Wachstum mit Grenzen - Brandenburg verzeichnet 2022 so viele Investitionen wie nie zuvor
Unternehmen haben in Brandenburg in 2022 so viel investiert wie noch nie. Trotz schwierigen Umfeldes sei es gelungen, eine Reihe neuer Firmen nach Brandenburg zu locken. Alle Probleme löst das aber nicht. Von Katrin Neumann und Andreas Koenig
- Rekordinvestition in Brandenburg durch Tesla-Effeke
- Wichtigste Branchen: Mobilität, Holzbau und Digitalisierung
- Umweltschützer fordern: Grünflächen auf dem Dach im Gegenzug für versiegelte Böden
Die Wirtschaftsförderung (WFBB) hat am Freitag Bilanz gezogen. Unterm Strich steht ein Rekord-Investitionsvolumen von 1,84 Milliarden Euro in Brandenburg. 9.683 Arbeitsplätze seien geschaffen und stabilisiert worden, ein Großteil davon bei Tesla. Laut Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) ein "besonderes Ergebnis" vor dem Hintergrund der Energiepreiskrise und der Inflation.
Immer mehr Tesla-Zulieferer kommen in die Region
Die Investitionen von Tesla sind in der Vorzeigebilanz für das Jahr 2022 noch gar nicht drin. Man kenne den Betrag des Elektroautoherstellers noch nicht genau, sagt Wirtschaftsminister Steinbach. Was aber eingerechnet ist, ist der sogenannte Tesla-Effekt. Heißt, die Zulieferkette, die der Automobilhersteller anzieht, macht sich deutlich bemerkbar. Tesla braucht Batteriekomponenten und könnte sie von BASF in Schwarzheide und möglicherweise in Zukunft vom chinesischen Batteriezellenhersteller SVolt in Lauchhammer (beide Oberspreewald-Lausitz) bekommen. Die wiederum sind auf Zellfertiger wie Microvast in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) angewiesen. Es schließen sich weitere Dienstleister und Logistiker an. Die Wertschöpfungsketten seien geschlossen. Von einem "mehrfachen Tesla-Effekt" ist sogar die Rede, denn die Ansiedlung all dieser Unternehmen sorge für Bekanntheit und dafür, dass die Welt jetzt wüsste, wo Brandenburg eigentlich liegt.
Noch wichtiger als die Investitionen an sich sind die fast 10.000 Arbeitsplätze, die damit geschaffen und gesichert werden. Hier lässt sich der Tesla-Anteil ziemlich genau beziffern: 6.600 Arbeitsverträge wurden in Grünheide im vergangenen Jahr unterschrieben.
Boom-Branchen: Mobilität, Holz und Digitalisierung
Neben Mobilität sorgen die Holzverarbeiter in Brandenburg für Wirtschaftsaufschwung. Renggli International investiert 67 Millionen Euro in Eberswalde (Kreis Barnim) und schafft 200 Arbeitsplätze, Classen Industries bewegt 40 Millionen Euro und bindet 31 Arbeitnehmer in Baruth/Mark (Kreis Teltow-Fläming) an sich. Im selben Ort investiert Binderholz 5,1 Millionen Euro, damit verbunden sind 15 Arbeitsplätze.
Google will sein neues Rechenzentrum in Mittenwalde (Kreis Dahme-Spreewald) bauen, die Flächen sind bereits gekauft und hunderte Arbeitsplätze sollen folgen.
"Trendwende Zuzug" bei den Jüngeren
305 Ansiedlungen, Erweiterungsinvestitionen und Gründungen gab es 2022 in Brandenburg. 80 Prozent der Nachfrage komme aus der Industrie. Das bedeutet zum einen steigende Gewerbesteuer für die Gemeinden und zum anderen ein Phänomen, das es so seit der Wende erstmalig gäbe. Arbeits- und Fachkräfte ziehen aus anderen Bundesländern nach Brandenburg, vor allem aus den westlichen.
Steinbach sieht hier eine "Trendwende". Außerdem sorge das neue globale Positiv-Image dafür, dass auch internationale Fachleute nach Brandenburg kommen wollen. Da sei allerdings noch Luft nach oben. Denn so erfreulich der Investitionsboom sei, der Kampf um qualifizierte Arbeitnehmer sei groß und spiele eine entscheidende Rolle. Wie man das seit Jahren schwelende Problem lösen will, konnte der Minister heute nicht beantworten.
Süden beliebter bei Invesoren als der Norden
Außerdem wusste er nicht zu sagen, warum der Süden Brandenburgs bei Investoren deutlich beliebter ist als der Norden. Nachdem der sogenannte "Berliner Speckgürtel" gesättigt ist, was verfügbare Gewerbeflächen angeht, bleiben brandenburgische Peripherie. Eine Erklärung für die südliche Vorliebe der Unternehmer fand Steinbach am Freitag nicht, verwies aber erneut darauf, dass die Prignitz als "neue Mitte zwischen Berlin und Hamburg" gelte, die an Bedeutung gewinnen werde. Zu spürbar mehr Sog in die Prignitz und Ostprignitz-Ruppin hat das bislang nicht verholfen.
Die Grenzen des Wachstums
Für dieses Jahr hoffe man auf neue Rekorde bei Investition und Arbeitsplätzen. Aber wo sind die Grenzen? Und sind immer mehr Gewerbegebiete und Produktionshallen in den Kommunen wirklich wünschenswert? "Das müssen die Kommunen leisten", schiebt Steinbach die Verantwortung ab und meint damit, dass Bürger und Bürgerinnen selbst abwägen sollen, wie viele und welche Flächen in ihrem Umfeld zur Verfügung stehen sollen. Man werde "nicht gegen den Willen der Menschen" handeln. "Die Kommune muss sagen, was erträglich ist und was nicht", so Steinbach.
Natur könnte unter Wirtschaftswachstum leiden
Viele Neuansiedlungen von Unternehmen gehen mit Bodenversiegelung, Wasserverknappung und mitunter Waldrodungen einher. Umwelteingriffe wie diese werden zunehmen, wenn die knapp 800 Hektar sofort verfügbarer Gewerbeflächen vergeben sein werden. Beim jetzigen Rekordtempo könnte das bald der Fall sein. Umweltschützer fordern gesetzliche Regelungen, die Umweltschutz als Vergabekriterium verankern. Axel Kruschat vom BUND fordert, die Durchlässigkeit von Böden sicherzustellen, sodass sich Grundwasser neubilden könne. Außerdem müssten Grünflächenkonzepte, auch in Gewerbegebieten, Artenvielfalt gewährleisten. Begrünte Dachflächen beispielsweise sollten verbindlich vorgeschrieben sein.
Auffällig zurückhaltend reagiert der Wirtschaftsminister auf diese Forderungen. "Meine Philosophie: Gesetze sind die allerletzte Maßnahme, wenn die Eigenverantwortung nicht funktioniert." Heißt wohl übersetzt: den Investitionsboom bloß nicht gefährden und mögliche Investoren mit Umweltauflagen abschrecken.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.03.2023, 16:40 Uhr