Der FCU schreibt Geschichte - Fünf Gründe, warum der Champions-League-Einzug des 1. FC Union völlig verdient ist
Die Sensation ist perfekt: Union Berlin krönt die erfolgreichste Saison seiner Vereinsgeschichte mit dem Einzug in die Champions League. Fünf Gründe, warum die Eisernen zu Recht zum Kreis der Königsklasse-Klubs zählen werden. Von Till Oppermann
1. Union hat den besten Torwart der Bundesliga
Selbstvertrauen wird im Fußball oft unterschätzt. Wer wissen will, wie entscheidend es die sportliche Leistung beeinflussen kann, dass ein Spieler sich mental gut fühlt, muss nur Frederik Rönnow zuhören. Dem Dänen gelang es nach seinem Wechsel in die Bundesliga weder in Frankfurt noch auf Schalke oder in seinem ersten Jahr bei Union, Stammkeeper zu werden. Erst zur Saison 2022/23 machten Urs Fischer und Torwarttrainer Michael Gspurning Rönnow zur Nummer eins des FCU.
Heute sagt Rönnow: "Ich genieße es einfach, im Tor zu stehen und habe das Gefühl, ich kann jeden Ball halten". Sein Gefühl trügt nicht. Innerhalb weniger Monate mauserte sich Rönnow zu einem Spitzentorwart. In seinen 29 Liga-Einsätzen kassierte er nur 27 Gegentreffer und spielte elfmal zu Null. Mit einer Paradenquote von 77,7 Prozent ist der 30-Jährige in dieser Saison der sicherste Torhüter der Bundesliga und rettete den Eisernen in vielen knappen Spielen mit seinen Paraden die Punkte. Eines ist sicher: Ohne Frederik Rönnows herausragende Leistungen hätten die Eisernen die Champions League nicht erreicht.
2. Die Mannschaft wurde im Winter entscheidend verstärkt
Ganze sieben Wochen stand der 1. FC Union in der Hinrunde an der Tabellenspitze, aber zwei derbe Niederlagen und ein Unentschieden am Ende der Hinrunde ließen die Mannschaft von Urs Fischer zur WM-Pause auf den fünften Platz zurückfallen. Spätestens als dann im Januar auch noch Allzweckwaffe und Führungsspieler Julian Ryerson per Ausstiegsklausel nach Dortmund wechselte, galt Union nicht mehr als einer der Favoriten auf die Champions League.
Zum Glück für die Unioner gibt es da aber noch Sport-Geschäftsführer Oliver Ruhnert, der in der Winter-Transferperiode einmal mehr hervorragende Entscheidungen traf. Zwar scheiterte er am letzten Tag der Transferphase medienwirksam an der Wankelmütigkeit des Weltstars Isco, der einen unterschriftsreifen Vertrag nachverhandeln wollte.
Die gesuchte Verstärkung im Mittelfeld wurde bereits einige Wochen zuvor in Gestalt von Aissa Laidouni gefunden. Mit Linksverteidiger Jerome Roussillon und Rechtsverteidiger Josip Juranovic zauberte Ruhnert dann auch noch auf den Lieblingspositionen des abgewanderten Ryerson Verstärkungen aus dem Hut. Die beiden Außenbahnspieler sorgten für mehr Dynamik und Qualität im Offensivspiel der Eisernen und spielten in der Rückrunde integrale Rollen auf dem Weg in die Champions League. In seinem ersten Einsatz bereitete Juranovic ein Tor vor, dann glänzte er immer wieder mit Pässen in die Spitze und einem herrlichen Freistoßtor gegen Bochum. So verdrängte der Kroate gar Kapitän Christopher Trimmel.
3. Union bleibt sich fußballerisch treu
Union bleibt sich sportlich treu. Zwar hat sich die Mannschaft in ihren vier Bundesliga-Saisons nach und nach spielerisch weiterentwickelt, aber dabei nie die Grundsätze vergessen, die den durchschnittlichen Kader überhaupt erst in die Lage versetzten, überdurchschnittlich häufig zu punkten. Das ist ein wichtiger Grund für den Erfolg: Obwohl viele Spieler kamen und gingen, ist im Team eine Überzeugung in die eigenen Stärken gewachsen, an der sich die Eisernen im Zweifelsfall festhalten können. "Eine der besten Defensivmannschaften Europas" sei Union, lobte Freiburgs Trainer Christian Streich vor dem direkten Duell um die Champions League. Das ist nicht nur auf die ausgezeichnete Form von Rönnow zurückzuführen, sondern auch Unions besonders guter Defensivorganisation zu verdanken.
Schon seit dem Aufstieg gehört es zur Strategie der Eisernen, das Zentrum zu schließen, den Gegner auf den Außenbahnen zu Flanken zu zwingen und diese dann durch die hochgewachsenen Innenverteidiger in der Zentrale zu verteidigen. Mit 897 gewonnenen Luftduellen stellen die Köpenicker in dieser Saison die drittbeste Kopfball-Mannschaft der Liga. Auch in Statistiken wie Fouls am Gegner (ebenfalls Dritter) oder Flanken aus dem Spiel (Zweiter) und der Laufdistanz (Erster) bewegen sich die Unioner in der Spitzengruppe der Liga. Auf den Einsatz seiner Truppe kann sich Trainer Fischer immer verlassen.
4. Die Alte Försterei ist eine Festung
Zwar stehen die Eisernen 'nur' auf dem dritten Platz der Heimtabelle, aber nach Bayerns Niederlage gegen Leipzig ist Union das letzte Team der Bundesliga, das zuhause in dieser Bundesliga-Saison nicht verloren hat. Saisonübergreifend sind die Köpenicker nun schon seit 23 Ligaspielen ohne Heimniederlage. Kein Wunder, dass nach quasi jedem Spiel respektvolle Worte der gegnerischen Mannschaft fallen. So sagte etwa Ex-Bayern-Trainer Julian Nagelsmann über die Alte Försterei: "Das Stadion ist cool. Die Fans sind cool."
Schon in seiner Leipziger Zeit hatte Nagelsmann den Druck gelobt, der in Köpenick von den Rängen komme. Das ist keine Floskel. Mehrmals in dieser Saison drehte Union enge Spiele auch mit Hilfe der Fans. Den Siegtreffern gegen Augsburg und Mönchengladbach gingen jeweils minutenlange Druckphasen voraus, in denen die Gegner kaum aus ihrer Hälfte kamen. Orchestriert wurden diese Angriffe auch von den Rängen. Ein begeisterter Rani Khedira sagte später, "man lässt sich auch von den Fans tragen." Na bitte.
5. Der Kader kann individuelle Formschwächen wettmachen
Mit elf Toren und sieben Vorlagen ist Sheraldo Becker zweifelsohne der bestimmende Offensivspieler bei Union Berlin. Trotzdem konnten sich in der aktuellen Saison neben Becker 14 weitere Unioner in die Torschützenliste der Bundesliga eintragen. Diese Statistik ist ein Hinweis auf eine große Stärke der Köpenicker: Urs Fischer kann sich auf die Breite seines Kaders verlassen. Das schlägt sich nicht nur hinsichtlich der Torschützen nieder. Zwar setzte der Trainer mit Rönnow, Robin Knoche, Khedira und Becker über die gesamte Saison auf eine Achse, die wenn möglich immer spielte, aber rundherum gab es im Verlauf des Jahres zahlreiche Änderungen.
In der Abwehr musste sich der inzwischen gesetzte Danilho Doekhi erst an Paul Jaeckel vorbeispielen, der wiederum in der Rückrunde regelmäßig Diogo Leite ersetzte, als der Portugiese einige schwache Leistungen zeigte. Ähnliche Rochaden gab es auch in anderen Mannschaftsteilen: Im Sturm setzte sich Kevin Behrens gegen Jordan Siebatcheu durch und erzielte mehrere ganz entscheidende Tore. Im Mittelfeld teilten sich gleich sechs Spieler die beiden 'Achter'-Positionen. Und auf der rechten Außenbahn bekam zuletzt wieder Kapitän Trimmel den Vorzug vor Juranovic.
Sendung: rbb24, 27.05.2023, 18 Uhr