Anerkennung als Indigene? - Was hinter der Klagedrohung des Sorbenparlaments gegen die Bundesregierung steckt

Mo 03.07.23 | 16:37 Uhr | Von Florian Ludwig
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Archivbild:Eine Sorbin in traditioneller Tracht applaudiert im Kulturzentrum während der konstituierenden Sitzung des sorbischen Parlaments Serbski Sejm am 17.11.2018.(Quelle:dpa/O.Killig)
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Das sorbische Parlament droht damit, die Bundesregierung zu verklagen. Es geht um eine Anerkennung der Volksgruppe als Indigene. Wer ist das sorbische Parlament? Und spricht es wirklich für "die Sorben"? Von Florian Ludwig

Der "serbski sejm", das sorbische Parlament, droht mit einer Klage gegen die Bundesregierung. Das erklärten Vertreter des Parlaments gemeinsam mit einer Londoner Anwaltskanzlei bei einer Pressekonferenz in Berlin am Montag.

Hintergrund ist eine Forderung des "serbski sejm", die Volksgruppe der Sorben als Indigene anzuerkennen. Es bezieht sich dabei auf die ILO-Konvention 169, eine internationale Vereinbarung, die indigenen und in Stämmen lebenden Völkern mehr Mitbestimmung sichern soll.

Die Bundesregierung hatte diese Konvention 2021 ratifiziert. Seitdem fordert der "serbski sejm", dass auch die Volksgruppe der Sorben als Indigene anerkannt wird. Das sorbische Parlament verspricht sich davon mehr Rechte, etwa mehr Kontrolle über eigene Institutionen oder mehr Autonomie bei der Gestaltung des Sorbischunterrichts.

Das sorbische Parlament hatte der Bundesregierung zuletzt sogar ein Ultimatum gesetzt. Bis zum 23. Juni hätte die Regierung demnach Zeit gehabt, die Sorben als Indigene anzuerkennen. Ohne Reaktion der Regierung lief das Ultimatum ab.

Vor dem Europäischen Gerichtshof will sich der "serbski sejm" nun die Bestätigung dafür holen, dass die Bundesregierung die Sorben und Wenden zu Unrecht nicht als Indigene anerkennt. Helfen soll eine auf Völkerrechtsfragen spezialisierte Anwaltskanzlei aus London. Wie die Chancen bei einer Klage stünden werde nun ausgearbeitet.

Wer spricht für die Sorben?

Ob sich die ILO-Konvention wirklich auf die Volksgruppe der Sorben und Wenden übertragen lässt, ist wohl eine juristische Auslegungssache. Allerdings gibt es in dem Abkommen eine Formulierung zum Geltungsbereich. So heißt es darin, "Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist als ein grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen anzusehen, auf die die Bestimmungen dieses Übereinkommens Anwendung finden". Das heißt, die Sorben müssten sich selbst als Eingeborene, als Indigene sehen, damit die Konvention überhaupt gilt. Und das ist fraglich.

Der "serbski sejm" versteht sich nach eigenen Angaben als Volksvertretung der Sorben und Wenden. Er war 2018 in "allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen" gewählt worden, heißt es vom sorbischen Parlament. 24 ehrenamtliche Abgeordnete sind Teil des sejm, der "regelmäßig an wechselnden Orten in der Lausitz" tagt.

Das Problem: der "serbski sejm" wird bislang nicht von offiziellen Institutionen als echte Interessenvertretung anerkannt. Als gemeinsame Stimme der Sorben und Wenden, wie er sich selbst sieht, gilt es deshalb längst nicht.

Kompliziertes Wahlverfahren, geringe Beteiligung

Ob die Wahlen wirklich "allgemein" und "unmittelbar" waren, ist zumindest auch fraglich. Bekennende Sorben und Wenden mussten sich 2018 in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen. Daraufhin bekamen sie Briefwahlunterlagen zugesendet. Etwa 1.300 Sorben und Wenden hatten sich in das Verzeichnis eintragen lassen, 828 Stimmen waren am Ende gültig. Je zwölf Vertreter der Ober- und der Niedersorben sitzen seitdem ehrenamtlich im "serbski sejm".

Nach offiziellen Zahlen gibt es allerdings bis zu 60.000 Sorben und Wenden, 20.000 in der brandenburgischen und 40.000 in der sächsischen Lausitz. Und auch für welchen Zeitraum das "serbski sejm" gewählt wurde, ist zuvor nicht festgelegt worden.

Machtkampf innnerhalb der Sorben und Wenden?

Bereits nach der Wahl 2018 gab es Stellungnahmen der Brandenburger und der sächsischen Landesregierungen. Das brandenburgische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur erklärte etwa, dass die Landesregierung Engagement für das demokratische Gemeinwesen grundsätzlich begrüße, dass beim "serbski sejm" allerdings nicht erkennbar sei, wie "dieser in die bestehenden politischen Prozesse und juristischen Rahmenbedingungen des Landes Brandenburg integriert werden kann".

Das Landesparlament werde von allen Brandenburgern gewählt, auch von den sorbischen/wendischen, so das Ministerium. Es gebe keine landesrechtliche Grundlage für eine Zusammenarbeit mit dem "serbski sejm".

Ansprechpartner für die Landesregierung sei dagegen der Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden beim Landtag, der sogenannte Sorbenrat. Die Wahl des Rates ist gesetzlich geregelt, er hat zudem Mitwirkungskompetenzen in der Gesetzgebung. Ähnlich äußert sich die sächsische Landesregierung - auch hier gibt es einen Sorbenrat.

Für die Anerkennung des "serbski sejm" als "Volksvertretung der Sorben" müsste das Sorbengesetz geändert werden - und damit die Verfassung beider Bundesländer.

Domowina stellt sich gegen Ultimatum und gegen Klage

Neben den Sorbenräten in den Landesparlamenten von Brandenburg und Sachsen gibt es einen weiteren Ansprechpartner, an den sich die Regierungen in Sorbenfragen wenden können: den Dachverband Domowina. Beide Landesregierungen erkennen den Verband als gemeinsame Interessenvertretung an. Rund 200 Gruppen und lokale Vereinigungen, regionale Verbände und überregionale Vereine mit insgesamt rund 7.500 Mitgliedern sind im Domowina-Verband organisiert. Er besteht bereits seit mehr als 100 Jahren.

Der Verband bemüht sich nach dem Vorstoß des "serbski sejm" darum, die Meldungen rund um "die Sorben" wieder einzufangen. Die letzte Mitteilung der Domowina war überschrieben mit "Die Sorben verklagen Deutschland nicht". Laut Verband beteiligt sich die Domowina nicht an der Klage des "serbski sejm" gegen die Bundesregierung.

Schon im März hatte der Verband eine Mitteilung veröffentlicht, in der es hieß, dass Ultimaten die Sorben und Wenden nicht weiterbringen würden. Eine Anerkennung als indigenes Volk würde "uns nicht mit Zauberhand politische Selbstbestimmung und Autonomie" bringen, heißt es darin.

Indirekt wirft die Domowina dem "serbski sejm" vor, mit der Klageandrohung lediglich mediale Aufmerksamkeit erzeugen zu wollen. "Neue und zusätzliche Strukturen wie die Etablierung eines Parlamentes halten wir aus vielen Beweggründen heraus für weder praktikabel noch zielführend. Insbesondere die rechtlichen und politischen Hürden werden in der öffentlichen Diskussion gern verschwiegen oder nicht berücksichtigt", heißt es von der Domowina.

Unlegitimiertes "Parlament" gegen "Altstalinistische Terrororganisation"

Das "serbski sejm" hatte den Domowina-Verband zuvor mehrfach auch direkt angegriffen. Kritisiert wird etwa, dass die Domowina von Brandenburg und Sachsen auch finanziell unterstützt werde und deshalb nicht als unabhängige Stimme der Sorben und Wenden gelten könne.

Der Konflikt zwischen der legitimierten Domowina und dem selbsternannten Parlament der Sorben war 2021 schon einmal aggressiver geführt worden. Damals waren Mitschnitte aus einer Sitzung des "serbski sejm" öffentlich geworden. Darin wurde die Domowina unter anderem als "altstalinistische Terrororganisation" bezeichnet.

Die jetzige Klageandrohung ist demnach Ausdruck eines mehr oder weniger offen ausgetragenen Machtkampfes, initiiert vom "serbski sejm". Ob die Klage Erfolg hat ist fraglich. Dem "sejm" fehlt wahrscheinlich der Rückhalt aus der sorbischen/wendischen Gemeinschaft - dafür wurde er von zu wenigen Sorben und Wenden gewählt. Hinzu kommt die fehlende aber notwendige Legitimation aus der Politik. Die Klage gegen die Bundesregierung wird damit zum Sturm im Wasserglas.

Sendung: Antenne Brandenburg, 03.07.2023, 14:10 Uhr

Beitrag von Florian Ludwig

23 Kommentare

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  1. 23.

    Zitat: "Da zitiert jemand das GG und schon wird man zum Feind erklärt."

    Mal davon abgesehen, dass ich niemanden "zum Feind erklärt" habe, haben Sie Kims Kommentar offenbar nicht verstanden, Bernd. Er oder sie meint ganz offensichtlich, dass man sich bei missliebigen Entscheidungen der B-Regierung sofort auf Art. 20 Abs. 4 berufen und Widerstand mit allen Konsequenzen leisten sollte.
    Wenn die Regierung nicht GG konform entscheiden sollte, was ja durchaus mal vorkommt, sind Institutionen wie z. B. das Bundesverfassungsgericht in der Verantwortung dies zu korrigieren. Das ist der normale demokratische Ablauf. Und irgendwelche Wutbürger, die meinen das Gesetz in die eigenen Hände nehmen zu müssen, interpretieren diesen Artikel gerne mal falsch, wie eben oben genannter User.

  2. 22.

    Ja, die Idee hinter der Ausnahme von der 5%-Hürde ist mir schon klar. Ich halte diese Ausnahme(n) heute jedoch für demokratisch nicht (mehr) gerechtfertigt, denn m.E. bleibt unverändert die Frage: Welche besonderen Interessen, die bisher nicht berücksichtigt werden, haben Sorben ggüber anderen Deutschen? Und analog dazu: Welche besonderen Interessen, die bisher nicht berücksichtigt werden, haben Dänen ggüber anderen (Süd-)Schleswigern?

  3. 21.

    Weil diese Minderheiten zahlenmäßig so gering sind, dass selbst wenn alle wahlberechtigten "Indigenen" die Partei wählen würden, diese immer die 5%-Hürde reißen würde.

  4. 20.

    Ja, die Dänische Minderheitenpartei SSW funktioniert in SH soweit. Tatsächlich ist dieser "Südschleswigsche Wählerverband" mir politisch eher sympathisch. Daher ist es mir ganz persönlich recht, wenn er unter Umgehung der 5%-Klausel an parlamentarischer Arbeit und Regierungsbildungen beteiligt sein kann. Dennoch sind von einem objektiveren demokratischen Gesichtspunkt her seine Sonderrechte sehr fragwürdig: Warum soll eine Partei, die sich mit allen politischen Themen in derselben Weise befasst wie andere auch, derart privilegiert sein? Wählerstimmen, die bei ALLEN anderen Parteien aufgrund der 5%-Hürde nicht gewertet würden, fliessen hier in die politische Machtbildung voll ein. Dieselbe Situation gäbe es auch bei einer sorbischen Minderheitenpartei. Und die Frage bleibt: welche besonderen Interessen, die bisher nicht berücksichtigt werden, haben Sorben ggüber anderen Deutschen?

  5. 19.

    Was ist eigentlich aus der Domowina, dem sorbisch-wendischen Dachverband geworden?

  6. 18.

    Ich habe das deeskalierend gemeint: Nicht an Machtkämpfen beteiligen, Geld für die Pflege des Brauchtums zugestehen, die Sprache unterrichten usw. wird den Sorben und Wenden gerecht. Mir ist diese Form der Diversität lieber als das Verdrängen der FKK-Kultur durch Fremde, die sich nicht anpassen wollen aber fordern.

  7. 17.

    "Wofür also eine explizit sorbische politische Partei? Welche besonderen Interessen sollte sie durchsetzen, die bisher zu wenig berücksichtigt würden?" Diese Fragen müßte man dann aber auch bei der dänischen Minderheit stellen. Aber dort scheint es doch gut zu funktionieren mit einer solchen politischen Vertretung.

  8. 16.

    >"Und da es ja einzig nach dem Gefühl geht - wo kann ich meine Sonderrechte anmelden?"
    Ne ne, Sondarechte jibt dit nich! Ziehn se doch int Brandenburger Exil. Da sind se alle, die von Bärlin wech sind. Die Bärlina Kodderschnautze lebt hier weita. Und dit werdn imma mär!

  9. 15.

    Warum wollen sich brandenburgische und sächsische Deutsche als Minderheit ausgrenzen?

  10. 14.

    Da zitiert jemand das GG und schon wird man zum Feind erklärt. Ich denke wer das GG ablehnt sollte eher hinterfragt werden und nicht der hinterfragende sein denn in vielen Artikeln des GG wird derzeit verstoßen und niemand hinterfragt es wirklich obwohl ein Amtseid darauf abgeleistet wurde

  11. 13.

    Solche Ideen beruhen auf der Annahme, dass Menschen mit einer anderen Muttersprache und Kultur grundsätzlich andere Interessen hätten. Das mag bei indigenen Völkern z.B. in Amerika zutreffen, deren Lebensart sich grundsätzlich, also z.B. sogar wirtschaftlich, von jener der Mehrheitsgesellschaft unterscheidet. Diesen Eindruck habe ich aber weder bei Sorben noch bei Dänen: Bzgl Wirtschaft, Landwirtschaft, Verkehr, Gesundheit uswusf unterscheidet sich ihr Interessenspektrum nicht von jenem von Deutschen ohne sorbische oder dänische Wurzeln. Wofür also eine explizit sorbische politische Partei? Welche besonderen Interessen sollte sie durchsetzen, die bisher zu wenig berücksichtigt würden? Sorbische Sprache und Kultur wird gepflegt und z.B. durch den sorbischen Rat und m.W. auch durch sorbische Arbeitsgruppen in den einzelnen Parteien repräsentiert. - Also bitte keine rein kulturellen mit politischen Interessen verquicken und dadurch die demokratische Willensbildung noch weiter erschweren.

  12. 12.

    Ich wurde vor fast sechzig Jahren in Berlin geboren, bin also Eingeborener, zumal es von meiner Sorte in der Stadt immer weniger gibt und ich daher schon von anderen Bewohnern bestaunt werde. Ooch meene Sprache is akut von Aussterben bedroht, wie ick imma wieda merke: Kaum eena von die jungen Leute tut so noch reden. Die tun mir manschma nichma mehr verstehen!

    Und da es ja einzig nach dem Gefühl geht - wo kann ich meine Sonderrechte anmelden?

  13. 10.

    >"Es geht den Sorben ums Geld."
    Bitte differenzieren! "den Sorben" wie allen anderen Menschen gehts immer auch ums Geld fürs Überleben.
    Dieser "serbski sejm" sind nicht "die Sorben" im Sinne einer Mehrheit.

  14. 9.

    Ja genau, wenn einem gewisse politische Entscheidungen der Bundesregierung nicht passen, einfach mit dem GG wedeln, Aufstände anzetteln und sich als autonom erklären. Ist Ihnen überhaupt klar, was Sie hier fordern, Kim? Scheinbar nicht, denn sonst würden Sie sich für diesen Tinnef vorn Kopp schlagen - oder sollten es zumindest.

  15. 8.

    Ihr Kommentar ist so weit vom Thema entfernt wie nur irgendwas...
    Aber Hauptsache hetzen...

  16. 7.

    Es geht den Sorben ums Geld. Und Recht haben sie. Ihre Kultur ist mehr erhaltenswert als andere unnütze „Marottenthemen“ des Wohlstandes.

  17. 6.

    >"Warum gründen die Sorben ud Wenden nicht eine solchen Wählerverband und dieser wird dann von der 5%-Hürde befreit - also ganz analoge Lösung wie im Norden."
    Das ginge in der Tat ja auch. Aber dieser "serbski sejm"möchte dem Vernehmen nach eine eigene Volksvertretung in ihrem dann als Teilland fest beschriebenem Gebiet.
    Was noch interessant wäre an diesem "Vorgang" ist: Wer bezahlt denn dies alles, den teuren Anwalt z.B.? Unterstützung vom Land erhält diese selbsternannte Sorben-/Wenden-Vertretung ja nicht.

  18. 5.

    Warum macht man es nicht wie SH mit der dänischen und friesischen Minderheit?
    https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A4nische_Minderheit_in_Deutschland
    "Bundesweit bekannt ist der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als politische Vertretung der dänischen und nordfriesischen Volksgruppe. Nach dem Wahlgesetz für den Landtag von Schleswig-Holstein ist jede Partei der dänischen Minderheit von Schleswig-Holstein von der Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen befreit." Warum gründen die Sorben ud Wenden nicht eine solchen Wählerverband und dieser wird dann von der 5%-Hürde befreit - also ganz analoge Lösung wie im Norden.

  19. 4.

    Es gibt noch mehr nationale Minderheiten in Deutschland, wie läuft das dort im Vergleich zu den Sorben und Wenden?

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