Konzertkritik | Kae Tempest im Admiralspalast - "Do what the fuck you want"
Kae Tempest aus London rappt, schreibt Bücher und hat in diesem Jahr eine viel beachtete neue Platte rausgebracht. Am Donnerstag war Tempest mit einer beeindruckenden Live-Performance im Berliner Admiralspalast. Von Hendrik Schröder
Was für ein toller Empfang. Kae Tempest kommt in weiten, schwarzen Klamotten und kurzen blonden Haaren auf die Bühne und die Leute jubeln und schmachten und juchzen, bevor Tempest auch nur einen Ton gesungen hat. Am Anfang gibt es eine lange Ansage und der Ablauf wird erklärt: "Ich spiele jetzt das neue Album "The line is a curve" am Stück für euch und danach ein paar alte Stücke. Und ich werde zwischendurch nichts sagen und mich auf die Songs konzentrieren", sagt Kae ernst.
Und fügt lachend und die Stimme erhebend hinzu: "Und ihr macht dazu was ihr wollt ja? You do what the fuck you want! Lasst euch von dem ehrwürdigen Theater nicht einschüchtern, wenn ihr tanzen wollt, dann tanzt, heute geht es ja um Körper, um meinen, um eure". Mit dieser Maßgabe sind die meisten dann offenbar einverstanden.
Vorbild und Popstar
Kae Tempest hieß bis vor zwei Jahren noch Kate Tempest. Aber nach langem und zähen Ringen und einem Jahre dauernden inneren Kampf, so beschreibt Tempest es in Interviews, beschloss Kate zu Kae zu werden und fortan als nonbinäre Person zu leben, nicht mehr als als Frau gelesene. Für diesen mutigen Schritt wurde Tempest von der Popkritik gefeiert und scheint zum Vorbild geworden zu sein. Jedenfalls sind an diesem Abend im Admiralspalast viele, die sich, zumindest dem äußeren Anschein nach, auch nicht in ein heteronormatives Weltbild fügen mögen.
Dann geht es los und Tempest singt und rappt und spricht und monologisiert, dass es einen nach ein paar Songs regelrecht reinreißt in diesen Strom an Worten, Geschichten und Beats. Anfangs noch etwas atemlos, groovt es sich nach wenigen Tracks wunderbar ein. Ein tolles Timing hat Tempest, eine irre Präsenz. Kaes linke Hand fuchtelt bei all den Texten über Liebe und Schmerz, über Zusammenhalt, Körpersprache, Sex und Selbstfindung gen Publikum, ballt sich dann zur Faust, während Tempest sich, so wirkt es, fast selbstvergessen immer tiefer in die Lieder fallen lässt.
Tiefgang, Nähe, Wärme
Das Bühnenbild ist bei alldem spartanisch: Ein animierter meterhoher Baum mit ein paar Ästen dran, der mal warm, mal gruselig angestrahlt wird. Auf einem Podest daneben steht Pianistin Clare Uchima und macht mit ihren Elektronikkästen und Tasteninstrumenten kopfnickend den Sound, die Beats, die Musik.
Obwohl das wirklich kein normales Konzert ist, bei dem irgendwann die "Hits" kommen, obwohl Tempest von der Performance her nichts tut, um die Leute zu animieren, obwohl hier ein Album am Stück gespielt wird und keine ausgeklügelte Reihenfolge an live-tauglichen Songs: die Leute sind völlig aus dem Häuschen. Wenn die Musik mal technoider, lauter, bassiger wird, dann wird schüttelnd getanzt, wenn es leiser wird, eben wieder zugehört. Niemand hier will "unterhalten" werden.
Nein, dieser Abend hat in allen Belangen einen seltenen Tiefgang, eine Wärme, eine Nähe zwischen Tempest und Publikum. Darum geht es. Zum Finale springt Kae dann neben die Keyboarderin, dreht mit an den Knöpfen und es wird laut und wild und gigantisch noisy. Ein Abend für Herz und Hirn und ein bisschen auch für die Beine.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.11.2022, 6:55 Uhr