Straße des 17. Juni - Fanmeile löst Debatte um dauerhafte Verkehrsberuhigung aus

Mi 03.07.24 | 11:19 Uhr | Von Shea Westhoff
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Fanmeile am Brandenburger Tor
Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress

Fanmeile für immer? Befürworter einer autoberuhigten Zone sehen in der Umgestaltung der Straße des 17. Juni eine dauerhafte Option. Die Verkehrsverwaltung ist skeptisch und befürchtet eine stärkere Verkehrsbelastung für Wohngebiete. Von Shea Westhoff

Die Fanmeile gilt nicht nur als Maschinenraum der Fußball-Euphorie in Deutschland, sie vermittelt auch einen Eindruck einer utopischen, von Autolärm und -abgasen befreiten Stadt. Statt grauem Asphalt und stotterndem Verkehr erstreckt sich vor dem Brandenburger Tor derzeit eine Kunstrasen-Fläche von 24.000 Quadratmetern (was übrigens, um im Bild der Fußball-Europameisterschaft zu bleiben, einer Fläche von 3,3 Fußballfeldern entspricht).

Nicht nur EM-Spiele werden dort gezeigt. Tagsüber dient die Rasenfläche als Parkanlage für Flaneure. Manchmal verwandelt sich der Straßenabschnitt zudem in ein großes Sommerkino.

Also ein Treffpunkt für alle, mitten in der Hauptstadt, an einem der berühmtesten Wahrzeichen der Republik: Könnte dies die passende Gelegenheit sein, Pkw dauerhaft von der Straße des 17. Juni zu verbannen?

"Wir beflügeln vielleicht die Fantasie"

Moritz van Dülmen ist als Geschäftsführer des Veranstalters Kulturprojekte Berlin mitverantwortlich für die grüne Umgestaltung der sogenannten Fanzone am Brandenburger Tor. Er findet die mehrspurige Autostraße "mitten in der grünen Lunge" Berlins, dem Tiergarten, "komisch", wie er sagt. Dort, wo sich die Fanmeile erstreckt, sei "der zentrale Ort, der eigentlich eine große Aufenthaltsqualität braucht". Van Dülmens Hoffnung: "Wir beflügeln vielleicht die eine oder andere Fantasie, wie sich vielleicht auch eine Stadt in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten verändern könnte."

Grünen-Politikerin Schedlich: Grünflächen statt Autostraßen

Für Klara Schedlich hat die vorübergehende Verwandlung des Abschnitts zwischen Brandenburger Tor und Yitzhak-Rabin-Straße ebenfalls eine Signalwirkung. Mit dem konkreten Konzept ist die Abgeordnete (Die Grünen) im Berliner Abgeordnetenhaus jedoch unzufrieden: "Ich glaube, den Kunstrasen dort auf 24.000 Quadratmetern für 1,2 Millionen Euro auszulegen, war ein Fehler. Dieses Geld hätte man viel sinnvoller auch in den Sport investieren können." Zudem gebe es in anderen Bezirken erheblicheren "Mangel an Grünflächen und Naherholungsmöglichkeiten".

Trotzdem: "Jetzt, wo der Rasen da liegt, hat es zumindest etwas Gutes - und zwar, dass das Ganze schön aussieht und vielleicht dazu anregt, generell darüber nachzudenken, ob man nicht aus hässlichen Betonautostraßen auch Grünflächen machen könnte", sagt die sportpolitische Sprecherin.

Umgestaltung Angelegenheit des Bundes

Die Straße werde "sowieso ständig für Großveranstaltungen gesperrt". Schedlich hält daher eine Debatte für sinnvoll, ob man daraus nicht dauerhaft einen Veranstaltungsort machen könnte - mit echtem Rasen und fest installierten Toiletten.

Ob die Straße des 17. Juni tatsächlich "ständig" gesperrt ist, ist natürlich Interpretationssache. Was zutrifft: Die Fläche ist nicht nur wegen temporärer Fußball-Fanmeilen, sondern auch aufgrund von (Halb-)Marathons, Demonstrationen oder Paraden immer wieder für den Verkehr gesperrt.

Doch Schedlich macht gleichzeitig klar, dass eine Umgestaltung mit Hürden verknüpft wäre. Diese sei nämlich Bundessache, denn es handelt sich um eine Bundesstraße – und das Land Berlin müsste entsprechend auf Bundesebene ein Konzept vorlegen und eine Einigung finden.

Dauerhafte Sperrung ginge zu Lasten der Wohngebiete

Der Rückbau der vorhandenen Kunstrasenfläche zum Turnier-Ende ist ohnehin bereits beschlossene Sache. Geplant ist, das Kunststoff-Grün nach dem Turnier an Schulen, Kitas und Bolzplätze zu verschenken.

Dass eine dauerhafte Sperrung der Straße nicht vorgesehen ist, bekräftigte die Senatsverwaltung für Mobilität auf schriftliche Anfrage. Als Begründung macht die Behörde zwei Aspekte geltend: Zum einen sei die Straße des 17. Juni "eine wichtige Hauptverkehrsachse, insbesondere auch für Wirtschaftsverkehre, durch unsere Stadt". Außerdem würde eine dauerhafte Sperrung "nicht zu weniger Verkehr, sondern zu einer Verdrängung der Verkehre zulasten anderer Straßen und damit Wohngebiete führen".

Es klingt, als sei eine dauerhafte Sperrung ein Tabu. Durch die gegenwärtige Nichtbefahrung des 17. Juni kommt es nach Einschätzungen eines Vertreters der Verkehrsinformationszentrale (VIZ) tatsächlich zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen im Regierungsviertel und in Alt-Moabit, was für Anwohner belastend sein könne. Auf der südlich der Parkanlage verlaufenden Tiergartenstraße würden zudem vermehrt Staus auftreten. Offizielle Untersuchungen dazu stehen noch aus.

Klar ist, dass eine Sperrung des Straßenzugs zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor einen tiefen Einschnitt in den Berliner Autoverkehr bedeuten würde.

Deutlich wird im Gespräch mit der VIZ allerdings auch dies: Es gibt keine No-Gos in der Verkehrsplanung. Möglich gemacht werden kann vieles. So sei etwa auch die Sperrung des Brandenburger Tors für Autos vor gut zwanzig Jahren von reichlich Kritik begleitet worden, am Ende seien aber entsprechende Lösungen gefunden worden. Begleiteffekt: Die Attraktion dürfte sich seitdem zu einem noch größeren Touristenmagnet entwickelt haben.

Utopie vorerst beendet

Sicher ist, dass die Kunstrasen-Utopie am Brandenburger Tor vorerst mit dem Abschluss der Europameisterschaft am 14. Juli endet, wenn das Finale in Berlin stattfindet.

Nur wenn die DFB-Auswahl weiterhin glänzt - dann könnte es am 15. Juli an gleicher Stelle noch ein Fanfest geben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.07.2024, 15:15 Uhr

Beitrag von Shea Westhoff

65 Kommentare

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  1. 65.

    Na, Meister Graubart, da hoffen wir mal, dass Sie vorangegangen, bzw. -gefahren, sind und Ihren blechernen Freund schon verschrottet haben...!

  2. 64.

    Sehr richtig gesagt! Wer glaubt, überall mit dem Auto hingurken zu müssen, kann das gern auf dem Lande tun, wo das Auto sicherlich immer einen sinnvollen Platz im Verkehrsmix einnehmen wird. Und zu alten West-Berliner Zeiten, wo die Bevölkerungs- und PKW-Dichte noch deutlich geringer war als heute, ging das vielleicht auch noch. Aber heutzutage sollte allmählich in der Realität angekommen werden - nicht umsonst wird in dicht besiedelten Metropolen wie Paris oder London deutlich weniger Auto gefahren als (noch) bei uns. Ja, die Staus in der Stadt sind tatsächlich "künstlich" - weil (insbesondere durch den aktuellen Senat) nicht genug gegen die Blechlawinen getan wird, die auf den Straßen sich selbst im Weg stehen. Und für die, die tatsächlich auch in der Stadt aufs Auto angewiesen sind (wie der so oft beschworene Handwerksbetrieb) würde der Straßen- und Parkraum dann auch wieder leerer.

  3. 63.

    Och, das würde schon schön aussehen. Ein richtiger Hingucker könnte das werden. Einerseits wäre der Tiergarten dann zusammenhängend, andererseits die Folgen für die umliegenden Straßen und deren Anwohner aber eher schädlich.

  4. 62.

    Die Debatte löst der RBB hier aus.
    Vielleicht wünschen sich ein paar Grüne, dass die Str. des 17. Juni verkehrsberuhigt bleibt. Aber an eine Debatte in dieser Sache, das glaube ich nicht.
    Der RBB übertreibt... Auch der RBB sollte journalistisch korrekt und vielschichtig berichten. Nicht nur einseitig und grün-links. Keine Stimmungsmache, bitte.

  5. 61.

    Also Leute, jetzt mal Tacheles! Diese Straße war, ist und bleibt einer der wichtigsten Berliner Ost-West-Verbindungswege. Da erübrigt sich doch jegliche Träumerei von der autofreien Innenstadt an dieser Stelle. Es wird vorerst immer viele Fahrzeuge geben, die durch die Stadt von A nach B müssen, nicht alles kann ein ÖPNV bewältigen, schon gar nicht Lasten...
    Fragen Sie in fuffzich Jahren nochmal nach, da wird man dann vielleicht überlegen, die ganze Stadt zu untertunneln - wenns uns dann noch gibt... Und Autos.
    Allen allzeit gute Fahrt!

  6. 60.

    Tolle Idee! Und wohin mit den Autos?
    Äh - Moment mal: verläuft nicht unter dem Brandenburger Tor die S-Bahn? Dann könnte man doch den S-Bahntunnel zum Autotunnel umfunktionieren, oder? Und dann kann Ralph und die Berliner und die Touristen und die Menschen immer schön oben langlatschen.
    Und die S-Bahn, äh, die S-Bahn... tja, äh...

  7. 59.

    Was für eine wundervolle Idee, stellt euch mal vor wie attraktiv das ist für Touristen, für Berliner, für Menschen. Und das es geht - ist ja quasi damit bewiesen. Insbesondere auch dass das Brandenburger Tor ja auch profitiert hat verkehrsfrei zu sein. Lasst und diese Vision verfolgen und neue Lösungen suchen für die aktuellen Bedenken und Hindernisse.

  8. 58.

    "Eine sechsspurige Hauptverkehrstrase komplett für den Verkehr zu sperren wäre nicht schlau"
    Na ja, der Rückbau der Straße Unter den Linden auf eine einzige Autospur, wo es normalerweise schon morgens vor 7 Uhr nicht mehr ohne Unterbrechung rollt, hat doch auch geklappt. Insofern sind null Autospuren doch die logische Folge, was das Wünschen der Weltfremden angeht.

  9. 57.

    Absolut! Totales Fahrverbot für alle, insbesondere Unfallraser. Aber da wurde ja eine Geschwindigkeitsbegrenzung von der Senatsverwaltung abgelehnt, weil es den Verkehr behindern würde. Auch nicht, weil der Verkehr sich selbst behindert.

  10. 55.

    Berlin als Groß-und Hauptstadt wird immer mehr ins Lächerliche gezogen. Als jemand, der in Berlin als Handwerker tätig ist, kenne ich noch die schönen Zeiten, wo man ohne künstlich erzeugtem Stau, welcher durch Streichung von Fahrspuren und Tempo 30 Zonen, gemütlich und stressfrei von A nach B gekommen ist. Sehr bedauerliche Entwicklung.

  11. 54.

    Nicht ernst gemeint: Als die Mauer noch stand, gab es keinen Ost-West-Verkehr. Nu is se wech und den Verkehr wollen manche nun auch nicht mehr!? Welche Alternativen, auch für nicht PKW, gibt es denn in O-W-Richtung? Alles muss durch die City, was nicht die, überlastete südliche A100 nutzen kann/will. Leistungsfähige Verkehrstrassen für alle Teilnehmer zu bauen ist unmöglich. Also sollte man die vorhandenen Trassen klug verteilen und nich einfach sperren. So wird das nichts mit dem Klimaschutz.

  12. 53.

    Eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen der Stadt, eine sechsspurige (!) Straße, verkehrsfrei zu machen ist keine gute Idee.
    Gerade jetzt wahren der EM-Sperrung sieht man, wie stark der Verkehr auf deutlich kleinere Straßen ausweichen muss und teils stockt, auch außerhalb der Rushhour. Sei es die Tiergartenstr., die Paulstr oder das Kapelle-Ufer und die Reinhardtstr.
    Dazu muss der Umgehungsverkehr teils die Spree queren, was auch nicht überall möglich ist.

  13. 52.

    Dann aber auch keine Radfahrer mehr und Anfahrt aus TK mit dem ÖPNV mit Kind und Kegel Rollator etc etc nur weil der eine o. andere (egal wie inä) 1 x im Jahr da seine Pfandflasche liegen lässt - und wenn ihr alt seit und eure Strassen .....beruhigt o. nicht wichtig genug und daher mit mehr Verkehr ......

  14. 51.

    Ich bin ja Gegner des Straßenaus- und Neubaus, insbesondere auch der TVO. Aber eine stark genutzte Bestandsstraße zu entwidmen und in eine Grünanlage oder dauerhafte Partymeile zu verwandeln, halte selbst ich für Unsinn.

  15. 50.

    Für Veranstaltungen wie eine Parade oder den Marathon braucht man aber auch eine asphaltierte Straße. Rasen zu verlegen wäre also nicht möglich.

  16. 49.

    Der Tiergarten ist zu klein.

  17. 48.

    Schnapsidee!

  18. 47.

    1,2 Mio. ist lächerlich. Haben sie überhaupt eine Relation zu den Ausgaben die das Land Berlin sonst so ausgibt?
    Da sind 1,2 Mio für den Kunstrasen Peanuts; wie die Deutsche Bank schon zu sagen pflegte.
    1,2 Mio kostet das kostenlose Schulessen für 3 Tage
    1,2 Mio kostet die Flüchtlingsunterkunft am alten Flughafen Tegel (TXL) am Tag!
    Und sie reden von 1,2 Mio für den Kunstrasen = 30 cent von jedem Berliner

    schönen Tag noch

  19. 46.

    „ Aber gleichzeitig müsste das Protestieren und Feiern an anderen Stellen dann wirklich verboten werden“
    Der Gerichtsfeste Grund weshalb man das verbieten würde wäre dann welcher ?

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