Job trotz Ruhestand - "Manchmal ärgere ich mich, dass ich noch arbeiten muss"
Immer mehr Rentnerinnen und Rentner gehen arbeiten. Hat das finanzielle Gründe oder ist der Ruhestand gar nicht so verlockend, wie man sich das vorstellt? Von Efthymis Angeloudis und Götz Gringmuth-Dallmer
- Immer mehr Menschen über 65 Jahre sind in Berlin und Brandenburg sozialversicherungspflichtig beschäftigt – auch jenseits des gesetzlichen Rentenalters.
- In Brandenburg ist der Anteil der arbeitenden Rentner:innen etwas geringer als in Berlin.
- Bei einer bundesweiten Befragung gaben 43 Prozent der arbeitenden Rentner:innen an, sie seien finanziell auf den Zuverdienst angewiesen.
- Der Anteil der Frauen ist dabei deutlich größer als der der Männer.
Große Sprünge wollte Monika [Name geändert] im Ruhestand gar nicht machen: "Kein Haus am Meer oder so." Das wäre bei ihrem Einkommen ohnehin unrealistisch, aber auch gar nicht ihr Stil. Hier in Berlin wollte sie sein, bei ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten in Mitte. Denen geht die 75-Jährige schon seit 50 Jahren nach.
Stattdessen geht die pensionierte Buchhalterin jetzt immer noch arbeiten, macht die Rechnungsführung und sortiert Belege: 33 Stunden im Monat für 400 Euro. Zwar immer noch im gemeinnützigen Verein, aber doch anders als sie sich das vorgestellt hatte. "Ehrenamtliche Tätigkeit macht man aus Freude zu helfen oder eine Aufgabe zu haben. Das sollte keine Arbeit sein. Meine Arbeit ist einfach viel mehr Verpflichtung", sagt Monika rbb|24.
Froh aus dem Haus zu kommen ist sie trotzdem. "Ich würde ungern den ganzen Tag zu Hause bleiben, aber auch nicht den ganzen Tag arbeiten gehen", erklärt Monika. Doch aufs Arbeiten verzichten - dafür reiche die Rente nicht: "Für mich heißt es: entweder arbeiten oder Amt."
Zahl der arbeitenden Rentner steigt
Wie der 75-jährigen Berlinerin geht es immer mehr Menschen im Rentenalter. Die Zahl der über 65-Jährigen, die in Berlin und Brandenburg einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, hat in den vergangenen Jahren zugenommen, wenn auch auf einem niedrigen Niveau. Dies zeigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, die rbb|24 ausgewertet hat.
Gingen im Jahr 2001 in Berlin mit 3.177 Menschen noch 0,6 Prozent der über 65jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, so waren es 2021 bereits 21.498 und somit drei Prozent der Menschen über 65. 14.282 von ihnen hatten die so genannte Regelaltersgrenze bereits überschritten. Das ist das gesetzlich festgelegte Renten-Eintrittsalter, das derzeit schrittweise auf 67 Jahre erhöht wird (Quelle: Deutsche Rentenversicherung). Das sind immerhin zwei Prozent der Menschen in dieser Altersgruppe in Berlin.
Dabei muss beachtet werden, dass es wegen der demografischen Entwicklung inzwischen in Berlin auch insgesamt mehr Menschen in dieser Altersgruppe gibt.
Nicht alle können länger arbeiten
Fakt ist jedoch: "Menschen müssen einfach länger arbeiten", erklärt Laura Romeu Gordo vom Deutschen Institut für Altersfragen (DZA) rbb|24. Allerdings würden es Menschen, die schwere körperliche Arbeit leisteten, bereits jetzt kaum schaffen, bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten - und müssten dann Rentenabschläge hinnehmen.
Andere mit weniger körperlich belastenden Tätigkeiten könnten dagegen deutlich über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten und würden davon auch finanziell profitieren, sagt Romeu Gordo - beispielsweise selbständige Rechtsanwälte. "Es ist eine Diskussion der Ungleichheit und der Gerechtigkeit."
"Körperliche Arbeit könnte ich nicht machen", sagt Monika. "Obwohl so ein Ordner auch manchmal schwer ist", scherzt die 75-Jährige. Doch laut Romeu Gordo gibt es auch immer mehr Menschen die über die Regelaltersgrenze hinaus fit und motiviert sind.
Mehr Jobs für Rentner in Berlin
In Brandenburg stieg der Anteil der Menschen über 65, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, von 0,3 Prozent (1.192) im Jahr 2001 auf ein Prozent im Jahr 2021. 10.003 Menschen waren über 65, 6.687 davon über der Regelaltersgrenze.
Im bundesweiten Schnitt stieg der Anteil von 0,6 auf 1,6 Prozent. Nicht in den Zahlen enthalten sind Selbständige, die auch im Rentenalter noch weiter einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Berlin liegt somit etwas über dem bundesweiten Durchschnitt, Brandenburg darunter.
Das habe auch etwas mit dem Angebot zu tun, sagt Romeu Gordo und ob Unternehmen in Brandenburg ihre Beschäftigten in teils körperlich anstrengenden Tätigkeiten halten können. "Wir beobachten, dass Leute mit höherem formalem Bildungsniveau trotz Rente länger arbeiten. Das liegt vor allem daran, dass sie Berufen nachgehen, die nicht so körperlich anspruchsvoll sind - aber auch daran, dass diese Menschen sich in einer besseren körperlichen Verfassung befinden", fügt die Expertin für Ruhestand und Alterssicherung hinzu. Und solche Jobs gebe es im Vergleich häufiger in Berlin als in Brandenburg.
Mini-Jobs können riesigen Unterschied machen
Etwas anders verhält es sich bei den geringfügig Beschäftigten, also den Mini-Jobbern. Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg stieg ihr Anteil von 2,3 Prozent im Jahr 2001 auf 3,6 Prozent im Jahr 2021 in der Altersgruppe der über 65-Jährigen. In Deutschland stieg der Anteil von 3,5 auf 5,4 Prozent. Sowohl Berlin als auch Brandenburg liegen also deutlich darunter, allerdings Tendenz steigend.
In absoluten Zahlen: In Berlin gingen 2021 25.120 Menschen in der betreffenden Altersgruppe einer geringfügigen Beschäftigung nach, in Brandenburg waren es 23.538 Menschen.
Auch Monika geht einem Mini-Job nach. Am Anfang war es noch ganz wenig – zwölf Stunden im Monat für 160 Euro. "2019 wollte ich mich langsam aus der Arbeit rausziehen, aber dann kam Corona." Mit der Pandemie gab es immer mehr Ausfälle im Verein, viele der älteren Beschäftigten hatten Angst vor Kontakten. Die 75Jährige sprang ein - und landete bei 33 Stunden im Monat für 400 Euro. Das ist nicht viel. Doch für die 75Jährige macht das den Unterschied, dass sie sich nicht morgens ausrechnen muss, was sie an dem Tag ausgeben kann.
Doch längst nicht alle, die im Rentenalter arbeiten, sind finanziell darauf angewiesen. Eine vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB ausgewertete Studie [externer Link] zeigt, dass Arbeit im Rentenalter über alle Einkommensgruppen verteilt vorkommt. Demnach gehören 30,4 Prozent der erwerbstätigen Rentner:innen zum unteren Einkommensviertel, aber auch 27,9 Prozent zum oberen Viertel.
Warum noch arbeiten?
Die Gründe, warum Menschen im Rentenalter weiterhin arbeiten, sind demnach vielfältig. So gaben bei der oben genannten Untersuchung im Jahr 2018 (Quelle: IAB) unter Erwerbstätigen im Ruhestand 97 Prozent an, sie hätten Spaß an der Arbeit. Für 92 Prozent war es wichtig, weiterhin eine Aufgabe zu haben, für fast eben so viele war der Kontakt zu anderen Menschen eine Motivation für einen Job.
43 Prozent der Befragten gaben an, ihre finanzielle Situation sei ein Grund dafür, dass sie noch weiterhin arbeiten. Ob diese Zahl eigentlich höher ist und manche Betroffenen aus Scham darüber schweigen, bleibt offen.
Manche würden gern, können aber nicht
Das Statistische Bundesamt hat in einer kürzlich veröffentlichten Statistik angegeben, dass für 40,8 Prozent der Menschen in Deutschland, die 2021 im Alter zwischen 65 und unter 75 Jahren arbeiteten, die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts war. "Aber auch für Menschen, die von finanziellen Gründen berichten, ist es wichtig, Kontakt und eine Tätigkeit zu haben“, erklärt Romeu Gordo.
In der Gruppe der Rentner:innen, die nicht arbeiten, würden das einige gern tun, können es aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. "Meistens sagen die Leute nicht, dass sie nicht arbeiten würden, weil sie kein Geld brauchen, sondern weil sie gesundheitlich nicht fit sind und keine passende Stelle finden", sagt die Expertin des Deutschen Instituts für Altersfragen.
Mehr Frauen arbeiten im Rentenalter
Deutlich wird in der Befragung allerdings, dass der Anteil der Frauen, die im Rentenalter aus finanziellen Gründen einer Beschäftigung nachgehen, größer ist als der Männer-Anteil. So gaben 52 Prozent der befragten arbeitenden Rentnerinnen an, dass sie auf ihren zusätzlichen Verdienst angewiesen sind, während das nur bei 36 Prozent der befragten Rentner, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, der Fall war.
"Die Arbeit im Ruhestand spiegelt die Erwerbskarriere, die sie vor dem Ruhestand hatten. Und da wiederholt sich für Frauen das Motiv von geringfügiger Beschäftigung", erklärt Romeu Gordo. Die Gründe für den Gender Pensions Gap liegen auf der Hand und wurden kürzlich in einer Studie vom IFO-Institut München beschrieben: Frauen haben in ihrem Berufsleben häufiger Teilzeit als Männer gearbeitet, oftmals auch in Vollzeit ein geringeres Einkommen erzielt und hatten deshalb auch weniger Möglichkeiten, für das Alter Vermögen aufzubauen.
Langzeitkrankheit und Erwerbsunfähigkeitsrente
Manchmal kann aber auch etwas Unerwartetes dazwischenkommen. Bei Monika war das der Fall: "Ich habe gut verdient und gut gearbeitet, bis mich eine schwere Krankheit aus der Bahn geworfen hat", sagt sie. "Hätte ich durchgearbeitet, hätte ich jetzt 2.000 Euro Rente". Mit 52 war sie aber "finanziell und gesundheitlich ruiniert". Es folgten Langzeitkrankheit und Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese wurde auf 1.117 Euro festgelegt - unter der Armutsgefährdungschwelle.
"Manchmal ärgere ich mich darüber, dass ich noch arbeiten muss." Nicht aber weil sie sich ausruhen möchte. "Nein", protestiert sie. "Wenn ich nicht mehr arbeiten müsste, würde ich noch mehr ehrenamtlich tun."
Sendung: rbb24, 05.01.2022, 13:00 Uhr