Umsturzpläne - BGH-Akten: AfD-Politikerin brachte "Reichsbürger" in Bundestag
BGH-Akten zeigen, wie detailliert eine Gruppe von im vergangenen Jahr aufgeflogenen "Reichsbürgern" die Erstürmung des Bundestags geplant haben soll. Eine zentrale Figur bei den mutmaßlichen Vorbereitungen: die Berliner Ex-Richterin Birgit Malsack-Winkemann.
Mutmaßliche "Reichsbürger" sollen sich sehr detailliert auf die bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes vorbereitet haben. Das geben Unterlagen des Bundesgerichtshofs (BGH) preis.
Demnach hatte die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann Mitbeschuldigte durch das Regierungsviertel geführt. Einer der Männer habe Fotos und Videos vom Paul-Löbe-Haus gemacht, in dem Büros und Sitzungssäle der Parlamentarier sind, von dessen unterirdischen Zugängen zu anderen Gebäuden einschließlich des Reichstags sowie vom Inneren des Plenarsaals des Bundestages.
Über die Details aus Beschlüssen zur fortdauernden Untersuchungshaft hatten mehrere Medien berichtet, unter anderem der "Spiegel".
Verdacht auf Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens
Hintergrund dieser Berichte sind die Ermittlungen rund um eine Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene Anfang Dezember. Für 22 der Festgenommenen hatte der BGH vor wenigen Wochen die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeordnet.
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.
Ex-Mitglieder des KSK sollten zum Einsatz kommen
Den Planungen zufolge sollten bis zu 16 Menschen das Reichstagsgebäude erstürmen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des Kommandos Spezialkräfte (KSK) oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei. Einer der Mitbeschuldigten soll 50.000 Euro beigesteuert haben, um das Vorhaben umzusetzen. Ein anderer verschaffte sich den Angaben zufolge mehrere Hundert Schuss Munition, sechs Gewehrmagazine, Nachtsichtgeräte, Fesselungsmaterial, weitere Militärausrüstung und einen Totschläger.
Malsack-Winkemann führte ihn und weitere Mitbeschuldigte demnach im September 2022 durch das Reichstagsgebäude, zu dem sie als ehemalige Bundestagsabgeordnete noch ungehinderten Zugang hatte und in das sie jederzeit bis zu sechs Menschen mitnehmen konnte. Etwa drei Wochen später war sie erneut mit einem der Männer im Regierungsviertel. Er habe eine Liste mit Namen zahlreicher Mitglieder der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung sowie von weiteren Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens erstellt.
Außerdem habe die Beschuldigte Übersichten über Sitzungswochen des Bundestages für das Jahr 2022 und eine vorläufige Tagesordnung für eine Plenarwoche im September an Mitbeschuldigte versandt - solche Informationen sind prinzipiell frei zugänglich. Ferner habe Malsack-Winkemann eine Chat-Nachricht verschickt mit Angaben, wo Mitglieder der Bundesregierung zu finden sind: "Die Fuehrungscrew sitzt uebrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen. [sic!]", heißt es im Beschluss des BGH.
Festnahmen im Dezember
Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember 25 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen. Einige von ihnen wurden zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Weitere Beschuldigte gerieten nach und nach ins Visier, inzwischen wird gegen mehr als 60 Menschen - überwiegend Deutsche - ermittelt.
"Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von rund 23.000 Menschen aus, die dieser Szene angehören. 2021 hätten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 1.011 extremistische Straftaten begangen (2020: 599), heißt es bei der Behörde. Seit 2016 wurden den Angaben nach 1.050 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen.
Malsack-Winkemann widerspricht den Tatvorwürfen
Die Ermittler stützen sich unter anderem auf Videos und Fotos, die sie bei Beschuldigten gefunden haben, auf Observationsmaßnahmen und überwachter Telekommunikation sowie Geständnisse von Verdächtigen.
Auch die ehemalige Berliner Richterin Malsack-Winkemann habe eingeräumt, Mitglied eines sogenannten Rates - des mutmaßlichen Führungsgremiums - gewesen zu sein - dort zuständig für das Justizressort, heißt es in den BGH-Unterlagen. Ferner habe sie bestätigt, bei zwei Gelegenheiten mehrere Mitbeschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben, wobei diese Fotos und Videos gemacht hätten.
Die "terroristische Zwecksetzung" der Gruppierung habe sie jedoch bestritten. Weder sei ein Umsturz noch ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude geplant gewesen.
Als Folge unter anderem dieser Causa hat der Bundestag im Mai die Hausordnung sowie Zugangs- und Verhaltensregeln geändert: So wurde etwa beschlossen, ehemaligen Abgeordneten nur auf Antrag und nach einer Zuverlässigkeits-Überprüfung einen Ausweis für den Bundestag mit einer Gültigkeit nur für die aktuelle Wahlperiode auszustellen. Die Kontrollen vor der Einfahrt in die Tiefgarage wurden intensiviert.
Sendung: Fritz, 01.08.2023, 13 Uhr