Ein Jahr schwarz-roter Senat in Berlin - Gute-Laune-Truppe - mit Luft nach oben
In den vergangenen zwölf Monaten haben CDU und SPD in Berlin einiges abgearbeitet und auf den Weg gebracht, was im Koalitionsvertrag angekündigt war. Hinter wichtigen Zukunftsthemen stehen allerdings noch große Fragezeichen. Von Sabine Müller
Eins fällt bei näherer Betrachtung der schwarz-roten Regierung in Berlin sofort ins Auge: Die Stimmung ist erheblich besser als bei den Vorgänger-Regierungen, wo sich SPD, Grüne und Linke regelmäßig gegenseitig das Leben schwer machten. Natürlich ist eine Zweierkonstellation leichter als ein Dreierbündnis, aber die weitgehend geräuschlose Zusammenarbeit, in der Auseinandersetzungen in der Regel intern ausgetragen werden, hat viel mit dem Mann an der Spitze zu tun.
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ist weniger profilierungsgetrieben als seine Vorgängerin Franziska Giffey (SPD), Wegner weiß, wie man sich zurücknimmt und einer Juniorpartnerin Raum gibt. Dass mancher inhaltliche Streit ums Geld vertagt wurde, trug ebenfalls zum Stimmungshoch bei. Doch dazu später mehr.
Was geschafft wurde:
Nach einem sehr gemächlichen Start nahm die inhaltliche Arbeit der Koalition erst zum Jahresende 2023 spürbar Fahrt auf. Zu den wichtigsten Punkten, die CDU und SPD zum Einjährigen auf der Haben-Seite verbuchen können, gehören diese:
Um Wohnungsbau zu erleichtern, wurde die Bauordnung verschlankt, ein "Schneller-Bauen-Gesetz" ist auf dem Weg. Wie viel das in Zeiten hoher Bau- und Finanzierungskosten gegen den Wohnungsmangel ausrichten kann, wird sich zeigen. Erste Änderungen am Polizeigesetz sind verabschiedet, dabei geht es unter anderem um den Einsatz von Tasern, das Filmen mit Bodycams auch in Privatwohnungen und verlängerten Präventivgewahrsam (bis zu sieben Tage). Mit der Novelle des Schulgesetzes wird unter anderem der Zugang zum Gymnasium neu geregelt, ein "Kita-Chancenjahr" soll dafür sorgen, dass alle Schulanfänger sprachlich schulreif sind.
Realisiert wurden auch Pläne, die die CDU unter Rot-Grün-Rot noch abgelehnt hatte, wie der Rückkauf der Fernwärme und das Wählen ab 16.
Aber längst nicht alles, wofür sich CDU und SPD jetzt loben, sind originäre schwarz-rote Vorhaben. Teilweise wird umgesetzt, was bereits die Vorgängerregierung angestoßen oder beschlossen hatte: Etwa die Lehrerverbeamtung oder die neue Verbraucherzentrale im Osten der Stadt.
Themen mit großem "Aber"
Finanzsenator Stefan Evers (CDU) betont gerne, die Koalition habe den Doppelhaushalt 2024/25 "in Rekordzeit" aufgestellt. Aber: Das passierte auf fragwürdige Art und Weise. Schon bei der Verabschiedung im Parlament im Dezember war klar, dass deutlich mehr Geld eingeplant war als vorhanden – CDU und SPD hatten sich vor unangenehmen Sparentscheidungen gedrückt.
Monatelang herrschte Unruhe, weil der Finanzsenator mit "Rasenmäher-Sparen" in Höhe von knapp sechs Prozent drohte. Am Ende wurden es nur zwei Prozent, weil nochmal alles an nicht-aufgebrauchten Euros zusammengekratzt wurde, was im Haushalt zu finden war. Die notwendigen Einsparungen für das nächste Jahr werden dadurch noch schwieriger – eine ziemliche Hypothek für die Koalition.
Das sind die Senatorinnen und Senatoren der Berliner Regierung
Eine Riesenaufgabe für den neuen Senat war und ist die Migration. Bisher konnten alle Geflüchteten, die nach Berlin kamen und hierblieben, untergebracht werden. Aber: Nicht so, wie es eigentlich Standard sein sollte. Überfüllte Unterkünfte, Menschen wohnen monatelang in der Großunterkunft Tegel, wo sie eigentlich nur für wenige Tage bleiben sollten, Frust bei den Verantwortlichen vor Ort. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) machte bei Verhandlungen mit den Bezirken über neue Flächen für dezentrale Unterbringungs-Standorte keine überzeugende Figur, kam monatelang nicht voran. Bewegung brachte der neue Koordinator Albrecht Broemme.
Eins der Themen, über die im ersten Jahr Schwarz-Rot mit am meisten diskutiert wurde, war die Verkehrspolitik. Zwar hat CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner Autofahrer mehr im Blick als ihre grüne Vorgängerin, hat etwa die gesperrte Friedrichstraße wieder für Autos freigegeben. Die von Umweltverbänden befürchtete komplette "Verkehrswende rückwärts" ist allerdings ausgeblieben, zum Beispiel wurden 2023 letztlich genauso viele Kilometer Radweg gebaut wie im Jahr davor unter Rot-Grün-Rot.
Aber: Von dem versprochenen neuen "Miteinander statt Gegeneinander" im Verkehr ist wenig zu spüren. Und: Spricht es wirklich für die versprochene ideologiefreie Verkehrspolitik, wenn der Regierende Bürgermeister verkehrsberuhigte Kiezblocks öffentlich als "Mist" abtut?
Versprochen, gebrochen
Bei einem zentralen Versprechen stand Kai Wegner persönlich im Wort: Er hatte angekündigt, spätestens ab Jahresende 2023 solle niemand länger als 14 Tage auf einen Termin beim Bürgeramt warten. Im Frühjahr 2024 ist die Realität eine andere: Wer einen neuen Personalausweis oder Pass braucht, liest im Berliner Service Portal fast immer: "Leider sind aktuell keine Termine für ihre Auswahl verfügbar." Warum es trotz mehr Personal in den Bürgerämtern hakt, kann Wegner nicht plausibel erklären und er vermeidet es tunlichst, einen neuen Termin für das Erreichen des 14-Tage-Ziels zu nennen.
Fragezeichen bei elementaren Vorhaben
Zu einer funktionierenden Verwaltung gehört allerdings mehr als schnelle Bürgeramtstermine. Deshalb hat Schwarz-Rot eine große Verwaltungsreform versprochen, die für klare Zuständigkeiten sorgen und dem Behörden-Ping-Pong zwischen Land und Bezirken ein Ende setzen soll. Von der im Wahlkampf angekündigten schnellen Lösung ist Kai Wegner allerdings längst abgerückt.
Inzwischen heißt es, im Sommer 2025 könnte die Reform stehen. Dann wirft allerdings schon wieder der nächste Wahlkampf seine Schatten voraus. Kommt die Verwaltungsreform noch oder scheitert Schwarz-Rot wie andere Regierungen zuvor? Experten warnen: Ohne Reform wäre Berlin weiterhin "mit angezogener Handbremse" unterwegs.
Der bisher größte Flop der Koalition ist das geplatzte milliardenschwere Sondervermögen, mit dem der Senat den dringend notwendigen klimagerechten Umbau der Stadt finanzieren wollte. Weil diese Pläne nicht verfassungskonform waren, soll es jetzt stattdessen einen "Klimapakt" mit den landeseigenen Unternehmen geben. Diese sollen neue Kredite aufnehmen, um in Klimaschutz zu investieren. Ob das tatsächlich ein gangbarer Weg ist, muss sich erst noch zeigen. Es ist ein schlechtes Signal, dass bei einer der größten Zukunftsfragen Berlins solche Ungewissheit herrscht.
Ist Berlin konservativer geworden?
Vor einem Jahr warnten unter anderem Spitzenleute der Linken, Berlin drohe unter einer CDU-Regierung ein "soziales und gesellschaftliches Rollback", also konservativer Rückschritt statt Fortschritt.
Tatsächlich passiert ist: Ein bisschen mehr Law & Order mit dem verschärften Polizeigesetz und den Senats-Muskelspielen beim Görli-Zaun, ein bisschen mehr Elitismus beim Gymnasialzugang.
Ansonsten beweist der oberste CDU-ler Kai Wegner nicht nur mit gut gelaunten Besuchen bei schwulen Straßenfesten, dass er anders als CDU-Bundesparteichef Friedrich Merz kein konservativer Kulturkämpfer ist. Was sich ein Bürgermeister in einer liberalen Stadt wie Berlin auch gar nicht leisten könnte.
Umarmungsstrategie am Limit
Bisher fährt Kai Wegner gut mit seiner Methode, alle einzubeziehen und es möglichst allen recht zu machen. Selbst Kritiker loben, wie er zum Beispiel Grüne und Linke bei Themen wie der Verwaltungsreform einbindet – und die AfD überall außen vorlässt, da ist Wegner glasklar.
Die Frage ist, ob diese Methode an ihre Grenzen stößt, wenn es bald um schmerzhafte, strukturelle Einschnitte im Haushalt geht und wenn es bei der Verwaltungsreform hart auf hart kommt. Kann Wegner auch nein sagen und durchgreifen? Einen ersten Vorgeschmack, wie "Wegner in hart" aussehen könnte, lieferte die Debatte über neue Flächen für Geflüchteten-Unterkünfte, wo der Regierende Bürgermeister den Bezirken deutliche Ansagen machte.
Fazit
Im Sommer 2023 hatte Kai Wegner vor Wirtschaftsleuten angekündigt: "Machen ist wie wollen, nur krasser. Lassen Sie uns krass machen." Gemacht hat Schwarz-Rot im ersten Jahr einiges. Für das Etikett "krass gemacht" ist die Bilanz aber eindeutig zu dürftig.
Sendung: Radioeins, 27.04.2024, 07:40 Uhr