Bundesweiter Straftatbestand - Potsdam will bei Fahren ohne Fahrschein keine Anzeige mehr stellen - Berlin bleibt dabei
Wer in Potsdam ohne Fahrschein unterwegs ist, soll keine Anzeige mehr bekommen. Die Grünen würden das auch gerne für Berlin übernehmen, die Justizverwaltung hat sich aber bereits dagegen ausgesprochen. Sie verweist auf das 9-Euro-Ticket.
Wiederholtes Fahren ohne Fahrschein soll in Potsdam nicht mehr zur Strafanzeige gebracht werden. "Die Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH wird ab sofort auf eine Strafanzeige bei wiederholtem Fahren ohne Fahrschein verzichten", sagte ein Sprecher der Stadtwerke am Mittwoch.
Vorausgegangen war eine Entscheidung der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, in der der Oberbürgermeister dazu aufgefordert wurde, die Verkehrsbetriebe anzuweisen, zukünftig auf derartige Strafanzeigen zu verzichten.
Geahndet werden soll das Fahren ohne gültiges Ticket aber weiterhin: Auch künftig werde ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro fällig, so der Sprecher. Laut dem Verkehrsbetrieb waren ohnehin nur wenige Fälle von in Potsdam in der Vergangenheit zur Anzeige gebracht worden.
Berlin lehnt Potsdamer Vorgehen ab
Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz hat sich dagegen ausgesprochen, Fahren ohne Fahrschein im öffentlichen Nahverkehr künftig nicht mehr als Straftat zu bewerten. "Es würde eine falsche Signalwirkung entfalten, wenn diejenigen, die sich unsolidarisch verhalten, indem sie kein Ticket kaufen, künftig kaum Konsequenzen fürchten müssten", teilte die Justizverwaltung auf dpa-Anfrage mit.
"Neben der zu erwartenden deutlichen Zunahme von Fahrgästen ohne gültigen Fahrschein entstünde somit auch eine Gerechtigkeitslücke zwischen den zahlenden und nichtzahlenden Nutzern des Nahverkehrs", so die Verwaltung. Außerdem biete Berlin bereits ein 9-Euro-Sozialticket an, welches "den Personenkreis mit multiplen Problemlagen" in den Blick nehme.
Nach Angaben der Justizverwaltung wird eine Strafanzeige erst dann erstattet, wenn der betreffende Mensch dreimal innerhalb von zwölf Monaten ohne gültigen Fahrausweis angetroffen wurde. Bis 2023 galt dabei ein Zeitraum von 24 Monaten. "Nach Auskunft der BVG hat die Halbierung des Zeitraums die Zahl der Strafanzeigen erheblich gesenkt."
Grüne sehen Potsdam als Vorbild
Der Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Werner Graf forderte, Berlin solle dem Potsdamer Beispiel folgen. "Die Strafverfolgung beim Fahren ohne Fahrschein verschärft soziale Probleme und Ungleichheiten, da häufig sozial und gesellschaftlich benachteiligte Menschen betroffen sind." Diese soziale Ungleichheit setze sich bei der Strafvollstreckung fort, wenn die Betroffenen die Geldstrafen nicht bezahlen könnten und deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssten.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tino Schopf, sagte der dpa, die Entscheidung aus Brandenburg bringe neue Bewegung in die Debatte darüber, ob es noch zeitgemäß sei, das Erschleichen von Leistungen als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.
"Wer heute ohne gültigen Fahrschein erwischt wird, kann zur Zahlung eines sogenannten erhöhten Beförderungsentgelts verdonnert werden" sagte Schopf weiter. "Wer nicht zahlt, muss im Extremfall mit einer Ersatzfreiheitsstrafe rechnen."
Die Ampel-Koalition im Bund habe sich dafür ausgesprochen, das Strafrecht an der Stelle zu reformieren. "Das begrüße ich ausdrücklich und halte es für deutlich sinnvoller als lokal beziehungsweise kommunal begrenzte Einzellösungen."
"Erschleichen von Leistungen"
Hintergrund ist, dass das Fahren ohne Fahrschein oder "Erschleichen von Leistungen" in Deutschland generell als Straftat gilt und unter Bundesrecht fällt. Demnach droht hier eine Geldstrafe oder gar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Insofern können die Kommunen zwar die Strafanzeigen aussetzen, nicht aber den Straftatbestand selbst ändern. Auch in anderen Städten wollen die Verkehrsbetriebe künftig auf Anzeigen verzichten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.07.2024, 07:40 Uhr
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