTZ Reduzierung - gerecht werden können. Menschen wie Sie oder Kommentatorin "Erika" tragen nicht unerheblich dazu bei, dass LehrerInnen sich mit ihren Sorgen und Belastungen nicht verstanden fühlen.

  17. 19.

    Unsinn. Am Problem vorbei argumentiert. Der eingeschlagene Weg ist besser als das was vorher versucht wurde. Eines fehlt noch: Die Regelstudienzeit erstmal überhaupt organisatorisch ermöglichen und anschließend die Referendare schnell anstellen/übernehmen. Viele, viele Monate wären gewonnen.


    P.S. Irgendwie passt Bildung (richtiger Plural) und falsche Grammatik nicht zusammen. Da Sie das wissen und trotzdem anders handhaben stellt sich die Frage der Mitverantwortung für „rechte Polarisierung“...

  18. 18.

    Wenn viele Lehrer Teilzeit arbeiten, kann das Gehalt ja gar nicht so niedrig sein, oder?

  19. 17.

    All diese Arbeiten, die anfallen, sind Bürotätigkeiten. Vielleicht sollte man Bürokräfte einstellen, die diese "bildungsfernen" Arbeiten machen? Warum sollen Lehrer:innen all diesen administrativen Kram erledigen. Die sollten sich auf Unterrichten konzentrieren können. Oder verstehe ich da irgendwelche Zusammenhänge nicht?

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