Nach der 1:2-Niederlage in Stuttgart - Hertha ist in der Realität angekommen

Mi 09.11.22 | 10:49 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Herthas Stürmer Marco Richter stolpert in Stuttgart(Bild: imago images/Pressefoto Baumann)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.11.2022 | Michael Bollenbacher | Bild: imago images/Pressefoto Baumann

Durch den Last-Minute-Gegentreffer in Stuttgart hat Hertha BSC das dritte Spiel in Folge verloren - und ist damit einmal mehr offiziell im Abstiegskampf. Die vielen knappen Spiele lassen vor allem einen Schluss zu: Es fehlt an Qualität. Von Marc Schwitzky

Es sollte doch alles anders werden. Als Wilfried Kanga nach seinem späten Siegtor gegen den FC Schalke 04 in die Ostkurve rannte und sich von einem blau-weißen Meer feiern ließ, als das gesamte Olympiastadion vor plötzlicher Ekstase explodierte – am Abend des 23. Oktobers war der Glaube daran, dass Hertha BSC endlich eine sorgenfreiere Saison spielen könnte, kurzzeitig zu greifen. "So ein Sieg kann einen Schub geben", sagte Suat Serdar nach dem so wichtigen 2:1-Erfolg am 11. Spieltag.

Nur 16 Tage später sieht die Gefühlswelt bei der "Alten Dame" deutlich anders aus. Am vergangenen Dienstagabend haben die Berliner eine schmerzhafte 1:2-Niederlage bei Tabellenkonkurrent Stuttgart hinnehmen müssen. Wieder kassierten die Berliner den Gegentreffer denkbar spät. Wieder musste Hertha einem Rückstand hinterherlaufen. Wieder ließen die Blau-Weißen zahlreiche Kontergelegenheiten und Torchancen sträflich ungenutzt.

Nach 14 Spieltagen und gerade einmal elf Punkten muss festgehalten werden: Wenn so oft die entscheidenden Prozentpunkte fehlen, dann ist nicht Pech, sondern fehlende Qualität das Problem.

Herthas Probleme zeigen sich früh

Gegen den VfB Stuttgart wird eines von Herthas großen Problemen bereits innerhalb der ersten Sekunden der Partie offensichtlich – das Ausspielen von Umschaltmomenten. Die Schwaben ließen den Ball direkt nach Anpfiff und exakt zwei Pässen in Herthas Besitz übergehen. Dodi Lukebakio schnappte sich das Spielgerät, stürmte bis zum Strafraum, nur um dann den entscheidenden Pass auf Suat Serdar, der frei vor dem Tor gestanden hätte, nicht durchzubringen. "Schon mit der ersten Aktion hätten wir in Führung gehen können", stellte Trainer Sandro Schwarz nach Abpfiff fest. Wohl kaum ein Team in der Bundesliga bringt sich so oft in aussichtsreiche Kontersituationen wie Hertha, doch auch kaum ein Team spielt diese dann so haarsträubend ungenau aus.

Die Quittung kam sogleich. In der 3. Minute kassierten die Berliner den 0:1-Rückstand. Wie in der gesamten ersten Halbzeit sollte auch in dieser Szene das erneut von Schwarz aufgestellte 4-4-2-System im Pressing nicht greifen, so dass sich der VfB schnell ins Mittelfeld kombinierte. Einmal im von Hertha verwaisten Zentrum angekommen, spielte Tiago Tomas den perfekten Pass auf Serhou Guirassy, der eiskalt einnetzte. Herthas nächstes Defizit offenbarte sich: Bereits zum zehnten Mal in der laufenden Saison mussten die Hauptstädter einem Rückstand hinterher laufen – nur Tabellenschlusslicht Schalke musste das öfter.

Die Abhängigkeit von Dodi Lukebakio

Auch nach dem Treffer zum 1:0 blieb der Gastgeber das bessere Team. Es wurde offensichtlich, dass das von Schwarz gewählte 4-4-2 gegen den VfB nicht das richtige Mittel war. Herthas vorderste Pressing-Linie wurde von den Schwaben regelmäßig überspielt, die Berliner fanden keinen Zugriff auf den Gegner. So musste Herthas Viererkette Angriff um Angriff verteidigen. Dies hatte zur Folge, dass im eigenen Ballbesitz gänzlich die Ruhe für einen geordneten Spielaufbau fehlte. Innerhalb von Sekunden verlor Hertha Ball um Ball, so dass keine Entlastung möglich war und Stuttgarts Druck weiter bestehen konnte. Es wäre dringend nötig gewesen, das Spiel phasenweise zur Ruhe kommen zu lassen. Hier liegt jedoch das nächste Defizit der alten Dame – die Passquote. Nur drei Teams in der Liga haben ein noch unsaubereres Passspiel als die Berliner – das zeigt sich sowohl im Spielaufbau, als auch im letzten Angriffsdrittel.

Doch bereits in den vergangenen Jahren waren das Passspiel und die vielen Rückstande große Probleme von Hertha. Zwei wichtige Unterschiede zu den Vorsaisons sollten sich im Laufe der Partie noch zeigen. Da wäre zum einen Dodi Lukebakio, der zum echten Unterschiedsspieler gereift ist. Obwohl bei Hertha viel Sand im Getriebe war, reichte ein Angriff in der 19. Minute, um den Ausgleich zu erzielen. Nach einem der wenigen frühen Ballgewinne fand eine Flanke von Jonjoe Kenny den lauernden Lukebakio, der aus dem Nichts den Ausgleich erzielte. Es war das bereits siebte Saisontor des Belgiers. Mit insgesamt acht Scorerpunkten ist er an knapp der Hälfte der 17 Berliner Saisontore direkt beteiligt. Eine beeindruckende Statistik für ihn, die allerdings auch die große Abhängigkeit seines Arbeitgebers von seiner Klasse gravierend zeigt.

Das leidige Thema der späten Gegentore

Obwohl Stuttgart das feldüberlegende Team blieb, ging es mit dem 1:1 in die Pause. Schwarz nahm zwar keine Wechsel vor, veränderte aber die Formation entscheidend. Hertha kam in einem 4-2-3-1 aus der Kabine, Lukebakio rückte dabei auf den Flügel, Jean-Paul Boetius auf die Zehn und Serdar wie Tousart auf die Doppelsechs. Die taktische Umstellung sollte fruchten, denn Hertha hatte in der zweiten Halbzeit deutlich mehr Zugriff auf den Gegner. Das kompaktere Mittelfeld ließ sich viel seltener überspielen, man kam besser in die Zweikämpfe. So entwickelte sich eine ausgeglichenere, wenn auch weiter zerfahrene Begegnung.

Die später eingewechselten Sunjic, Ejuke und Kanga sorgten zudem für mehr Offensivschwung, auch wenn es ihnen ebenso an Genauigkeit und Effizienz mangelte. Beispielhaft hierfür war eine Szene in der 84. Minute, in der Ejuke am gegnerischen Strafraum den Ball eroberte, dadurch eine Großchance eröffnete, sie aber auf frustrierende Art und Weise vergab. Auch in den zweiten 45 Minuten brachte sich Hertha in aussichtsreiche Situationen – so klärte beispielsweise Mavropanos einen Tousart-Abschluss auf der Torlinie (71. Minute) – aber auch in diesen Szenen fehlte die entscheidende Kaltschnäuzigkeit.

Eben jene bewies Gegner Stuttgart in der achten Minute der Nachspielzeit. Bei der Ecke von Borna Sosa konnte Mavropanos nicht verteidigt werden, der den Ball in der letzten Sekunde des Spiels mit dem Kopf ins Tor drückte. Es ist das bereits fünfte Mal in der laufenden Spielzeit, dass sich Hertha einen Sieg oder zumindest ein Unentschieden in der Schlussviertelstunde durch einen späten Gegentreffer noch nehmen lässt.

Herthas Krise ist keine Schwarz-Krise

So oft zurückzuliegen, so oft aussichtsreiche Kontersituationen unsauber auszuspielen, so oft Torchancen liegen zu lassen, so oft kurz vor Schluss noch das Spiel aus der Hand zu geben – bei Hertha BSC treten all diese Dinge derzeit zu oft auf, um nur von Pech zu sprechen. "Immer Glück ist Können", sagte Hermann Gerland einst. Immer Pech ist demzufolge fehlendes Können. Die bittere Realität ist: Hertha ist nicht besser als das bisher gezeigte.

Nach einer anfänglichen Euphorie, ob des neuen, mutigen Fußballs, den Sandro Schwarz spielen lässt, folgt nun die ernüchternde Erkenntnis, dass Hertha wohl erneut eine zähe Saison im stetigen Abstiegskampf bevorsteht. Dabei steht viel weniger Trainer Schwarz im Fokus, als vielmehr die Qualität seiner Spieler. Nach Jahren des sportlichen wie wirtschaftlichen Verfalls und der diffusen Kaderplanung ist Herthas Aufgebot auch 2022/23 weiter eine Baustelle. In einer großen Vielzahl der Partien sind Philosophie und Abläufe, die Schwarz implementiert hat, deutlich erkennbar. Hertha bringt sich erst in aussichtsreiche Kontersituationen, hohe Ballgewinne und gute Torchancen, weil der Trainer die dafür benötigten Werkzeuge entwickelt hat. Ob der Zweikampf clever geführt, der Pass sauber gespielt oder der Schuss platziert gesetzt wird, liegt nicht mehr in der Hand von Schwarz.

Dennoch wird es einen Erfolg im letzten Spiel vor der WM-Pause gegen den 1. FC Köln brauchen, um die sportliche Krise einzudämmen und Fragen zum Trainer gar nicht erst aufkommen zu lassen. Der typische Mechanismus, die Ergebnisse direkt an die Arbeit des Trainers zu knüpfen, wird auch nicht vor Schwarz Halt machen und die Medien werden bis Ende Januar, wenn die Liga wieder losgeht, viel Zeit haben, kritisch nachzubohren.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09. November 2022, 07:14 Uhr

Beitrag von Marc Schwitzky

21 Kommentare

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  1. 21.

    Es wird immer enger
    Auch Schalke gewonnen, vielleicht überwintert Hertha ja auf Platz 17 oder 18
    Verdient wäre es bei dieser Grottenschlechten Mannschaft

  2. 20.

    Wenn es wirklich fehlende Qualität ist müssen ja die Personalkosten höchstens bei der Hälfte liegen.
    Ist schon Wahnsinn wie hier 97 Millionen für dieses schwache und unfähige Personal gezahlt werden, eigentlich müssten alle Spieler rausgeschmissen werden.
    Und bitte dazu gleich auch die U23 auflösen und mit neuem Konzept in der Kreisliga anfangen.

  3. 19.

    Lustig ist, das Schwitzky am 2.10. , nach den Hoffenheim Spiel, ganz anders resümiert hat. Trotz praktisch identischer Fehler. Defensive, Passspiel, dieselben Probleme. Aber Schwitzky sah Fortschritt. „ Zu wenig für den grossen Wurf , …. aber nicht so dramatisch wie letzte Saison. „ ….. Eben Gelaber …. je nachdem was man gerade hören / lesen möchte.

  4. 17.

    Wann merkt der Verein, das es in dieser Besetzung nicht für die 1.Liga reicht.

  5. 16.

    Kommt Unioner, haltet mal den Ball flach. Nachtreten, zumal auf einen am Boden Liegenden, ist reichlich unfair und wird zurecht mit Rot bestraft. Also tut euch selbst den Gefallen und spielt euch nicht als Oberlehrer auf.
    Apropos bestraft: Ich denke, die Herthafans leiden aktuell genug unter diversen Baustellen, beruhend auf eigenen Fehlentscheidungen. Das wissen sie auch, wie man aus einigen sachlichen Kommentaren z.B. von Stefan H. herauslesen kann, und brauchen sicherlich nicht unser Zutun, um sich noch schlechter zu fühlen.
    Wer hier Spuren von Mitleid liest, ist genau richtig und sollte verstehen, dass dies nicht aus Schadenfreue resultiert, sondern aus dem Wissen, dass es im Profisport immer auf und ab geht.
    Ich als langjähriger Unioner freue mich auf das Spiel heute abend in der AF und fokusiere mich auf unseren Verein.
    Eisern!

  6. 15.

    Das Problem bei Hertha liegt viel tiefer, daß die Mannschaft weniger als Mittelmaß ist dürfte jedem klar sein. Aber bei Hertha sitzen die falschen Leute am falschen Platz. Bobic ist das beste Beispiel. Damals in Stuttgart hatte es nicht funktioniert, bei Frankfurt hingegen wunderbar, und bei Hertha passt es auch nicht, und wird deshalb auch nichts. Und zu den Fans, klar wünscht man sich das sein Verein gewinnt, aber andere können noch besser Fussball spielen wie Hertha. Und eine Fan-Freundschaft mit Union wird niemals funktionieren, zu verschieden ist das Umfeld. Ob man es bei Hertha gerne hört oder nicht, Union ist die Nr.1 in Berlin und wird es über lange Jahre bleiben. Dort wird mit wenig Geld viel erreicht und es sitzen Fachleute an den Schaltstellen, die man bei Hertha vergeblich sucht.

  7. 14.

    Es wäre auch gut wenn gewisse " Fans " in der Realität ankommen würden, und einsehen würden das ihr Verein mitten im Abstiegskampf steht und in der Schuldenfalle steckt
    Kann mich letzte Woche erinnern als Union verloren hat, da kamen diese Fans in scharen und haben sich einen abgelästert
    Toll, direkt danach so eine Leistung
    Wenn Stuttgart effektiver gewesen wäre hätte es gestern genauso eine klatsche gegeben

  8. 13.

    Berlin hat einen guten Erstligaverein, das reicht. Vielleicht könnte man das Charlottenburger Konstrukt alsbald auflösen und was noch verwendbar ist Union zur Verfügung stellen?
    Damit wäre allen geholfen und Hertha wird in Berlin niemand vermissen.

  9. 12.

    Ab Sonntagabend hat die 1. Bundesliga Winterpause. So wie es bisher läuft, kann es nicht weitergehen. Für mich ist derzeit leider Hertha BSC nur noch ein potentieller Abstiegskandidat, falls die drohende Insolvenz nicht schneller ist! Aus meiner Sicht ist es an der Zeit u. auch genügend davon vorhanden, bei Hertha BSC alles (!) auf den Prüfstand zu stellen u. evt. umzukrempeln. Auch Trennungen u das Schlachten heiliger Kühe in allen Ebenen sollten möglich sein u. sind wahrscheinlich notwendig.

  10. 11.

    "Hertha ist in der Realität angekommen" - ist der BCC nicht das schon am ersten Spieltag?
    Oder regierte bis dato der Realitätsverlust, die Arroganz und Überheblichkeit?
    Elf Punkte in 14 Spielen - so schlecht stand der Verein noch nie da.
    Sollte man gegen Köln auch verlieren, sehe ich schwarz für Schwarz.

  11. 10.

    Holt Preetz zurück .

  12. 9.

    Die Beobachtungen von Schwitzky sind korrekt. Passspiel, verdaddeln selbst größter Chancen, das leichte überspielen des Pressings. All das stimmt. Aber genau deshalb ist seine Analyse falsch. So eine Mannschaft, mit diesen offenkundigen Schwächen, kannst du eben nicht "aktiv" spielen lassen. Hertha spielt in jedem Spiel im wesentlichen immer gleich. Warum konnte Dardai mit einer ebenfalls schwachen Hertha, den Abstieg verhindern? Weil er von der Mannschaft nicht verlangte, was sie nicht konnte. Schwarz und Bobic sind allerdings vernagelt. Der "aktive" Fussball wird sie in die 2. LIga bringen. Ganz sicher. Somit ist das Problem natürlich auch ein Trainer-Problem.

  13. 8.

    Ich bin dafür, dass Hertha in der 1. Liga bleibt, vor allem schon mal wegen des Stadions. Aber nach dem Shitstorm nach dem Union Spiel am letzten Sonntag kann ich nur sagen, Chapeau Stuttgart.

  14. 7.

    Der Inhalt des Artikels ließe auch ganz gut auf den VfB übertragen.....
    Chancenwuchen, Fehlpässe, keine Ruhe im Spiel, eine hektische Ballstaffette folgt auf die nächste, und vieles wird zu kompliziert ausgefummelt mit klein-klein gedribbel durch die Mitte... Beim Ausgleichstreffer der Hertha scheint die komplette VfB Defensive schon beim Abenddinner zu sein, statt auf dem Platz im Strafraum. Der VfB hätte genauso verlieren können, hatte gestern halt ein nur ein Quäntchen mehr Spielglück...

  15. 6.

    "Es sollte doch alles anders werden."

    Wer die Naturgesetze der Bundesliga kennt, weiß, dass es in diesem Spiel doch gar nicht anders kommen konnte: wer ein gutes Spiel gegen die Bayern zeigt, fliegt im folgenden auf die Fr...

  16. 4.

    Ja, ja der Trainer. Mir tut er immer leid, was soll er noch sagen. Auf dem Feld sind die Spieler - Profis -. Tore zu schießen, ist ihre Arbeit. Es können nicht alle auf dem ersten Platz sein. Kopf hoch.

  17. 3.

    Das Abwehrverhalten gerade vor dem entscheidenden 2:1 für den VFB Stuttgart war aus Berliner Sicht eine Katastrophe. Als Profi weiß ich nach acht Minuten Spielzeit, das der letzte Eckball der Stuttgarter womöglich die letzte Spielszene sein wird. Der Kapitän Plattenhardt der Berliner muss dafür Sorge tragen, dass nicht er sich zum späteren Torschützen Mavropanos stellt, sondern er sich den 1,91m großen Agustin Rogel (Nr. 3) heranholt und ihn neben Mavropanos aufstellt!!!

  18. 2.

    Ja, es fehlt an Qualität vor allem auf der Geschäftsführer Sport Position. Die Mannschaft wird kontinuierlich verschlechtert. Es gibt keinen Plan. Es fehlt an Leidenschaft. Dafür wird sehr viel gelabert.

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