Straße des 17. Juni - Fanmeile löst Debatte um dauerhafte Verkehrsberuhigung aus
Fanmeile für immer? Befürworter einer autoberuhigten Zone sehen in der Umgestaltung der Straße des 17. Juni eine dauerhafte Option. Die Verkehrsverwaltung ist skeptisch und befürchtet eine stärkere Verkehrsbelastung für Wohngebiete. Von Shea Westhoff
Die Fanmeile gilt nicht nur als Maschinenraum der Fußball-Euphorie in Deutschland, sie vermittelt auch einen Eindruck einer utopischen, von Autolärm und -abgasen befreiten Stadt. Statt grauem Asphalt und stotterndem Verkehr erstreckt sich vor dem Brandenburger Tor derzeit eine Kunstrasen-Fläche von 24.000 Quadratmetern (was übrigens, um im Bild der Fußball-Europameisterschaft zu bleiben, einer Fläche von 3,3 Fußballfeldern entspricht).
Nicht nur EM-Spiele werden dort gezeigt. Tagsüber dient die Rasenfläche als Parkanlage für Flaneure. Manchmal verwandelt sich der Straßenabschnitt zudem in ein großes Sommerkino.
Also ein Treffpunkt für alle, mitten in der Hauptstadt, an einem der berühmtesten Wahrzeichen der Republik: Könnte dies die passende Gelegenheit sein, Pkw dauerhaft von der Straße des 17. Juni zu verbannen?
"Wir beflügeln vielleicht die Fantasie"
Moritz van Dülmen ist als Geschäftsführer des Veranstalters Kulturprojekte Berlin mitverantwortlich für die grüne Umgestaltung der sogenannten Fanzone am Brandenburger Tor. Er findet die mehrspurige Autostraße "mitten in der grünen Lunge" Berlins, dem Tiergarten, "komisch", wie er sagt. Dort, wo sich die Fanmeile erstreckt, sei "der zentrale Ort, der eigentlich eine große Aufenthaltsqualität braucht". Van Dülmens Hoffnung: "Wir beflügeln vielleicht die eine oder andere Fantasie, wie sich vielleicht auch eine Stadt in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten verändern könnte."
Grünen-Politikerin Schedlich: Grünflächen statt Autostraßen
Für Klara Schedlich hat die vorübergehende Verwandlung des Abschnitts zwischen Brandenburger Tor und Yitzhak-Rabin-Straße ebenfalls eine Signalwirkung. Mit dem konkreten Konzept ist die Abgeordnete (Die Grünen) im Berliner Abgeordnetenhaus jedoch unzufrieden: "Ich glaube, den Kunstrasen dort auf 24.000 Quadratmetern für 1,2 Millionen Euro auszulegen, war ein Fehler. Dieses Geld hätte man viel sinnvoller auch in den Sport investieren können." Zudem gebe es in anderen Bezirken erheblicheren "Mangel an Grünflächen und Naherholungsmöglichkeiten".
Trotzdem: "Jetzt, wo der Rasen da liegt, hat es zumindest etwas Gutes - und zwar, dass das Ganze schön aussieht und vielleicht dazu anregt, generell darüber nachzudenken, ob man nicht aus hässlichen Betonautostraßen auch Grünflächen machen könnte", sagt die sportpolitische Sprecherin.
Umgestaltung Angelegenheit des Bundes
Die Straße werde "sowieso ständig für Großveranstaltungen gesperrt". Schedlich hält daher eine Debatte für sinnvoll, ob man daraus nicht dauerhaft einen Veranstaltungsort machen könnte - mit echtem Rasen und fest installierten Toiletten.
Ob die Straße des 17. Juni tatsächlich "ständig" gesperrt ist, ist natürlich Interpretationssache. Was zutrifft: Die Fläche ist nicht nur wegen temporärer Fußball-Fanmeilen, sondern auch aufgrund von (Halb-)Marathons, Demonstrationen oder Paraden immer wieder für den Verkehr gesperrt.
Doch Schedlich macht gleichzeitig klar, dass eine Umgestaltung mit Hürden verknüpft wäre. Diese sei nämlich Bundessache, denn es handelt sich um eine Bundesstraße – und das Land Berlin müsste entsprechend auf Bundesebene ein Konzept vorlegen und eine Einigung finden.
Dauerhafte Sperrung ginge zu Lasten der Wohngebiete
Der Rückbau der vorhandenen Kunstrasenfläche zum Turnier-Ende ist ohnehin bereits beschlossene Sache. Geplant ist, das Kunststoff-Grün nach dem Turnier an Schulen, Kitas und Bolzplätze zu verschenken.
Dass eine dauerhafte Sperrung der Straße nicht vorgesehen ist, bekräftigte die Senatsverwaltung für Mobilität auf schriftliche Anfrage. Als Begründung macht die Behörde zwei Aspekte geltend: Zum einen sei die Straße des 17. Juni "eine wichtige Hauptverkehrsachse, insbesondere auch für Wirtschaftsverkehre, durch unsere Stadt". Außerdem würde eine dauerhafte Sperrung "nicht zu weniger Verkehr, sondern zu einer Verdrängung der Verkehre zulasten anderer Straßen und damit Wohngebiete führen".
Es klingt, als sei eine dauerhafte Sperrung ein Tabu. Durch die gegenwärtige Nichtbefahrung des 17. Juni kommt es nach Einschätzungen eines Vertreters der Verkehrsinformationszentrale (VIZ) tatsächlich zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen im Regierungsviertel und in Alt-Moabit, was für Anwohner belastend sein könne. Auf der südlich der Parkanlage verlaufenden Tiergartenstraße würden zudem vermehrt Staus auftreten. Offizielle Untersuchungen dazu stehen noch aus.
Klar ist, dass eine Sperrung des Straßenzugs zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor einen tiefen Einschnitt in den Berliner Autoverkehr bedeuten würde.
Deutlich wird im Gespräch mit der VIZ allerdings auch dies: Es gibt keine No-Gos in der Verkehrsplanung. Möglich gemacht werden kann vieles. So sei etwa auch die Sperrung des Brandenburger Tors für Autos vor gut zwanzig Jahren von reichlich Kritik begleitet worden, am Ende seien aber entsprechende Lösungen gefunden worden. Begleiteffekt: Die Attraktion dürfte sich seitdem zu einem noch größeren Touristenmagnet entwickelt haben.
Utopie vorerst beendet
Sicher ist, dass die Kunstrasen-Utopie am Brandenburger Tor vorerst mit dem Abschluss der Europameisterschaft am 14. Juli endet, wenn das Finale in Berlin stattfindet.
Nur wenn die DFB-Auswahl weiterhin glänzt - dann könnte es am 15. Juli an gleicher Stelle noch ein Fanfest geben.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.07.2024, 15:15 Uhr