Schulgesetz in Berlin - Eltern fürchten höheren Druck durch neue Aufnahmeregeln an Gymnasien

Mo 18.03.24 | 08:09 Uhr | Von Kirsten Buchmann
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Symbolbild: Schülerinnen und Schüler im Gymnasium (Bild: dpa/ SvenSimon/ Frank Hoermann)
Bild: dpa/ SvenSimon/ Frank Hoermann

Die Berliner Koalition will das Aufnahmeverfahren für das Gymnasium ändern. So sollen Kinder mit einem Notendurchschnitt unter 2,3 in Kernfächern ihre Eignung für das Gymnasium nachweisen müssen. Eltern sehen das kritisch. Von Kirsten Buchmann

Antje Dietrich hat zwei Töchter im Grundschulalter. Sie ist froh, dass sich die Ältere noch nach dem bisherigen Verfahren für einen Platz am Gymnasium bewerben konnte. Denn laut einem Entwurf der Bildungsverwaltung sollen die für die Aufnahme am Gymnasium relevanten Zeugnisnoten künftig nur noch die Fächer Deutsch, Mathe und erste Fremdsprache umfassen.

Antje Dietrich fürchtet, dass das einen Teil der Kinder benachteiligen wird: "Es gibt Kinder, die in Mathe und Physik begabt sind, denen fällt es manchmal gerade in Englisch etwas schwerer." Zudem gebe es in Berlin einen höheren Anteil Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Pläne für neues Übergangsverfahren für Berliner Gymnasien

Für Kinder mit Sprachdefiziten müsse es einen Ausgleich geben, fordert deshalb die Mutter und Elternvertreterin aus Marzahn-Hellersdorf. In dem bisherigen Verfahren zählen für die sogenannte Förderprognose für die Aufnahme an der Oberschule alle Noten, wobei die Fächer außer Kunst, Musik und Sport doppelt gewichtet werden. Insgesamt ergebe sich dadurch ein breiteres Bild, sagt Antje Dietrich.

Die Verengung auf drei Fächer "erhöht den Druck", fürchtet die Grünen-Politikerin im Berliner Abgeordnetenhaus Marianne Burkert-Eulitz. Ähnlich sieht das Franziska Brychcy von der Linken. Sie sei besorgt, "ob die Schülerinnen und Schüler in der sechsjährigen Grundschule unter noch stärkeren Leistungsdruck geraten."

Notendurchschnitt wird wichtiges Kriterium

Aus Sicht von Arnd Niedermöller von der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektorinnen und -direktoren ist dagegen der Fokus auf die Kernfächer sinnvoll. Denn wenn jemand zum Beispiel in Deutsch Schwierigkeiten habe, "hat er es mit der Lesekompetenz in anderen Fächern auch nicht leicht."

Vor rund zwei Wochen war ein Referentenentwurf der Berliner Bildungsverwaltung für die geplante Schulgesetzänderung bekannt geworden. Die Details darin zu dem künftigen Aufnahmeverfahren für das Gymnasium: Schülerinnen und Schüler mit einem Notendurchschnitt niedriger als 2,3 in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache im zweiten Halbjahr der fünften und im ersten Halbjahr der sechsten Klasse sollen für das Gymnasium ihre Eignung nachweisen müssen. Das soll durch einen erfolgreichen Probeunterricht am Gymnasium geschehen.

Bildungsverwaltung muss Zahl korrigieren

Dass neue Aufnahmeregeln für das Gymnasium nötig seien, hatte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gegenüber dem rbb Anfang März damit begründet, dass rund 50 Prozent der Kinder ohne Gymnasialempfehlung das Probejahr in der siebten Klasse nicht schafften.

Sie müssten deshalb auf die Sekundarschule wechseln. Eine Zahl, die die Bildungsverwaltung inzwischen auf 34 Prozent korrigierte für das Schuljahr 2022/23. Das heißt auch: Rund zwei Drittel der Kinder, die eigentlich keine Gymnasialempfehlung hatten, haben das Probejahr geschafft.

Der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise, argumentiert denn auch, die Zahlen gäben es nicht her, das Übergangsverfahren zu ändern. Sie gäben "keinen Aufschluss" darüber, welchen Schulabschluss Schülerinnen und Schüler später erreichen.

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch dagegen verteidigt das geplante neue Aufnahmeverfahren. Ihr gehe es darum, damit Kindern die bestmögliche Schulform zuzuweisen: "Wir setzen den NC bei 2,3 fest und ermöglichen zusätzlich auf Antrag noch einen Probeunterricht."

Eintägiger Probeunterricht vor der Anmeldung für das Gymnasium

Laut den Plänen der Bildungsverwaltung soll ein eintägiger Probeunterricht vor der Anmeldung für das Gymnasium künftig zeigen, ob ein Kind mit einem Notendurchschnitt schlechter als 2,3 in den Kernfächern für das Gymnasium geeignet ist.

Elternvertreterin Antje Dietrich kann sich allerdings noch nicht vorstellen, dass ein eintägiger Probeunterricht tatsächlich spiegelt, wie ein Kind, das aufs Gymnasium möchte, tickt: "Ich habe sehr ruhige Kinder, die in der Schule nicht so aus sich rausgehen." Sie wisse nicht, "ob das jemand von außen an einem Tag beurteilen kann." Wie genau der eintägige Probeunterricht aussehen soll, ist noch nicht bekannt. Das will die Bildungsverwaltung durch eine Verordnung regeln.

Bereits enthalten ist im Entwurf für die geplante Schulgesetzänderung, dass das Probejahr in Klasse sieben am Gymnasium wegfallen soll. Wer es nicht besteht, muss bisher auf eine Sekundarschule wechseln. Dass das Probejahr in Jahrgangsstufe sieben in Zukunft entfallen soll, stößt auch bei Eltern auf Zustimmung.

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.03.24, 19:30 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

109 Kommentare

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  1. 109.

    Ich finde es auch bescheuert, wenn Sie sagen ,,nicht jeder muß Abitur machen''Wer Bitteschön will das? Niemand! Das Abitur schafft auch nicht jeder, da muß man schon fokussiert und fleißig sein.

  2. 108.

    Nein, es muss nicht jeder Abitur machen und studieren. Leider gibt es aber immer mehr Ausbildungsbetriebe, die lieber Schüler mit Abitur als mit Real- oder Hauptschulabschluss machen. Deshalb gehört das ganze Schulsystem auf den Prüfstand gestellt und nicht nur der Zugang zum Gymnasium. Es ist doch Blödsinn, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Wichtiger ist es, dass alle Schüler eine angemessene und weiterführende Schulbildung erhalten, mit der sie dann für den Beruf befähigt werden. Wir sind nicht im 18. Jahrhundert, wo Bauernkinder nur eine Grundbildung erhielten, weil sie dann sowieso aufs Feld mussten.

  3. 107.

    Also, wenn mein Kind keine Leistung bringt, weil es durchschnittlich intelligent ist, muss ich mich damit nicht zufrieden geben und behaupte dann einfach, man will nicht, dass mein Kind das Abi macht? Aha, wieder Blödsinn gelernt.
    Ich bin doch ein guter Vater, wenn ich die tatsächlichen Fähigkeiten meines Kindes erkenne und respektiere und dem Kind damit viel mehr helfe. Das hat was mit der Liebe zum Kind zu tun, damit das Kind seinen Fähigkeiten entsprechend glücklich wird.

  4. 106.

    Ich finde es richtig. Nicht jeder muss Abitur machen, selbst wenn es sich die Eltern noch so sehr wünschen. Abitur sollte etwas Besonderes und nur für kluge/fähige Kinder vorgesehen sein.

  5. 105.

    "Dieses Bildungssystem manifestiert Klassenunterschiede." Ein fester Klassenstandpunkt war in der DDR auch immer Gold wert. Warum sind denn oft Einwanderer aus ostasiatischen Klassenbeste? Die kommen sehr oft aus eher niedrigen Klassen nach Ihrer Einteilung. Könnte es daran liegen, daß in der Herkunftskultur Wissen und der WIssenserwerb einen sehr hohen Stellenwert hat und harte Arbeit (bei Schülern also lernen) in diesen Kulturen gefördert und anerkannt wird?

  6. 104.

    Lassen Sie sich von den anderen nichts Schlechtes einreden. Dieses Bildungssystem manifestiert Klassenunterschiede.
    Einziges Ziel von Günther-Wünsch/Wegner: Eliteförderung. Irgendwie muss man ja den "Pöbel" von Bildung Wissenschaft und gesellschaftlicher Anerkennung etc. fernhalten.

  7. 103.

    Ich hätte da für den „rbb24-Nutzer“ ein innovatives, modernes Konzept, was sich immer bewährt hat:
    Hinsetzen, lernen, sich abfragen, wieder hinsetzen, weiterlernen… bis man es kann. Ja, vieles davon mag „praxisfern“ wirken, uninteressant, langweilig. Es muss nun mal beherrscht werden. Warum wohl? Weil der Aha-Effekt erst viel, sehr viel später einsetzt, wofür man was gemacht haben MUSS.

  8. 102.

    Apropos "das richtige Deutsch": Mit der Interpunktion scheint es da bei Ihnen auch zu hapern, gelle?
    Als richtiger Deitscher sollten Sie die richtige Satzzeichensetzung aber drauf haben.

  9. 101.

    "erfährt Stillstand oder Rückschritt, auch im Bildungsbereich" Das muß nicht schlecht sein. Sie können doch nicht eine Reform auf die nächste setzen, wenn die Evaluierung ergab, daß die letzte Reform keinen Fortschritt beim Wissen gebracht hat. Das logische ist dann, die letzte Reform rückgängig zu machen und auf den Zustand vorher zurückzukehren, der bessere Ergebnisse im Vergleich brachte - und erst dann kann man neu überlegen.

  10. 100.

    "Leistung ist kein objektiv erfassbares Phänomen." Leistung heißt in der Schule Wissen und ist objektiv durch Tests und Prüfungen erfaßbar. Der Schwerpunkt sollte eifach wieder bei Wissen liegen, darauf kann man alles andere aufbauen - aber ohne Wissen, ist alles andere nichts. Und Kompetenzen ersetzen kein Wissen.

  11. 99.

    Talent gibt es also nicht. Aha.
    Was Sie alles wissen.
    Wissen Sie auch etwas über den IQ und EQ?
    Manche Kommentare lassen sich nur mit einer Tasse Kakao ertragen. Das tröstet etwas.

  12. 98.

    Sie orientieren sich nicht an den Besten. Sie reden die auch noch schlecht. Das was dann dabei rauskommt zeigen PISA und ALLE anderen Wissenstandserhebungen. Kinder sind keine ideologische Spielwiese. Und besonders migrationsfreundlich ist es, wenn man das richtige Deutsch verwendet.

  13. 97.

    Wer cDU wählt, erfährt Stillstand oder Rückschritt, auch im Bildungsbereich: Ausbau des dreigliedrigen Schulsystems, zunehmende Privatisierung von Grundschulen, kein Erwerb von Sozialkompetenz, kein interdisziplinäres Lernen, kein Aufsuchen von Praxisorten von Wissenschaft und Co., keine Berücksichtigung unterschiedlichster Bedingungen der Schüler*innen, Ausbau der Förderschulprogramme, Segregation des Unterrichts für geflüchtete Kinder o. Jugendliche, Gymnasialempfehlung entlang des Geldbeutels der Eltern - alles in allem stehen sämtliche Handlungen des Senats der Herausbildung von selbstständig denkenden und handelnden Menschen im Wege, ergo den Zielen von Bildung und Erziehung insgesamt, selbst nach BGB.

    Talent gibt es nicht. Leistung ist kein objektiv erfassbares Phänomen. Dass sowohl Noten als auch Auswahlverfahren wie das Probehalbjahr blanke Willkür sind, ist den Ergebnissen abzulesen. Schule ist ein Selektionsort - das gilt es zu kompensieren, nicht auszubauen.

  14. 96.

    Ihr Kommentar zeigt ja geradezu, wie wichtig das richtige Deutsch ist. An ALLEN Schulformen wird das richtige Deutsch gelehrt... wie der Deutsche Rechtschreibrat empfiehlt.

  15. 95.

    Deutsch und Mathematik sind deshalb wichtig für die Beurteilung zum Übergang in die weiterführenden Schulen, weil mit der deutschen Sprache alle Fächer erschlossen werden. Sprachverständnis und eine richtige Verwendung von Sprache sind deshalb eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Schulbesuch.
    Eine andere wichtige Voraussetzung ist logisches Denken, das im Mathematikunterricht vermittelt wird.
    Erworbenes Fachwissen z.B. in Sachfächern ist dagegen wenig aussagekräftig.

  16. 94.

    .. daß mir damals die 13. Klasse erspart blieb, wäre fast dazu gekommen, weil ich in der 11.+12. so oft krank war, daß mir zu viele Stunden fehlten für die Abi-Zulassung.
    Dadurch hätte ich dann nicht nur die 12. wiederholen müssen, sondern auch noch eine 13. Klasse absolvieren müssen, obwohl mein Notenschnitt trotz der vielen Fehltage zwischen 1 und 2 lag!
    Ich mußte extra zum staatlichen Schulamt, 3 Landkreise weiter, um einen extra-Antrag zu stellen, sonst hätte ich (wegen der neu eingeführten 13. Klasse) erst 2 Jahre später Abi machen können- völlig sinnlos.
    Was sagt man denn da spöter bei einer Bewerbung, warum man 14 Jahre statt 12 auf der Schule war?
    "Ich war zu krank"?
    Das will kein Personaler hören. Damit hat man sich gleich disqualifiziert!

  17. 93.

    Ich vermute auch, daß die Senatorin mit dieser Reform eher die Erwartungen ihrer Wählerschaft bedienen will.
    Dadurch ist die mögliche Konkurrenz um die Plätze am Gymnasium automatisch kleiner.

    Irgendwie gehört es zum Guten Ton in der Politik, nach gewonnener Wahl sein Revier zu markieren, um später sagen zu können 'schaut, was ich durchgesetzt habe'. Das macht die FDP auf Bundesebene genauso.
    Fragt sich nur, ob das gut ist für die Betroffenen?
    Schlimm isses auf jeden Fall, wenn bei jeder Wahl in der Bildungspolitik rumgepfuscht wird, weil man mit den Linien, die von der Vorgängerregierung nicht einverstanden ist.
    Ich hab das in den 90'ern im Osten erlebt- schön war das nicht, alle 4 Jahre ne Rolle rückwärts in der Bildungspolitik.

    Ich bin echt froh,

  18. 92.

    "Förderbenötigten" Dafür gibt es aber Förderschulen, die genau nach dem individuellen Bedarf fördern können. Dann sollte man das Förderschulsystem ausbauen, wenn diese Kinder genötigt werden ohne individuell passende Förderung auf normale Schulen zu gehen, was nicht im Sinne dieser Kinder sein kann.

  19. 91.

    Hauptsache, man bepackt etwas Schönes wie die Bildung der Kinder immer mehr mit Druck und Stress...
    Als ob der Druck durch die berlinweite Schulauswahl nicht schon reichte - was wäre denn einfacher, als auf das Gymnasium im Wohngebiet zu gehen?
    Das wäre für unser Kind zwei Blocks weiter weg als die Grundschule, aber das wäre natürlich zu einfach.
    Und jetzt noch zusätzlicher Druck, wirklich fein...

  20. 90.

    An die Runde: Der Grund, warum Eltern in Berlin ihr Kind aufs Gymnasium bringen wollen ist nicht nur Abi oder der Job. Es liegt einfach daran, dass es sonst nur die ISS gibt. Also entweder Gymasium oder mit "dem Rest" (d.h. Lernschwachen, Lernverweigerern, Spätstartern, Förderbenötigten, etc.) an einer Schule. Und das ist klingt nicht nach einer guten Alternative. Daher wäre eine Realschule/Gesamtschule in der Mitte wieder sehr sinnvoll.

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