Interview | Freie Kita-Plätze in Berlin - "Dass es jetzt weniger Kita-Kinder gibt, verändert nicht das System"

Mo 07.10.24 | 16:17 Uhr
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Symbolbild: Blick in die Kita Biberburg in Berlin-Gatow am 28.08.2023. (Quelle: Picture Alliance/Jens Kalaene)
Bild: Picture Alliance/Jens Kalaene

In einigen Teilen Berlins suchen Kitas inzwischen nach Kindern und inserieren freie Plätze. Jahrelang war das andersherum. Am Kita-Problem der Stadt ändert das trotzdem nicht viel. Denn kommen weniger Kinder, wird der Personalschlüssel gesenkt.

rbb|24: Hallo Herr Borgmann, die Geburtenraten sinken, die Berliner ziehen weniger um – daher brauchen in Teilen der Stadt weniger Kinder Kita-Plätze. Ist das für Sie spürbar?

André Borgmann: Wir merken das. Aber nicht überall. Um mal ein Gebiet in Pankow herauszugreifen: Karow beispielsweise ist für uns ein Kita-Platz-gesättigtes Gebiet. Hier haben wir schon vor zwei, drei Jahren gemerkt, dass es schwieriger wird. Da wurden die Wartelisten erst kürzer - bis es irgendwann gar keine mehr gab. Inzwischen ist es so, dass wir freie Plätze dort streckenweise nicht belegen können. Doch es gibt auch Gebiete, wo der Trend fast gegenläufig ist. Im Wedding zum Beispiel werden durchaus noch sehr viele Kita-Plätze benötigt – und wir können den Bedarf gar nicht decken.

Zur Person

Logo Pfefferwerk (Quelle: Pfefferwerk)
Pfefferwerk

Pfefferwerk - André Borgmann

ist Abteiltungsleiter für die insgesamt 18 Kindertagesstätten, die die Pfefferwerk Stadtkultur gGmbH in Berlin betreibt und selbst Vater.

Wie begegnen Sie dieser Situation? Da Sie ein Träger mit mehreren Kitas sind, könnten Sie ja Personal von der einen in die andere wechseln.

Wir sind kein Freund davon, Menschen innerhalb der Stadt zu versetzen. Wir haben zwar auf dem Papier Einrichtungen, die eine sehr gute Personalausstattung haben und einige andere, wo noch Luft nach oben wäre. Setzt man Personal um, nimmt man jemanden aus einem Teamgefüge und auch aus den Beziehungen zu den Kindern und den Eltern. Jeder Sozialraum funktioniert ein wenig anders und mitunter haben sich die Mitarbeiter die Kitas sehr bewusst ausgesucht.

Wir tun das trotzdem – aber auf Basis einer totalen Freiwilligkeit. Wir kommunizieren als Träger, wenn es eine Kita mit Personalbedarf gibt und fragen, ob es Mitarbeitende aus anderen Kitas, die – wenn es dort möglich ist – sich für einen gewissen Zeitraum vorstellen können, dort zu arbeiten.

Da wo nicht mehr so viele Kinder angemeldet sind, aber noch so viele Erzieher und Erzieherinnen wie zuvor, könnte ja auch Raum dafür entstehen, endlich das zu tun, was man immer schon tun wollte: mehr frühkindliche Bildung, Sprachförderung und Kinder in Einzelbetreuung fördern?

Teilweise ist das möglich. Wenn wir in einer Einrichtung dann – und das ist jetzt in manchen eher möglich - eine volle Personalausstattung haben, dann hat das vor Ort einen Effekt.

Doch wir haben mehrheitlich von Seiten des Personals die Anfrage nach Teilzeitarbeit. Unsere Teams werden also mit der gleichen Personalausstattung an Stunden pro Woche größer. Das wiederum erfordert mehr Kommunikation und mehr Absprache. Es ist dann auch für die Leitung der Kita ein größeres Team, mit dem man den versucht, den pädagogischen Standard zu halten.

Außerdem arbeiten wir in Berlin, das ist nicht neu, inklusiv. Wir haben also einen hohen Anteil an Diversität in den Kitas. Nicht nur, was die Herkunft angeht, sondern es geht auch um den sozialen Status und auch, ob Kinder mit Behinderungen in einer Einrichtung betreut werden. Das setzt den Anspruch in Sachen Pädagogik sehr hoch.

Das heißt, ja, wir merken eine winzige Entspannung. Die hebt sich aber durch andere Faktoren wieder auf. Gemeint sind auch die hohen Krankenstände, die wir seit Corona verzeichnen. Wirkliche Entspannung würden wir erst verspüren, wenn sich das Land Berlin noch einmal mit der grundsätzlichen Berechnung des Personal-Kind-Schlüssels beschäftigt.

Der Effekt, dass es jetzt weniger Kinder gibt, ist also vielleicht gut für Einrichtungen, in denen das Personal immer knapp war, aber fürs ganze System ist das jetzt nicht die große Veränderung.

Wie ist das in den Kitas, in denen es zu wenige Anmeldungen gibt. Nehmen Sie da jetzt auch Kinder aus anderen Berliner Bezirken oder Brandenburg auf?

Aus anderen Bezirken, ja. Aus dem Land Brandenburg eher nicht. Das liegt auch an den verschiedenen Finanzierungsarten.

Der Effekt, dass es jetzt weniger Kinder gibt, ist also vielleicht gut für Einrichtungen, in denen das Personal immer knapp war, aber fürs ganze System ist das nicht die große Veränderung.

André Borgmann, Pfefferwerk Stadtkultur

Für Sie als Träger hat sich also gar nicht so viel verändert. Für die Eltern von Kita-Kindern ist es aber vielleicht jetzt schon anders. Haben die jetzt in den entsprechenden Gegenden Wunsch- und Wahlfreiheit?

Ja. Und das freut auch uns. Denn die Wunsch- und Wahlfreiheit, die viele Jahre faktisch überhaupt nicht gegeben war, hat ja dazu geführt, dass Eltern weder den Weg zur Kita noch das Konzept einer Einrichtung wählen konnten. Wir erhoffen uns jetzt, dass wenn Eltern unsere Einrichtungen gezielt auswählen, dass die Zusammenarbeit vor Ort qualitativ stärkt. Denn so ist die Identifikation mit den Einrichtungen und den Konzepten vor Ort sicherlich noch höher.

Denn es handelt sich nicht mehr länger um eine Art B-Wahl – bei der man das Kind in der Einrichtung betreuen ließ, die als erste gesagt hat, dass sie es nehmen. Dann haben Eltern künftig auch die Gelegenheit, die Kita zu wechseln, wenn es innerhalb des Kita-Verlaufs zu Unzufriedenheit kommt.

Bleiben Plätze frei, fehlen dort aber Einnahmen. Müssen Einrichtungen oder ganze Träger jetzt um Ihre Existenz fürchten?

Ja. Vor allem, wenn eine Einrichtung Gewerbemieten zu zahlen hat. Diese Mieten sind in den letzten Jahren stark angestiegen und können jederzeit wieder einen hohen und schnellen Sprung machen. Bei diesen Kitas kann es knapp werden. Denn da geht es ja um fixe Kosten, die man nicht senken kann, wenn man weniger Einnahmen hat. Auch – je nach Größe der Einrichtung – Kosten für Gas, Wasser und Strom bleiben ja. Wenn dort, wo die Fixkosten hoch sind, die Auslastung zu gering ist, werden Einrichtungen bangen müssen.

Müssen Erzieher und Erzieherinnen, die in den vergangenen Jahren ja fast wie Goldstaub gehandelt wurden, auch um ihre Jobs fürchten?

Stand heute: Nein. Es wird vermutlich eher andere Effekte geben. Sollten Träger spüren, dass es ausreichend Fachpersonal gibt, werden vielleicht die Ausbildungszahlen in der berufsbegleitenden Ausbildung zurückgehen. Eventuell wird es auch schwieriger für Quereinsteiger. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Erzieher in den nächsten Jahren ihren Job verlieren.

Es sind jetzt also gar keine so schlechten Aussichten?

Ich würde gern noch einmal betonen, dass die Entwicklung, dass es weniger Kinder gibt, nicht zu verwechseln sind mit einem verbesserten Personal-Kind-Schlüssel. Diesen Anspruch wird es weiter geben. Egal, ob eine Kita eine Vollauslastung mit Kindern hat oder nicht – das Personal wird am Ende immer an den Schlüssel angepasst. Und in diesem Schlüssel sind keinerlei Fehlzeiten von Personal – weder Urlaub, noch Schwangerschaft, noch Krankheit – berücksichtigt. Der Berliner Schlüssel besteht nur auf dem Papier. Es gibt keinen Tag in der Kita, in der er faktisch wirklich so ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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6 Kommentare

  1. 6.

    Meines Wissens nach, hat sogar die Höhe des Kindergelds, die Einführung von Elterngeld, etc Einfluss auf die Geburtenrate!

    Es geht nicht nur um den Klotz am Bein, sondern auch darum, das man für diesen eine größere Wohnung braucht, diese mit Kind schwerer zu bekommen ist, Kita-Nähe, Schulnähe, und Kostenfaktoren. (Schließlich kann man sich bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen immer eine Nanny leisten, wenn man eine Braucht!)

    Auch die Berufswelt hat sich verändert, und wird dies noch weiter tun, sodaß man nicht mehr 45 Jahre im gleichen Betrieb ist, und für viel weniger Menschen ist Haus oder Eigentumswohnung möglich. Ein großen leeres Haus mit Garten füllt sich wahrscheinlich viel Schneller mit Nachwuchs, als ein Wohnklo ohne Aussicht!

  2. 5.

    So mies finde ich die Löhne nicht, wenn ich mir die TVöD Tabelle, mittleres Alter, anschaue. Mit Erfahrungswert 2.600 Euro?
    Beim Personalschlüssel stimme ich zu. Gibt es auf dem Stellenmarkt Personal, welches man einstellenkönnte, wenn der Schlüssel geändert würde?

  3. 4.

    Ich glaube, die wenigsten Leute, die sich gegen eigene Kinder entscheiden, machen sich Gedanken um die Zeit in 18 Jahren, sondern haben einfach keine Lust, ihr jetziges Leben einzuschränken. Ich hatte in der Bekanntschaft etliche solcher Leute. Mit Mitte 40 fing dann der Katzenjammer an. Während einige Männer mit wesentlich jüngeren Frauen noch Familien gründeten, war für Frauen in dem Alter der Zug abgefahren. Jedenfalls ist die Ausrede absurd, gewollte Kinderlosigkeit mit schlechten Aussichten für die Zukunft zu begründen. Hätten das unsere Vorfahren auch gemacht, würde es uns alle nicht geben.

  4. 3.

    Es gibt nicht nur einen Mangel am Personal, sondern auch Platzmangel. Die Umkleiden werden auch jedes Jahr voller.
    Viren und Bakterien haben nicht mal die Möglichkeitndie KIta zu verlassen bei so vielen Kindern

  5. 2.

    Das Problem liegt beim personalschlüssel und der miesen Bezahlung.

  6. 1.

    Ich glaube das zumindest ein Teil der Bürger, deshalb keine Kinder machen, weil es für diese in 18 Jahren keinen Wohnraum gibt!

    Dazu kommt ein schlechtes Bildungssystem, Lehrermangel, Umweltprobleme, vlt ein neues Deutsches Reich, und ein potentieller Atomkrieg…

    Die Vergangenheit hat ja auch gezeigt, das es nicht ausreicht, ein Kind via Geburtsurkunde anzumelden, weil ein paar Jahre später, der Staat völlig überrascht davon ist, das dieser Mensch dann Kita, Schule, und später Wohnraum, Ausbildungsplatz und Job braucht!

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