Fußball-Zweitligist - Wie Hertha mit Cuisance und Sessa plant - und wo es noch Handlungsbedarf gibt
Hertha BSC hat mit Michael Cuisance und Kevin Sessa bereits zwei wichtige Spieler für die neue Spielidee von Trainer Cristian Fiél verpflichtet. Doch es bleiben Baustellen und Fragezeichen - Aufgaben für Sportdirektor Benjamin Weber. Von Marc Schwitzky
Mit Cristian Fiél als Nachfolger von Pal Dardai haben sich die Verantwortlichen beim Fußball-Zweitligisten Hertha BSC für eine klare Spielidee entschieden, die deutlich von der des Ungarn abweicht. War es unter Dardai noch die oberste Maxime, defensiv kompakt zu stehen, erst ab dem Mittelfeld zu pressen und auf Konter zu lauern, will Fiél "den Ball haben und dass wir das Spiel kontrollieren sowie den Gegner in seiner Hälfte attackieren."
Zwar erwartet der 44-Jährige auch eine "gute Balance zwischen Offensive und Defensive", doch der mutige, dominante Spielansatz steht über allem.
Es scheint, als würden Fiél und Sportdirektor Benjamin Weber sportlich deutlich eher dieselbe Sprache sprechen als es noch im Zusammenspiel mit Dardai der Fall war. Es wirkt beinahe so, als hätte Weber bereits vor einem Jahr für Fiél auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Damalige Neuzugänge wie Michal Karbownik, Andreas Bouchalakis, Bilal Hussein oder Jeremy Dudziak deuteten ihr Potenzial unter Dardai nur selten an, passen aber zur Spielidee des neuen Trainers.
Cuisance und Sessa passen perfekt, Schuler als sinnvolle Ergänzung
Und so passen auch die bisherigen Sommerneuzugänge ins blau-weiße Bild. Sportdirektor Weber hat bereits vor Trainingsbeginn drei Spieler für insgesamt nur 300.000 Euro an Ablöse vorstellen können. Michael Cuisance vom FC Venedig und Kevin Sessa vom FC Heidenheim für das zentrale Mittelfeld, Luca Schuler vom 1. FC Magdeburg für das Sturmzentrum. Besonders Cuisance und Sessa sind für die Vision Fiéls wie gemacht.
Sowohl Cuisance als auch Sessa sind zentrale Mittelfeldspieler, die bestens auf die Achterpositionen im 4-3-3 von Fiél passen. Beide Spieler zeichnen sich durch hohe technische Fähigkeiten, große Laufbereitschaft und eine gehörige Portion Kreativität aus. Sie stehen für mutigen Fußball und sind die Motoren mit dem gewissen Etwas im neuen Schaltzentrum der Berliner.
Für Fiél ist es immens wichtig, dass seine zentralen Mittelfeldspieler technisch gut geschult sind, dadurch pressingresistent agieren und den Ball mutig nach vorne tragen – hier hat Sportdirektor Weber bereits seine Hausaufgaben gemacht. Auch weil beide Spieler die zweite Liga kennen und die gesamte Vorbereitung bei Hertha absolvieren.
Mit Schuler wurde zudem ein Mittelstürmer verpflichtet, der sich klar als Backup zu Haris Tabakovic verstehen wird und durch seinen guten Antritt aber ein anderes Profil mitbringt. Während Tabakovic eher als Prellbock agiert, sucht Schuler die Tiefe – passende Eigenschaften für einen Joker oder zweiten Stürmer.
Deshalb braucht es Diego Demme
Trainer Fiél hat klare Vorstellungen für seinen Fußball im 4-3-3 – in eben jenem System spielt der alleinige defensive Mittelfeldspieler eine elementare Rolle. Er soll nicht nur der Balleroberer und Staubsauger vor der eigenen Abwehrkette sein, sondern sich auch spielerisch klug einbinden. Auf diesen Ankersechser kommen viele Zweikämpfe, Meter und Pässe zu – hier soll Diego Demme, der bereits vor einem Jahr fast nach Berlin gewechselt ist, Abhilfe leisten. Sein Wechsel zu Hertha steht laut übereinstimmenden Medienberichten fest und ist wohl nur noch eine Frage von Tagen.
Der 32-Jährige bringt genau das passende Profil mit. Demme ist in erster Linie ein herausragender Spieler gegen den Ball, was ihm einst sogar ein A-Länderspiel für Deutschland einbrachte. In seinen sechs Jahren bei RB Leipzig lernte der Sechser das Pressing auf allerhöchstem Niveau. Er antizipiert sehr gut, dirigiert seine Mitspieler und geht resolut in den Zweikampf. So deckt er sehr viel Raum für seine Mitspieler ab, hält ihnen den Rücken frei.
Mit Ball ist Demme zwar kein Virtuose wie Cuisance und Sessa, aber jemand, der Ballsicherheit und Pressingresistenz ausstrahlt. Er beschränkt sein Spiel meist auf einfache, aber effektive Kurzpässe. Bei Neapel hat Demme das kontrollierte Ballbesitzspiel noch etwas besser lernen können. Doch es gibt auch Zweifel am Routinier, da er in den vergangen zwei Jahren in Neapel kaum noch zum Einsatz kam. In welchem Zustand stößt er zu Hertha?
Kann Demme aber auch nur einigermaßen an seine Qualitäten aus der Leipziger und frühen neapolitanischen Zeit anknüpfen, ist er ein hervorragender Spieler auf Zweitliga-Niveau – und genau der richtige Sechser für Fiél, der für diese Rolle keinen vergleichbaren Spieler im Kader zur Verfügung hat.
Sehr viele passende Spieler für Fiél, doch bleiben sie?
Auch für die rechte offensive Außenbahn könnte noch ein Spieler verpflichtet werden, da Marten Winkler zwar sehr talentiert, aber noch jung und unbeständig ist. Für viele weitere Positionen kann Fiél eigentlich bereits auf für ihn passende Spieler zurückgreifen.
Spielstarke Innenverteidiger, die das Spiel eröffnen und mit dem Ball andribbeln können, sind Marton Dardai und Pascal Klemens. Ein technisch versierter Außenverteidiger, der gerne nach innen zieht: Michal Karbownik. Schnelle Außenbahnspieler, die in die Tiefe ziehen: Fabian Reese und Marten Winkler. Ein abschlussstarker Mittelstürmer, der den Ball halten kann: Haris Tabakovic. Hier scheint Hertha bereits aufgestellt zu sein.
Doch locken auch Marton Dardai, Klemens, Reese und Tabakovic derzeit Interessenten an. Auch Torhüter Tjark Ernst und Kronjuwel Ibrahim Maza sind begehrt. Derry Scherhant, Andreas Bouchalakis, Bilal Hussein, Jonjoe Kenny, Marc Oliver Kempf, Smail Prevljak und Florian Niederlechner könnten alle den Verein noch verlassen – entweder weil sie es wollen, weil sie zu viel Geld kosten oder aber weil gutes Geld mit einem Verkauf gemacht werden könnte.
Besonders um Marton Dardai, Reese und Maza ranken sich derzeit viele Wechselgerüchte – alle drei wären tragende Säulen in der kommenden Saison und müssten zwingend ersetzt werden.
Der schmale Grat
Auf der einen Seite ist Hertha aufgrund wirtschaftlicher Zwänge nicht in der Lage, jedwedes Angebot für Spieler abzulehnen. Auf der anderen Seite ist der Hauptstadt-Klub durch eben jene finanzielle Schieflage beinahe schon dazu verdammt, in spätestens zwei Jahren aufzusteigen, da die Schulden den Klub sonst übermannen.
Für jenen Aufstieg braucht es einen adäquaten Kader, der zum Trainer passt. Grobe Einschnitte würden die angepeilten sportlichen Ziele massiv gefährden.
Es ist also ein schmaler Grat zwischen wirtschaftlichen Nöten und sportlichen Ambitionen, auf dem sich die Hertha-Verantwortlichen im aktuellen Transfersommer bewegen. Aber das ist man an der Hanns-Braun-Straße ja nun seit Jahren gewöhnt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.07.2024, 22 Uhr