Bisher 115.000 Vorbestellungen - 29-Euro-Ticket für Berlin bleibt nach Start des Vorverkaufs umstritten
Ab Juli können Fahrgäste für 29 Euro im Monat mit Bus und Bahn durch Berlin fahren. 115.000 Mal wurde das Berlin-Ticket bisher verkauft. Ein Erfolg, sagt Wirtschaftssenatorin Giffey. Das sehen nicht alle so.
Einen Monat vor der Einführung des 29-Euro-Tickets herrschen im Senat zwei sehr unterschiedliche Meinungen über den Verlauf des Vorverkaufs. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete das Ticket auf Instagram bereits als "Verkaufsschlager". Es seien 115.000 Tickets bestellt worden, der öffentliche Personennahverkehr habe mehr als 20.000 neue Kunden gewonnen. Damit hat sich der Anteil der Abo-Neukunden seit dem Vorverkaufsstart Ende April um fünf Prozentpunkte erhöht.
"Es geht darum, dass mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, das Auto stehen lassen und unser tolles BVG- und S-Bahn-Netz nutzen", so Giffey. Die Frage ist, ob das in nennenswertem Umfang passieren wird.
Senat verhandelt über neue Einsparungen
Tatsächlich war der Berliner Senat bei der Erstellung des Haushalts davon ausgegangen, dass im ersten Jahr 650.000 Berlin-Abos verkauft werden. Das Land bezuschusst jedes Ticket mit 37,40 Euro pro Monat. Für das Jahr 2024 wurden deshalb 150 Millionen, für 2025 300 Millionen Euro bereitgestellt. Die tatsächlichen Kosten für das Land belaufen sich einen Monat vor der Einführung des Tickets auf rund 25 Millionen Euro.
Im kommenden Jahr müssen im Landeshaushalt mindestens zwei Milliarden Euro eingespart werden. Am Mittwoch legte der Senat eine Streichliste für kleinere Posten vor. Es stehen aber auch besonders große Ausgabeposten auf dem Prüfstand, wie es am Dienstag aus Kreisen der schwarz-roten Koalition hieß. Die Senatsverwaltungen sollen in den kommenden Monaten Vorschläge erarbeiten, wie sie bis zu zehn Prozent ihres Etats einsparen können. Auf Basis dieser Vorschläge will die Koalition dann verhandeln, welche Einsparungen am Ende tatsächlich umgesetzt werden. Das 29-Euro-Ticket dürfte dann in jedem Fall zur Verhandlungsmasse gehören.
Der verkehrspolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Johannes Kraft, sagte dem "Tagesspiegel" bereits Mitte Mai, beim 29-Euro-Ticket stünden Aufwand und Nutzen "in keinem Verhältnis", insbesondere angesichts der schwierigen Finanzlage des Landes Berlin.
Verkehrsforscher: 29-Euro-Ticket "nicht sehr intelligent"
Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bezeichnete das 29-Euro-Ticket am Mittwoch im Gespräch mit rbb|24 als wenig zielführend. "115.000 Vorbestellungen sind nicht viel und die Zahl bewegt sich in dem Bereich, mit dem ich vorher gerechnet hatte. Das Ticket ist auch nicht sehr intelligent, weil es für Fahrten im gesamten Bundesgebiet schon das Deutschlandticket für 49 Euro gibt."
Das Berlin-Abo gilt nur im Bereich Berlin AB, weil die Brandenburger Landesregierung eine Beteiligung ablehnte. Pendlern zwischen Berlin und Brandenburg bietet das Ticket derzeit deshalb keinen großen Vorteil. "Das Berlin-Ticket beabsichtigt eine Lücke zu schließen, die gar nicht da ist", sagt Verkehrsforscher Knie. "Jubelstürme gibt es vor allem von Menschen, die ohnehin schon immer Berliner Monatstickets hatten."
Auch für viele Autofahrer reiche der Preisvorteil des Tickets nicht als Anreiz, um auf Bus und Bahn umzusteigen. "Wir haben berechnet, dass es für einen spürbaren Effekt ein bundesweites Ticket für 29 Euro geben müsste."
Die Berliner SPD hatte das Ticket vor der Wahl auch damit begründet, bedürftigen und älteren Menschen größere Mobilität ermöglichen zu wollen. Ob diese Gruppe wirklich erreicht werde, sei fraglich, sagt Verkehrsforscher Knie. Bedürftige können sich für den Bereich Berlin AB schon jetzt ein Sozialticket für 9 Euro kaufen. "Sinnvoll wäre es aus meiner Sicht gewesen, das Sozialticket auf den Bereich Berlin ABC auszuweiten. Darüber hinaus ist das Deutschlandticket eigentlich ausreichend."
Wahlversprechen der Berliner SPD
Das Berlin-Ticket ist ein Abo für den Berliner Nahverkehr. Inhaberinnen und Inhaber können damit für 29 Euro pro Monat beliebig oft die Busse und Bahnen der Berliner S-Bahn und der Berliner Verkehrsbetriebe im Tarifbereich AB nutzen. Fahrräder und Mitfahrer können damit aber nicht mitgenommen werden. Lediglich Kinder bis 6 Jahre sowie ein Hund pro Fahrgast fahren kostenlos mit, wie die BVG auf ihrer Internetseite [bvg.de] veranschaulicht.
Für Fahrten ins Umland oder etwa zum Flughafen Berlin-Brandenburg brauchen Reisende also ein Zusatzticket. Das "Berlin-Abo" hat eine Mindestlaufzeit von zwölf Monaten. Das 49-Euro-Ticket (Deutschlandticket) hingegen gilt für den gesamten ÖPNV im Bundesgebiet und ist monatlich kündbar.
Das 29-Euro-Abo war ein Wahlversprechen der Berliner SPD und hatte bundesweit Kritik ausgelöst. Die Verkehrsbranche fürchtet unter anderem, dass das 29-Euro-Abo in Berlin dem bundesweit gültigen Deutschland-Abo für den Nah- und Regionalverkehr Konkurrenz macht. Kritiker, unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), sähen das Geld zudem lieber in die Infrastruktur oder das Angebot im Berliner Nahverkehr investiert.
Das Bundesverkehrsministerium nannte das Ticket ein "regionales Konkurrenzprodukt", das das Ziel des im vergangenen Jahr eingeführten Deutschlandtickets für 49 Euro, "komplexe Tarifsysteme radikal zu vereinfachen und Strukturen in den Verkehrsbünden zu verschlanken" konterkariere.
Sendung: rbb24 Abendschau, 05.06.2024, 19:30 Uhr