Berliner Prothesen für Soldaten aus der Ukraine - "Wieder ganz neu laufen lernen"

Do 25.04.24 | 06:17 Uhr | Von Angela Ulrich
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Ukraine-Soldaten werden vermessen für Prothesen. (Foto: Angela Ulrich/rbb)
Audio: rbb24 Inforadio | 25.04.2024 | Angela Ulrich | Bild: Angela Ulrich/rbb

Die ersten verletzten ukrainischen Soldaten sind in Berlin, um hier Prothesen zu erhalten. Sie haben im Gefecht Gliedmaßen verloren, einige beide Beine. Orthopädie-Techniker haben sie jetzt in ihrer Unterkunft besucht. Von Angela Ulrich

Pavlo Kushnirov wuchtet sich vom Rollstuhl aufs Behandlungsbett. Der 43-jährige Soldat aus der Ukraine hat kraftvolle Arme, eine muskulöse Brust – aber dort, wo eigentlich die Beine sein sollten, sind nur noch Stümpfe: das eine Bein wurde kurz unterm Kniegelenk amputiert, das andere sogar mitsamt Oberschenkel.

Das ist auf dem Schlachtfeld in der Ukraine passiert, erzählt der bärtige Mann, als seine Einheit nicht genug Munition hatte gegen die russische Artillerie. Den rechten Unterschenkel hat Kushnirov im vergangenen Dezember eingebüßt. Das gesamte linke Bein wurde dann in diesem März amputiert. In der Geflüchteten-Unterkunft in Charlottenburg beugt sich Orthopädietechnikmeister Marko Gänsl über die Beinstümpfe und betastet sie:

"Hast Du Schmerzen?", fragt Gänsl. Pavlo Kushnirov schüttelt den Kopf, als ein Übersetzer ihm die Frage verständlich gemacht hat. "Sag Bescheid, wenn was wehtut", meint Gänsl und fühlt am Stumpf entlang. An einer Stelle zuckt Kushnirov. Hier hat es doch geschmerzt.

Schnelle Amputationen, um auf dem Schlachtfeld Leben zu retten

Marko Gänsl von der Firma Seeger und Orthopädietechniker von fünf weiteren Berliner Unternehmen bauen Prothesen für die ukrainischen Soldaten. Zehn Männer sind seit dem letzten Wochenende in Berlin. Sie haben Quartier gefunden in der neuen Geflüchteten-Unterkunft in der Quedlinburger Straße in Charlottenburg. Heute beginnt die Anpassung.

Zuerst packt Gänsl das Maßband aus. "Heute sehen wir zum ersten Mal die Stümpfe und können sie genau ausmessen", erklärt der Prothesenbauer. Das sei alles andere als Alltagsarbeit. "Die Stümpfe sind schnell amputiert worden, um Leben zu retten. Das sind andere Voraussetzungen als bei geplanten Operationen in Deutschland."

Gerrit Hülshorst, Orthopädietechniker der Firma Hempel, spannt Maßbänder um Pavlos Beinstümpfe. Er misst, notiert sich Umfänge und Längen. Bitte mal beugen – wie weit ist das Knie noch nutzbar? Alles gut, das rechte Bein des ukrainischen Soldaten ist vergleichsweise einfach zu verarzten. Schwieriger wird das linke Bein – hier fehlt alles, ab dem Oberschenkel abwärts. Jede Aktion erklärt Gerrit Hülshorst genau den fünf jungen Leuten, die am Fußende des Bettes stehen und zuschauen: Trainees aus der Ukraine, die in Berlin lernen sollen, Prothesen zu bauen, um das dann auch in Kiew selbst tun zu können.

Anastacia zum Beispiel. Sie arbeitete zuvor als Physiotherapeutin in Kiew. "Wir wollen unseren Helden helfen", sagt die 23-Jährige. "Denn diese Soldaten, sie sind unsere Helden." Ähnlich sehen das der Ingenieur Akim und die Medizinstudentin Olena. Sie sind mit den Soldaten im Bus aus Kiew nach Berlin angekommen, weil sie genau das lernen wollen: Prothesen für versehrte Ukrainer zu bauen – erst in Berlin, aber später dann in der Ukraine. Für die beiden ist das mehr als ein Job: "Das ist unser echtes Leben, den Männern zu helfen, die im Krieg waren. Es ist so wichtig, sie auch in Zukunft zu unterstützen."

Städtepartnerschaft Berlin – Kiew

Ins Leben gerufen wurde dieses Projekt vor allem durch das Engagement einer Frau: Janine von Wolfersdorff. Sie hat die Organisation "Life Bridge Ukraine" gegründet, Spendengelder gesammelt, Freiwillige rekrutiert, die ehrenamtlich dabei sind. Die Senatskanzlei hilft auch mit, im Rahmen der neuen Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Kiew. Von Wolfersdorff war auch dabei, als Berlins Regierender Bürgermeister, Kai Wegner, Ende letzter Woche die ersten versehrten Soldaten in der Unterkunft in der Quedlinburger Straße in Empfang genommen hat, gemeinsam mit Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe. "Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko hat Sie verabschiedet – der Regierende Bürgermeister begrüßt Sie in Berlin", sagte Wegner, und betonte nochmal den Zusammenhalt zwischen den Partnerstädten Kiew und Berlin. "Und diese Solidarität mit Kiew, die werden wir auch in den nächsten Jahren fortsetzen."

Mit Prothesen komplett neu laufen lernen

Für von Wolfersdorff geht die Arbeit jetzt erst richtig los. Insgesamt 60 Soldaten sollen in den nächsten Wochen nach Berlin kommen und hier Prothesen erhalten. Eine Herausforderung, vor allem auch, erstmal die "passenden" Patienten in der Ukraine zu finden, sagt von Wolfersdorff: Es gebe viele komplexe Fälle, nur wenig Menschen mit einfachen Amputationen, die dann auch für die Auszubildenden gut zu betreuen seien.

Aber dennoch sagt von Wolfersdorff: "Unser Ziel ist, dass die Trainees hier in Berlin in den sechs Partnerwerkstätten des Projekts lernen, wie man sehr gute Prothesen in guter Qualität baut, um das in Kiew dann auch umsetzen zu können." Denn am Ende, möglichst schon im Herbst, soll in Kiew ein eigenes Prothesenzentrum entstehen. "Life Bridge Ukraine" hat dafür und für die Versorgung der Soldaten in Berlin rund eine halbe Million Euro an Spendengeldern gesammelt.

Bei Pavlo Kushnirov ist inzwischen alles vermessen. Nächste Woche soll der Soldat in einer der Orthopädie-Werkstätten maßgeschneiderte Prothesen angepasst bekommen. Orthopädie-Techniker Marko Gänsl warnt allerdings vor zu viel Hoffnung: "Das ist schon ein komplett neues Laufen-Lernen, mit einer doppelseitigen Amputation", sagt Gänsl.

Der ukrainische Soldat selbst ist aber optimistisch. "So weit wie möglich möchte ich zum normalen Leben zurückkehren", sagt Kushnirov, "und wenn es geht, auch irgendwann zu meiner Einheit zurückkehren, und weiter kämpfen für die Ukraine."

Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2024, 06:20 Uhr

Beitrag von Angela Ulrich

25 Kommentare

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  1. 24.

    Zitat: "Schritt für Schritt werden wir uns an das neue Heldentum gewöhnen und danach an die Invaliden und Toten."

    Wen meinen Sie heraufbeschwörend mit "wir"? Wir Deutsche müssen uns sicher nicht an ein "neues Heldentum" und daraus resultierende Invalide und Tote gewöhnen. Hier geht es um Ukrainische Kämpfer, die nicht nur ihr Land, sondern auch das Menschenrecht auf Selbstbestimmung gegen einen imperialistischen Aggressor verteidigen - und dabei sollten wir sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.

  2. 23.

    Zufriedener Rentner:
    "Da ich auf @ Immanuel nicht antworten darf, dann so."

    Wer sagt, dass Sie mir nicht antworten dürfen?

  3. 21.

    Da ich auf @ Immanuel nicht antworten darf, dann so. Vorsicht, es geht der Nickklau um.

  4. 20.

    Peter:
    "Antwort auf [Butze] vom 25.04.2024 um 08:17
    Sie verteidigen Ihr Land, nicht Europa. Europa wird durch die NATO verteidigt!"

    Ja, die Ukrainer verteidigen ihr Land, und wir helfen Ihenn dabei!

    Nein, die NATO verteidigt nicht Europa (Die Ukraine ist Teil von Europa!), sondern nur die NATO-Länder inner- und außerhalb Europas!

  5. 19.

    Gabs alles schon einmal, s. Karikaturen von George Grosz. Nur war von 1960- 2020 unklar, was der Künstler damit wirklich darstellte.
    Aber jetzt kommt der Veteranentag...Schritt für Schritt werden wir uns an das neue Heldentum gewöhnen und danach an die Invaliden und Toten. Musste Kathe Kollwitz auch, als sie ihren Sohn verlor.

  6. 18.

    Hans:
    "Kann doch die Rüstungsindustrie finanzieren, hat genug Gewinne !"

    Ja, die russische Rüstungsindustrie, die das verursacht hat und damit Beihilfe zum Angriffskrieg und Kriegsverbrechen leistet!

    Na dann versuchen Sie mal, Ihre Forderung gegen Putin & Co. durchzusetzen!

  7. 17.

    Altwestberlinerin:
    "Und bitte, unterstützt die Ukraine nicht noch einmal auf dem Schlachtfeld... Nur Katzen haben 7 Leben."

    Sollen wir sie etwa ohne jeden Schutz der mordenden Putin-Armee ausgeliefert lassen??? Natürlich braucht die Ukraine Hilfe zur Selbstverteidigung gegen die Auftragsmörder von Putin!!!

  8. 16.

    Sie verteidigen Ihr Land, nicht Europa. Europa wird durch die NATO verteidigt!

  9. 15.

    Sommer:
    "Na, super ! Wird das alles aus unseren Krankenkassentopf bezahlt?"

    Wie egoistisch, kaltherzig und empathielos!
    Von der Leseschwäche ganz abgesehen!

  10. 14.

    Wollten Sie den Artikel eigentlich bewusst nicht lesen, um einfach einen Grund zu finden, über die angebliche Benachteiligung von Deutschen im Gesundheitssystem zu schwadronieren? Oder haben Sie ihn gelesen und einfach nicht verstanden?

  11. 13.

    Keiner scheint den Text lesen zu können. Damit ist Deutschlands Problem wohl klar: keiner kann lesen. Noch mal deutlich: diese Aktion wird von Spendengeldern finanziert!
    Weder Krankenkassen noch Steuerzahler sind betroffen.

    Und noch deutlicher: das wären Steuergelder, die VERNÜNFTIG investiert würden, wenn es sich nicht sowieso um Spenden handeln würde!

  12. 12.

    Wie schon in einigen Kommentaren erwähnt: Die Aktion wird aus Spendengeldern bezahlt. Im Übrigen fühle auch ich mich ärztlich hierzulande recht gut versorgt. Ich glaube, dass kaum jemand in Deutschland medizinisch auf der Strecke bleibt. Anstatt dem Schicksal dankbar zu sein, dass Kriegsverletzungen uns bislang erspart geblieben sind, zeugen doch einige Kommentare, darunter der meiner Nickname-Vetter, von reichlich Missgunst und Empathielosigkeit.

  13. 11.

    Kann doch die Rüstungsindustrie finanzieren, hat genug Gewinne !

  14. 10.

    Ich Glaube nicht das der deutsche Steuerzahler dafür auch noch zahlen sollte! Wir haben genügend eigene Baustellen im Land.

  15. 9.

    Na, super ! Wird das alles aus unseren Krankenkassentopf bezahlt? Die Regierung zahlt ja nicht ein. Für Deutsche wird alles immer schlimmer mit der Versorgung. Habe ich gerade durch ! Oberarmbruch (76) voll stillgelegt der Arm .Hilfe für waschen oder so nicht drin ,da der Mann ja lebt, wenn auch 84 und mich nicht halten kann oder helfen weil er nicht Pflegestufe 2 hat. Physio gleich zu bekommen auch unmöglich,da Termine erst ab Ende Mai/Juni. Physio ist Notwendig damit der Arm nicht versteift.

  16. 8.

    Fehlen Ihnen Orthopädietechniker, die Ihnen Prothesen anpassen, weil Ihnen Gliedmaßen amputiert wurden? Oder gibt es einen anderen Grund, der Sie zu diesem völlig empathielosen Kommentar bewogen hat? Ich bin Kassenpatient und fühle mich im Vergleich zu vermutlich 95 % der anderen Länder auf der Welt eigentlich medizinisch gut versorgt und bin dankbar, dass ich mehr Glück hatte als Menschen wie dieser Soldat. Sie offensichtlich nicht.

  17. 7.

    Sie zeigen so viel Mitgefühl. Da verlieren zwei Soldaten bei der Verteidigung der Freiheit ihres Landes und Europa ihre Gliedmaßen und Sie haben nichts besseres zu tun als zu pöbeln. Es ist nicht schön wenn Sie keinen Termin bekommen, aber die beiden Soldaten werden wohl nicht Schuld an Ihrem Dilemma sein.
    Alles Gute für die Soldaten.
    Auch für Sie Laura, alles Gute.

  18. 6.

    "Solange es von Spendengelder bezahlt wird, ist es eine gute Sache."
    ........und wenn es nicht von Spendengeldern bezahlt werden würde, wäre es keine gute Sache oder wie ist Ihr Satz zu verstehen?

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