Interview | Heimleiter Seniorenresidenz - "Wir sehen uns gezwungen, keine Sozialhilfeempfänger einziehen zu lassen"

Mo 28.10.24 | 06:12 Uhr
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Symbolbild: Drei Heimbewohnerinnen vor einem Pflegeheim am 27.06.2023. (Quelle: dpa/Oliver Berg)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.10.2024 | Jenny Barke | Bild: dpa/Oliver Berg

Wegen steigender Kosten melden einige Pflegeheime in Berlin Insolvenz an. Andere heben die Preise an, wie die Seniorenresidenz von Matthias Küßner. Er muss noch einen drastischeren Schritt gehen, sagt er im Interview.

Deutschlandweit steigen die Zuzahlungen für Pflege in Heimen. Waren es 2017 noch rund 1.750 Euro, sind es mittlerweile weit mehr als 3.000 Euro. Grund sind laut Heimbetreibern steigende Löhne, teurere Lebensmittelpreise und Anschaffungen durch die Inflation sowie steigende Kosten für Instandsetzungen und Investitionen.

Auch in Berlin müssen viele Heime die Preise erhöhen. Im Seniorenheim Bölschestraße in Friedrichshagen sind es ab kommenden Jahr 400 Euro - im Schnitt erhöhen die Heime um bis zu 1.000 Euro. Der Heimleiter Matthias Küßner erklärt im Interview, was das im Alltag der Bewohner für Folgen hat - und was sich aus seiner Sicht an dem System ändern müsste.

rbb|24: Herr Küßner, warum steigen die monatlichen Kosten für die Pflege in Ihrer Einrichtung um 400 Euro?

Matthias Küßner: Da spielen viele Aspekte eine Rolle. Die Inflation ist gestiegen, die Lebensmittelpreise sind für uns ein wichtiger Posten in den vergangenen Monaten geworden. Hinzu kommen die gestiegenen Kosten für die Instandhaltungen, alle Firmen haben die Preise angezogen.

Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir bereits um 500 Euro erhöht, wegen der Einführung des sogenannten Tariftreuegesetzes. Dadurch haben unsere Mitarbeiter in der Pflege eine anständige Lohnerhöhung bekommen. Das gab allerdings auch sofort Probleme im Haus. Denn alle, die nicht pflegen, von mir angefangen, über Verwaltung, Sozialdienste, Reinigung und Küche haben nichts bekommen. Die meisten von denen laufen auf Mindestlohn.

Wenn die auch irgendwann mit in die Tariftreue reinfallen, wird das noch ein weiterer großer Batzen, den die Bewohner aufbringen müssen.

Zur Person

Matthias Küßner in seinem Büro.(Quelle:rbb)
rbb

Heimleiter - Matthias Küßner

Matthias Küßner leitet seit acht Jahren die ProCurand-Seniorenresidenz Bölschestraße in Berlin-Friedrichshagen. In der stationären Pflegeeinrichtung leben etwas mehr als 100 Bewohner und Bewohnerinnen. ProCurand ist ein privater Träger.

Von den öffentlichen Pflegekassen bekommen Sie trotz der gestiegenen Kosten nicht mehr Geld?

Nein. Es gibt eine ganz klare Summe, die wir pro Pflegegrad bekommen. Diese Summe ist weder im vergangenen Jahr gestiegen, noch soll sie meines Wissens im nächsten Jahr steigen. Die extrem steigenden Kosten bekommen wir also nicht erstattet.

Und man darf auch mal sagen: Wir müssen noch ganz viel Geld von der Corona-Zeit zurückbezahlen. Der Senat hat uns damals Tests und Masken zur Verfügung gestellt. Anderthalb Jahre später haben wir eine Rechnung von 9.000 Euro erhalten. Das Geld muss irgendwo herkommen. Wir sehen ganz viele Pflegeheime, die jetzt Probleme bekommen. Wir müssen jetzt bei jeder Anschaffung und Instandsetzung ganz genau überlegen.

An welcher Stelle können und müssen Sie sparen?

Bereits abgeschafft haben wir die Wasserflaschen, früher hatten wir Wasserkästen. Jetzt regeln wir das über die Trinkwasserleitung, mit einem Sprudelautomaten.

Wir bieten unseren Bewohnern dieses Jahr eine Lichterfahrt mit einem Busunternehmen in Berlin an. Ob wir uns das nächstes Jahr erlauben können, ist die große Frage. Außerdem sind wir eine Einrichtung, und darauf bin ich sehr stolz, die immer noch frisch kocht. Ob wir das bei den Preissteigerungen lange durchhalten, kann ich auch nicht garantieren.

Wie geht es Ihren Bewohnern mit der Situation?

Das ist schon heftig. Einige werden jetzt zusätzlich abhängig von der Sozialhilfe, weil sie den Eigenanteil für das Pflegeheim nicht mehr zahlen können. Unsere Bewohner haben ihr ganzes Leben gearbeitet, manche länger als 45 Jahre, auch in hohen Jobs, die haben nicht schlecht verdient. Jetzt müssen sie zum Sozialamt.

Wir haben inzwischen einen Bewohner, das ist mir gestern erst bekannt geworden, bei dem die Kinder überlegen, den alten Herrn hier rauszunehmen, weil die Sozialhilfebeantragung zu lange dauert und die einfach die finanziellen Mittel nicht haben, um das jetzt zu überbrücken.

Die Kinder eines Bewohners überlegen, den alten Herrn hier aus dem Heim zu nehmen, weil die Sozialhilfebeantragung zu lange dauert und sie nicht die finanziellen Mittel haben.

Heimleiter Matthias Küßner

Wie viele Bewohner:innen bekommen inzwischen bei Ihnen Sozialhilfe?

Insgesamt haben wir 106 Bewohner. 14 Prozent davon bekommen nun Sozialhilfe, seitdem die Preise erhöht wurden. Eingezogen sind sie noch als Selbstzahler. Aber diese 14 Prozent sind bei uns im Verhältnis wenige. Das hat auch damit zu tun, dass wir keine Sozialhilfeempfänger einziehen lassen. Das ist ganz schlimm, menschlich ist das ein Wahnsinn, was wir da machen.

Aber das Sozialamt zahlt an uns pro Bewohner und Tag 4,50 Euro weniger als Selbstzahler. Und wenn man das aufrechnet, dann ist das eine immense Summe, die ich mir einfach nicht erlauben kann. Hinzu kommt, dass bei uns 15 Menschen auf der Warteliste stehen. In Berlin gibt es einfach viel zu wenig Pflegeplätze.

Wir haben auch absurde Fälle erlebt, dass Menschen so viel Rente bekommen, dass sie nicht mehr in die Sozialhilfe fallen. Aber die Rente reicht nicht, um diese 4,50 Euro pro Tag extra zu zahlen. Das heißt, für uns wären sie wieder Sozialhilfeempfänger. Das Sozialamt sagt nein und wir als Betreiber bleiben auf dem Geld sitzen.

Was bedeutet das für den Alltag der Pflegebedürftigen?

Erst einmal ist es eine ganz lange Odyssee, Sozialhilfe zu beantragen. Solange der Antrag nicht durch ist, bleiben wir im Minus. Im Moment schuldet uns das Sozialamt noch 35.000 Euro von den letzten Monaten. Das müssen wir erst einmal als Firma selbst aufbringen.

Für die Bewohner heißt Sozialhilfe, dass sie nur ein kleines Taschengeld haben, von bis zu 150 Euro. Von diesem Geld müssen sie den Friseur bezahlen, die Fußpflege, oder auch mal die Vitaminchen, die sie schon ihr ganzes Leben nehmen, sowie eigene Kosmetik. Das heißt, der Enkel, der eigentlich ein Geschenk zu Weihnachten haben könnte, geht oft leer aus, weil das Geld nicht da ist.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?

Ich denke, wir brauchen ganz dringend eine Reform. Erst einmal verstehe ich überhaupt nicht, warum wir den Bewohnern einen so hohen Betrag abnehmen müssen. Zum Beispiel: Unsere Bewohner bezahlten täglich 6,60 Euro für einen Ausbildungsfonds. Egal, ob ich Auszubildende habe. Das wäre in keiner anderen Firma so.

Und die Pflege, so wie sie jetzt läuft, ist nicht mehr finanzierbar. Hier muss ganz deutlich Steuergeld mitbenutzt werden, denn die Leute können es sich nicht mehr leisten. Dabei reden wir von einer Generation, die noch eine gute Rente bekommt. Wir alle, auch ich, werden das nicht mehr bezahlen können. Und dann brauchen alle Sozialhilfe, dann bezahlt der Staat ja auch. Das ist wie so ein Ball, den können wir immer weiter rollen, es kommt doch kein Ende. Es muss reformiert werden. Punkt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Jenny Barke und Anja Herr.

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.10.2024, 19:30 Uhr

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107 Kommentare

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  1. 106.

    Das ist zu teuer...
    Es gibt aber einen Vorteil: Man erkennt leicht, aus welcher politischen Richtung das kommt und was einem blühen könnte...

  2. 105.

    @Würde.... oder, auch live gesehen, Senior wird stundenlang auf dem Klo sitzengelassen. Der klammert sich an einen Griff und schreit, weil er alleine da nicht weg kann und Angst hat, runterzukippen.

  3. 103.

    Meiner (ich wette, es ist derselbe) leider (noch) nicht...

    Der rbb sollte endlich mal die Nicknamen mit den Mailadressen verknüpfen, damit sowas nicht mehr möglich ist.

  4. 102.

    Viele der heutigen Rentner, egal ob aus den alten BL o. den neuen BL, haben Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg unter Entbehrungen wieder aufgebaut. Sie machten Deutschland zum G7-Staat.
    Aber Alt- + Krankwerden darf einem nicht in Deutschland passieren. Schon gar nicht pflegebedürftig werden oder gebrechlich sein.
    Das APH ist bereits für den normalen Rentner unbezahlbar.
    Da nützt auch eine private Altersvorsorge, wie Immobilien nichts mehr. Lt. Gesetz muss Privatvermögen verwertet werden

  5. 101.

    Was passiert mit den Abgelehnten? Was, wenn man Pflege BRAUCHT, aber "kein Platz in der Herberge" (Wie es in de rWeihnachtsgeschichte so schön heißt...) ist? Man vegetiert im eigenen Kot zu Hause? Oder wie?

  6. 100.

    Sie haben die Manipulation der Diskussion nicht erkannt?

    P.S. Vielen Dank an die Redaktion, das der Nickdieb gelöscht wurde... Die Debattenkultur ist wichtig.

  7. 99.

    So einfach ist das mit den Auszubildenen in der Pflege nicht.
    Es reicht hier nicht eine Fachkraft zu sein um ausbilden zu dürfen sondern, auch hier ist eine Zusatzqualifikation nötig.
    Und oft ist es das wenn man jemand diese Zusatzqualifikation ermöglicht, beginnt der Wettkampf untereinander. Abwerben von Pflegekräften durch andere Einrichtungen.
    Und ein Blick in die Richtung von Leasingfirmrn zeigt deutlich welche Kosten teilweise Pflegeinrichtungen zahlen müssen, um Personalengpässe tragen müssen.

  8. 98.

    Doch, Ihre Bemerkung ist sehr zynisch. Möchten Sie denn eines Tages nur noch mit Quarkstulle verköstigt werden? Außerdem zeugt das von viel Unwissen. Das größte Problem ist im Alter nämlich die Mangelernährung. Und gerade, weil besonders Hochbetagte eine verlangsamte Verdauung haben und nur ein geringes Nahrungsvolumen bewältigen können, muss ihr Essen ausgewogen sein und eine hohe Nährstoffdichte aufweisen. Gut ausgebildete und entsprechend geschulte Köche bekommen das auch bei der Gemeinschaftsverpflegung hin. Natürlich hat alles seinen Preis. Aber diese Köche wissen auch, dass man dann eben nicht sklavisch den vorgeschriebenen Portionsgrößen folgt. Da gibt es dann mal statt 125 g Billigfisch 80 g hochwertigere Ware, gleicht die Portion mit preisgünstigem Gemüse aus und kommt insgesamt billiger weg. Man kann sehr viel Geld sparen, wenn man dafür sorgt, dass möglichst wenig Essen entsorgt wird und trotzdem alle gesund und sattmachend ernährt werden.

  9. 97.

    Vielen Dank. Sie beschreiben den Horror, der seit Jahren beschrieben wird. Die Konsequenz, die sich strafrechtlich ergeben müsste, findet niemals statt. Ein bekanntes Verbrechen, dass weiter unter staatlicher Obhut betrieben wird. Und dann wird hier in den Kommentaren auch noch das Recht auf Suizid aus Geldmangel heraus diskutiert. Für mich lässt das unter solchen Bedingungen nur noch den Schluss zu, dass das Grundgesetz zur Makulatur verkommen ist.

  10. 96.
    Antwort auf [Blick Winkel] vom 28.10.2024 um 19:12

    Nö, die Meinung hatte ich schon, solange darüber gesprochen wird. Aber anscheinend sind wir die beiden einzigen, die das Wort Bedingungslos verstanden haben.

  11. 95.

    Das ist furchtbar! Man könnte fast, statt von ,,Insassen'' von Häftlingen sprechen, bei den Zuständen! Der Fisch stinkt vom Kopf her!

  12. 94.

    Im Gegensatz zu Ihnen, habe ich Zivildienst in einem geleistet, und die Bedingunen waren Katastrophal! Warum sie die hohen Kosten mit 1-3 stinkenden Extraräumen begründen wollen, die gar nicht von allen genutzt werden können, erschliesst sich mir nicht!

    Bezüglich der Stromkosten: Pflegefälle haben i.d.R Beleuchtung und manchmal auch einen TV… (Cpmputer, 1000W-Heimkino, Kühlschrank, Waschmaschiene, Mikrowelle, Toaster, Friteuse, etc haben die wenigsten. Auch Durchlauferhitzer dürften eher selten sein, und täglich gebadet oder geduscht werden auch die wenigsten! Meist kommt eine Schüssel mit Warmwasser zum Einsatz!

    Da sowohl die Wäsche, als auch das Essen nicht individuell zubereitet werden, sollte der Stromverbrauch pro Kopf vergleichsweise gering sein! Das mag in einem Luxuspflegeheim, mit Reinraumatmosphäre, 100% Tageslichtlampen, Sauna und Whirpool anders sein, aber davon kenne ich keines!

  13. 93.
    Antwort auf [Blick Winkel] vom 28.10.2024 um 18:08

    So sehe ich das auch. Ich will aber noch ein bisschen Provozieren. Stellt man das Wort "Bedingungslos "in den Mittelpunkt, würde es ja bedeuten, dass jeder Bürger oder Einwohner, vom Neugeborenen bis zum Greiß, ob arm oder Milliardär das BGE erhalten würde.

  14. 92.

    Ab Pflegegrad 3 ist jeder Normalrentner ein Sozialfall. Die Pflegekasse ist nur eine Entlastung für die Erben von reichen Leuten und bietet faktisch keinen Versicherungsschutz. Die Beiträge, die man in die Pflegekasse zahlt sind so gesehen faktisch Steuern.

  15. 90.

    Danke für die Antwort, ich hätte aber doch gerne gewusst wieviel BGE ich zu meiner Rente dazu bekommen würde.

  16. 89.

    „Wen interessiert schon ihre rechtsbraune Gesinnung“
    Und damit sind Sie raus. Ganz raus...

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